Was Windkraftanlagen mit Bahnschienen gemeinsam haben

Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt Projekt zur Entwicklung eines neuen Stahls am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung mit 1,5 Millionen Euro

Windkraftturbinen und Eisenbahnen – recht viel unterschiedlicher könnten die Anlagen nicht sein und doch weisen sie eine Gemeinsamkeit auf: weiß anätzende Risse (englisch: White Etching Cracks) - ein weitgehend unverstandener Schadensmechanismus, der zu einem bisher nicht vorhersagbaren Zeitpunkt an mechanischen Kontaktpunkten auftritt und jährlich enorme Wartungskosten verursacht. So werden Bahnschienen weltweit in regelmäßigen Intervallen abgeschliffen, um solche Schäden zu vermeiden. Noch gravierender ist die Situation bei Windkraftanlagen, die ähnliche Risse aufweisen und deren Getriebe nur mit großem Aufwand gewechselt werden können. Der Schadensmechanismus beschränkt sich aber nicht nur auf diese Beispiele, sondern verursacht auch in zahlreichen alltäglichen Anwendungen von Waschmaschinen, über Klimaanlagen, zu Lichtmaschinen bis hin zu Kupplungen, Probleme.

Der Bildungsprozess dieser Risse erfolgt auf derart kleinen Längenskalen, sodass sie bisher selbst mit den modernsten Mikroskopen nicht untersucht werden konnten. Doktor Michael Herbig, Projektgruppenleiter in der Abteilung „Mikrostrukturphysik und Legierungsdesign am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE), ist Entwickler einer Methode, die der Schlüssel zum Verständnis dieses Schadensmechanismus sein könnte. Ihm gelang die Kombination zweier hochmoderner Charakterisierungsmethoden, die die Messung einzelner Atome inklusive der Elementart und deren dreidimensionaler Anordnung ermöglicht. Nun fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung Herbig bei der Anwendung dieser Methode zur Untersuchung der weiß anätzenden Risse in den Lagern von Windkraftanlagen mit 1,5 Millionen Euro über fünf Jahre.

Herbig plant zuerst dem Problem auf den Grund zu gehen, um in einem weiteren Schritt einen widerstandsfähigen Stahl zu entwickeln. Die bisherigen Erklärungsversuche für die Entstehung der Risse sind vielfältig: Versprödung durch Wasserstoff, Korrosionsermüdung oder das Zusammenwachsen von Hohlräumen im Stahl werden als mögliche Ursachen der Rissbildung verantwortlich gemacht. Wissenschaftlich belegt sind sie nicht. Bei der Rissbildung in der Praxis wirken viele Effekte gleichzeitig, was das Verständnis erschwert. Mit einer speziell angefertigten Rollkontaktermüdungsmaschine werden Herbig und sein Team den Prozess der Rissbildung unter genau kontrollierten Laborbedingungen nachbilden. Dies ermöglicht einzelne Effekte an- und auszuschalten und somit klare Rückschlüsse auf deren Einfluss zu ziehen. Löst Herbig das Problem der Rissbildung, so würde der durch Windkraft produzierte Strom in zweierlei Hinsicht günstiger: Einerseits durch die drastische Verringerung von Wartungskosten und andererseits durch die Möglichkeit größere Windkraftanlagen zu bauen. Die neu gewonnenen Erkenntnisse über den Schadensmechanismus und Gegenmaßnahmen werden aber nicht nur der Windkraft, sondern auch allen anderen betroffenen Anwendungen zugutekommen.

Herbig ist seit 2011 am MPIE beschäftigt. Sein Hauptforschungsschwerpunkt liegt auf dem Verständnis von Werkstoffphänomenen in Metallen. Hierbei charakterisiert er Metalle indem er zwei Mikroskopiemethoden kombiniert: die Transmissionselektronenmikroskopie und die Atomsondentomographie. Promoviert hat er am europäischen Synchrotronstrahlenzentrum (ESRF) in Grenoble, Frankreich. Der diplomierte Werkstoffwissenschaftler studierte an der Universität Erlangen und an der Alfred University in New York, USA.