ESYS Jahresveranstaltung Energie.System.Wende

Grußwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Dr. Georg Schütte, am 11. Juni 2015 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.
 
Sehr geehrte Herren Präsidenten,
sehr geehrte Damen und Herren Professoren,
liebe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“,
meine Damen und Herren,
 
ich freue mich, heute ein Grußwort bei der ESYS Jahresveranstaltung an Sie zu richten. Den Akademien danke ich herzlich für die Einladung, der ich sehr gerne gefolgt bin.
 
Die heutige Veranstaltung trägt den Titel „Energie.System.Wende. Wie bleibt unsere Versorgung sicher?“.
 
Die Versorgung mit Energie ist eines der wichtigsten Bedürfnisse einer Gesellschaft. Sie gehört zur Daseinsvorsorge, sichert den Wohlstand und hält den Motor der Weltwirtschaft in Gang. Wir wollen ein nachhaltiges Energiesystem ohne auf Wohlstand und zusätzliches Wachstum und Lebensqualität zu verzichten.
 
Bei der Energieversorgung haben wir ein äußerst ambitioniertes Ziel: Bis 2050 sollen erneuerbare Energien 80 Prozent des Stromverbrauchs decken.
 
2014 betrug der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung bereits knapp 26 Prozent. Das sind gute Nachrichten!
 
Für eine erfolgreiche Energiewende genügt es aber nicht, so schnell und so viel wie möglich erneuerbare Energien zuzubauen. Wir müssen sie vor allem Schritt für Schritt in ein sicheres, wirtschaftliches und nachhaltiges Gesamtsystem der Energieversorgung integrieren. Bereits jetzt sind wir in einer neuen Phase der Energiewende, in der die Markt- und Systemintegration von Erneuerbaren Energien in den Vordergrund rücken. Dies wird immer wichtiger, umso größer der Anteil von Erneuerbaren Energien im Gesamtsystem wird.
 
Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland ist die Verlässlichkeit unseres Energieversorgungssystems von besonderer Bedeutung. Vor allem an den sicheren, störungsfreien Betrieb unseres Stromsystems müssen wir die größten Anforderungen stellen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn zu jedem Zeitpunkt garantiert ist, dass das Energieangebot die Energienachfrage deckt. Energie muss auch zu den Zeiten zur Verfügung stehen, zu denen kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.
 
Aktuell wird über die Verlässlichkeit der Energieversorgung in Bayern besonders intensiv diskutiert. Der Anlass hierzu ist die Abschaltung des Atomkraftwerks Grafenrheinfeld am 20. Juni diesen Jahres. Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag befürchtet bereits im kommenden Winter Engpässe bei der Stromversorgung. An solchen konkreten Ereignissen zeigen sich die Sorgen der Menschen bei der Energiewende.
 
Bei aller Euphorie für die Energiewende dürfen wir daher nicht vergessen, dass die aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen viele Fragen und Befürchtungen aufgeworfen werden, die angesprochen und mitgedacht werden müssen. Ein blinder Fortschrittsglaube hilft uns da nicht weiter. Diese Zukunftsfragen müssen von der Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft verhandelt und mitgetragen werden, sonst wird die Veränderung misslingen. Wir wollen dabei Chancen und Risiken von Forschungsergebnissen und technologischem Wandel beleuchten und auch die Ängste und Befürchtungen der Beteiligten einbeziehen. Hierzu benötigen wir Ihre Expertise im Akademienprojekt. Sie können mit Ihrem Fachwissen Befürchtungen nehmen und Perspektiven für eine Lösung aufzeigen.
 
Lassen Sie mich an drei Beispielen deutlich machen, welche Bedeutung das Akademienprojekt ESYS als die Initiative der Wissenschaft im Prozess der Energiewende hat.


 
Erstens: Aufzeigen von Handlungsoptionen
 
Das Akademienprojekt hat sich selbst die ambitionierte Aufgabe gegeben, Handlungsoptionen für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs und somit auch für die Politik zu entwickeln. Es geht Ihnen und uns also nicht um Empfehlungen, die einen bestimmten Vorschlag in den Mittelpunkt rücken. Es geht Ihnen vielmehr um das Aufzeigen sämtlicher Optionen sowie die Beschreibung, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist, wenn man sich für das eine oder andere Vorgehen entscheidet.
 
Wie die Zukunft der Energieversorgung aussehen könnte oder sollte, ist in zahlreichen Visionen, Szenarien oder in politischen Konzepten beschrieben worden. Hier setzt die Arbeit des Akademienprojekts an, einen Überblick zu geben, welche Positionen von verschiedenen Stakeholdern zu diesem Thema vorliegen.
 
Ihre Ausarbeitung zum Thema „Flexibilitätskonzepte für die Stromversorgung 2050“, die heute vorgestellt und diskutiert wird, zeigt Handlungsoptionen für den Zeithorizont bis 2050 auf, wie die Versorgungssicherheit im Energiesystem bei einem wachsenden Anteil volatil einspeisender erneuerbarer Energien sichergestellt werden kann. Hierzu werden relevante Technologien wie Photovoltaik, Wind, Netze und deren Entwicklungspotential bis 2050 wissenschaftlich bewertet. Dieses Fachwissen ist essentiell für politische Debatten.
 
Als ein Ergebnis deutet sich an, dass neue Speicher für Netzregelungsaufgaben mit Speicherdauern größer einer Stunde (Batterien, Pumpspeicherkraftwerke und Druckluftspeicherkraftwerke) aus Sicht des Akademienprojektes auch bei sehr ambitionierten CO2-Einsparzielen nicht zwingend notwendig sind. Dies gilt zumindest so lange, wie in großem Umfang Demand-Side-Management-Potential (Laststeuerungspotential) zur Verfügung steht, das sich aus lokalen Speichern, vehicle-to-grid-Konzepten, häuslichem Wärmesektor, Steuerung von Haushaltsgeräten (Waschmaschinen, Kühlschränke etc.) sowie DSM-Maßnahmen in der Industrie zusammensetzt.
 
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, eine Fragestellung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und die einzelnen Interessengruppen und ihre Ansätze zu benennen. Im Zuge der Ausarbeitungen sollten Positionen und Maßnahmenvorschläge der relevanten Akteure erfasst und aufbereitet werden.
 
Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung, um Debatten bei der Energiewende mitgestalten zu können. Dabei geht es darum, zu den jeweiligen Positionen auch die damit verbundenen Chancen und Risiken zu erfassen. Hierüber kann Glaubwürdigkeit bei der Entscheidungsfindung sichergestellt werden. Vor politischen Entscheidungen sind daher mögliche „Nebenwirkungen“, die mit verschiedenen Maßnahmen verbunden sind, aufzuzeigen. Dies kann bei Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die getroffene Entscheidung bilden, da letztlich Vor- und Nachteile aller Maßnahmen gewägt worden sind.
 
Die Zeitskalen in Wissenschaft und Politik können sich unterscheiden. Für eine wissenschafts-basierte Politikberatung ist der Zeitfaktor von einer herausragenden Bedeutung, denn: damit das Wissen der Wissenschaft in die Ausgestaltung politischer Prozesse einfließen kann und damit Optionen der Wissenschaft Gehör finden können, müssen die Ausarbeitungen der Akademien frühzeitig vorliegen.
 
Diesem Anspruch werden Sie insbesondere durch die Arbeit in den neu gebildeten ad-hoc-Gruppen gerecht. Hier haben Sie es meines Erachtens geschafft, Ihre herausragende Expertise für drängende Fragestellungen so strukturell zu bündeln, um einerseits dem Zeitfaktor und andererseits einem Qualitätsfaktor zu entsprechen. Insofern ist die rechtzeitige Verfügbarkeit und Qualität durch angemessene Strukturen und Arbeitsprozesse auch in Zukunft sicherzustellen.
 
Wir benötigen durch das Akademienprojekt eine flexible Aufbereitung zu den kurzfristig anfallenden Themen, d.h. wir brauchen diese Strukturen und eine konsequente trans- und interdisziplinäre Zusammensetzung der Gruppen. Hierin liegt eine große Chance für die Wissenschaft als Akteur im Rahmen der Energiewende noch sichtbarer zu werden.
 
Seitens des BMBF haben wir dieses Verständnis von Politikberatung gemeinsam mitentwickelt. Dieser Ansatz war ein vollkommen neuer Ansatz in der Politikberatung. Wir halten ihn nach wie vor für richtig. Damit eröffnen wir die Möglichkeit, energierelevante Fragestellungen mitzugestalten.


 
Zweitens: Die Rolle des Akademienprojektes bei den Kopernikus-Projekten
 
Neben der wissenschaftlichen Politikberatung durch das Akademienprojekt stand die Arbeit der Akademien in den vergangenen Monaten ganz im Zeichen der Ausarbeitung der Kopernikus- Projekte.
 
„Kopernikus-Projekte für die Energiewende“ sind technologieorientierte Forschungsprojekte mit systemischem und transdisziplinärem Ansatz. Das Ziel dieser Projekte ist es, für die Umsetzung der Energiewende relevante Technologien zu identifizieren und bis zur großtechnischen Anwendung zu entwickeln. Dabei steht nicht die Förderung einer Einzeltechnologie im Vordergrund sondern der systemische, integrative Ansatz eines Themas. Es ist eine Förderung von bis zu zehn Jahren vorgesehen. Die Projekte weisen einen Prozesscharakter auf, der eine dynamische Nachsteuerung von Projektzielen ausdrücklich beinhaltet.
 
Die Konsortien sind aufgefordert, ein Beteiligungsmodell aufzuzeigen, bei denen neben Wissenschaft und Wirtschaft, auch zivilgesellschaftliche Gruppen und regionale Expertise berücksichtigt wird. Es sollen nicht nur technologische Aspekte betrachtet, sondern z.B. auch die Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung reflektiert werden.
 
Die Kopernikus-Projekte sind dadurch ein vollkommen neuer Ansatz der Förderung durch den Bund, der die Forschung für die Energiewende klarer strukturiert und somit effizienter gestaltet.
 
Kopernikus-Projekte bedeuten aber nicht, dass wir wieder bei null anfangen. Ein besonderes Anliegen ist uns, auf das Wissen aufzubauen, das wir bereits haben und das über die aktuellen Laufzeiten hinaus gezielt und langfristig weiterzuentwickeln. Außerdem sollen Kopernikus-Projekte nicht die bisherige Förderstruktur ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.
 
Das Akademienprojekt hat bei der inhaltlichen Ausarbeitung der Themenkorridore für die Kopernikus-Projekte einen besonders wichtigen Anteil. Hierfür möchte ich Ihnen allen herzlich danken!
 
Die derzeit erarbeiteten fünf Kopernikus-Projekte adressieren die folgenden zentralen Fragen der Energiewende.
 •Neue Netzstrukturen
 •Flexiblere Nutzung erneuerbarer Ressourcen
 •Stoffkreisläufe für die Energiewende
 •Ausrichtung von Industrieprozessen an eine volatile Energieversorgung
 •Energieerzeugung
 
Im weiteren Verfahren werden die möglichen Inhalte und Ideen weiter ausgearbeitet. Dabei sprechen wir kontinuierlich mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Wir streben an, zeitnah die Förderbekanntmachung auszuschreiben.
 
Bis Ende des Jahres sind die Projektkonzepte einzureichen. Die Projektkonzepte werden durch ein Evaluationspanel begutachtet. Die erfolgreichen Konsortien werden anschließend in einer zweiten Phase zur Abgabe vollständiger Projektanträge aufgefordert. Die Aufforderung zum Vollantrag soll spätestens Anfang 2016 erfolgen, sodass die Kopernikus-Projekte im ersten Quartal 2016 starten können.


 
Drittens: Die Rolle des Akademienprojektes im Forschungsforum
 
Bei Ihrer Jahresversammlung im vergangenen Dezember hatten wir Ihnen mit auf den Weg gegeben, dass Wissenschaft und Forschung insbesondere ihre Fähigkeit zur Perspektivenübernahme im Prozess der Ausarbeitung der Arbeiten zeigt und gesellschaftlich relevante Themen aufgreift sowie Positionen von Dritten in den Stellungnahmen – so weit wie möglich - aufarbeitet. Es bestand der Wunsch, dass wir es gemeinsam schaffen, im Rahmen wissenschaftlicher Freiheit die drängenden Fragen der Stakeholder noch stärker als bisher in das Akademienprojekt einzuspeisen und dort zu bearbeiten. Sie sollten wissenschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung in Einklang bringen.
 
Das Forschungsforum Energiewende ermöglicht, eine koordinierte Herangehensweise an diese drängenden Fragen der Energiewende und bietet Austausch und Dialog für alle Stakeholder zur Umsetzung der Energiewende. Es wurde 2013 vom BMBF initiiert wurde. Beteiligt sind hieran neben den Bundesressorts die Länder, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.
 
Am Beispiel der ESYS-Ausarbeitung „Rohstoffe für die Energiewende“ zeigt sich, wie verzahnt die Arbeit der Akademien mit dem Forschungsforum mittlerweile ist.
 
Diese ESYS-Ausarbeitung analysiert Wege zur verbesserten Primärgewinnung oder durch verbessertes Recycling von Rohstoffen wie Metalle und seltene Erden, die in Photovoltaik-Anlagen, Windrädern und auch Batterien eingesetzt werden, um somit einen Engpass für das zukünftige Energiesystem zu verhindern.
 
Neben der Aufarbeitung im Akademienprojekt ist diese Fragestellung ebenfalls Gegenstand eines Kopernikus-Projektes.
 
Im Forschungsforum kommen diese scheinbar parallelen Arbeiten zusammen. Das Akademienprojekt bereichert durch seine Ausarbeitung die fachliche Debatte zum Kopernikus-Projekt. Es liefert dadurch neue, wichtige Impulse in den dynamischen Prozess der Umsetzung der Kopernikus-Projekte.
 
Gleichzeitig wird hierdurch die Ausarbeitung der Akademien bereits während der Genese des Papiers an die Öffentlichkeit angekoppelt.
 
Ich begrüße es sehr, dass die Ausarbeitungen der Akademien mittlerweile „im laufenden Prozess“ im Forschungsforum vorgestellt werden und der Input der Stakeholder aufgenommen wird. Es bietet sich die Chance, dass die Wissenschaft die unterschiedlichen Positionen im Forum zur Diskussion stellen kann und hieraus einen Mehrwert für die Weiterentwicklung eigener Arbeiten ziehen kann. Hier haben sich im Zeitablauf Lerneffekte eingestellt. Auf den bisherigen Erfahrungen sollte die Weiterentwicklung des Akademienprojekts in einer nächsten Phase aufsetzen.
 
Die Wissenschaft stellt ihre Dialogfähigkeit zunehmend unter Beweis.


 
Meine Damen und Herren,
 
eine erfolgreiche Energiewende bedarf nicht nur neuer technologischer Ideen und innovativer Lösungen. Im gesamten Energiesystem müssen wir vielmehr zahlreiche Teilaspekte in Einklang bringen: technische Machbarkeit, wirtschaftliche Umsetzung, ökologische Auswirkungen, gesellschaftliche Akzeptanz und energiepolitische Bedingungen. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis darüber, was erreicht werden soll, kann und muss. Dazu müssen wir alle im Dialog bleiben.
 
Daher begrüße ich es, dass Ihre Jahresveranstaltung „Energie.System.Wende“ den Dialog zwischen Akteuren aus der Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit der Energiewende vorantreibt.
 
Zum Schluss möchte ich allen Beteiligten meinen Dank ausdrücken. Ich danke Ihnen allen für die geleistete Arbeit und Ihr großes Engagement. Sie haben die Herausforderung der Energiewende mit vielen neuen Ideen im Rahmen des Akademienprojektes mitgestaltet.
 
Ich wünsche uns allen konstruktive Diskussionen und einen nutzbringenden Austausch.
 
Vielen Dank!