Wind und warmes Wasser treiben Rückzug des Westantarktischen Eisschildes voran

Neue geologische Studie erklärt die Ursachen des Schelfeis- und Gletscherrückzuges vor 7500 Jahren und verbessert das Verständnis der aktuellen Eisverluste in der Westantarktis

Wandernde Westwinde und warmes Tiefenwasser sind die treibenden Kräfte hinter dem zunehmenden Eismassenverlust in der Westantarktis. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Geologenteam, dessen Studie heute im Fachmagazin Nature erschienen ist. Die Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien, Dänemark und Norwegen hatten mit Hilfe von Sedimentkernen das Zusammenspiel von Ozean und Eisströmen im Amundsenmeer für die zurückliegenden 11.000 Jahre rekonstruiert und deutliche Parallelen zwischen den aktuellen Ereignissen und großen Eisverlusten vor mehr als 7500 Jahren entdeckt. Die neuen Daten sollen nun helfen, die zukünftige Entwicklung des Westantarktischen Eisschildes besser vorherzusagen.

Mit ihren neuen Erkenntnissen füllen die Wissenschaftler eine entscheidende Lücke in der Klima- und Eismodellierung. „Bisher wurde immer nur spekuliert, wer oder was in der geologischen Vergangenheit den Rückzug der Eisströme im Amundsenmeer vorangetrieben hat. Eindeutige Beweise hatte man nicht, was zu Unsicherheiten in der Modellierung geführt hat. Wir können jetzt mit unseren Daten belegen, dass es damals wie heute warmes Tiefenwasser ist, welches auf den Kontinentalschelf strömt und die Eismassen von unten schmilzt. Auf Basis dieser Fakten können wir nun die Modelle validieren und ihre Vorhersagegenauigkeit entscheidend verbessern, sagt Geologe und Koautor der Studie Dr. Johann Klages vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

Für ihre Studie hatten die Wissenschaftler Sedimentkerne analysiert, die im Jahr 2010 auf einer Expedition des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern in die Pine Island-Bucht des Amundsenmeeres geborgen worden waren. Die Bodenproben enthielten Überreste winziger Meeresorganismen, sogenannter Foraminiferen. Der geochemische Fingerabdruck ihrer Kalkschalen erlaubt Rückschlüsse auf die Umweltbedingungen zu Lebzeiten der Tiere. Auf diese Weise gelang es den Forschern, die Temperatur-, Strömungs- und Eisverhältnisse im Amundsenmeer für die zurückliegenden 11.000 Jahre zu rekonstruieren.

„In diesem Zeitraum haben sich die Schelfeise und Gletscher der Region zweimal stark zurückgezogen. Der erste Rückzug vollzog sich bis vor etwa 7500 Jahren, bevor das Eis wieder stagnierte. In den 1940er Jahren setzte dann der zweite Rückzug ein. Er hält bis heute an und macht das Amundsenmeer zu einem Hotspot des Klimawandels, sagt AWI-Geologe und Koautor Dr. Gerhard Kuhn.

Die in das Amundsenmeer mündenden Gletscher und Eisströme verlieren inzwischen so viel Eis, dass sie allein zehn Prozent des globalen Meeresspiegelanstieges verursachen. Weltweite Aufmerksamkeit erregen vor allem der Pine Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher. Beide haben ihr Fließtempo und ihre Rückzugsraten in den vergangenen Jahrzehnten enorm gesteigert. Zusammen genommen speichern die Eisströme der Region so viel Eis, dass sie im Falle ihres Abschmelzens den Meeresspiegel um 1,2 Meter ansteigen lassen könnten.

„Eine der derzeit drängenden Fragen lautet, wie werden sich diese Gletscher in der Zukunft verhalten. Jetzt, wo wir genauer verstehen, wie die Eismassen in der Vergangenheit reagiert haben, können wir uns ein besseres Bild davon machen, was derzeit geschieht, sagt Erstautor Dr. Claus-Dieter Hillenbrand vom British Antarctic Survey.

Die neuen geologischen Daten zeigen im Kern, dass seit dem Ende der letzten Eiszeit warmes Tiefenwasser in die Pine Island Bucht geströmt ist. Infolgedessen schrumpften den Eismassen so lange, bis sich vor 7500 Jahren die Westwinde nordwärts verlagerten und der Warmwasser-Einstrom abbrach. „In den 1940-Jahren sind die Winde dann wieder Richtung Süden gewandert, woraufhin der Warmwassereinstrom erneut einsetzte. Er hält bis heute an und ist verantwortlich für die Eisverluste, die wir derzeit in der Westantarktis beobachten, sagt Koautor Dr. James Smith vom British Antarctic Survey.

An der Studie waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgender Institutionen beteiligt:

  • British Antarctic Survey,
  • Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung,
  • Universitäten in Cambridge, Leicester, Exeter, Kopenhagen und Tromsø,
  • British Geological Survey,
  • University College London.