Bessere Vorhersage und Frühwarnung bei Starkregenereignissen: Ein neues Hochwassermodell ermöglicht schnellere und präzisere Aussagen über Hochwassergefährdung

Im Rahmen des vom BMBF geförderten KAHR-Projekts hat das Deutsche GeoForschungsZentrum das neue Simulations-Modell RIM2D für die Vorhersage von Flutrisiken (weiter-)entwickelt. Dr. Heiko Apel erklärt das Modell und dessen Einsatzmöglichkeiten.

Ein Klick – dann verändert sich nach und nach die Kartenansicht auf dem Monitor. Der Fluss, der anfangs kaum sichtbar, schmal und unscheinbar in der Mitte des Bildes zu sehen ist, steigt an und dehnt sich zunehmend in der Fläche aus. Flussabwärts tritt immer mehr Wasser über die Ufer, weit vom Flussufer entfernte Wohngebiete und Straßenzüge werden überschwemmt. Er nimmt rasch große Gebiete außerhalb seines ursprünglichen Flussbettes und den natürlichen Überschwemmungsflächen ein. Nach wenigen Sekunden endet die Darstellung der Hochwassersimulation mit dem Rückgang des Wassers. Doch sie zeigt nicht die realen Schäden, die die Flut verursacht hat.

Wissenschaftler Dr. Heiko Apel vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) sitzt hinter seinem Bildschirm und blickt hoffnungsvoll auf die Simulation: „Um die Schäden durch Flutkatastrophen wie 2021 in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen in Zukunft begrenzen zu können, haben wir ein neues Hochwassermodell entwickelt. Wir haben es ‚RIM2D' getauft und es ist für kurzfristige Vorhersagen ausgelegt." Dr. Heiko Apel ist Teil eines großen Expertenteams: Im KAHR-Projekt arbeiten – neben dem GFZ – zwölf weitere Forschungsinstitutionen und Praxispartner. Sie begleiten gemeinsam den Wieder- und Neuaufbau der Flutregionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Das KAHR-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert; die Abkürzung steht für: Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz.

„Ein Hochwassermodell ist ein Modell, das simuliert, wie sich Wasser in der Landschaft verteilt. Das heißt: wie tief, wie schnell und wie weit das Wasser fließt. Das bedeutet, dass es die Dynamik und Ausbreitung eines Hochwassers auf einem Computer nachbildet", erklärt Apel die Grundzüge eines solchen Modells. „RIM2D steht für ‚Rapid inundation modelling', also frei übersetzt: ‚schnelles Überflutungsmodell'. Es ist ein Raster-basiertes Modell, in dem die Landschaft zweidimensional durch kleine rechteckige Pixel abgebildet wird."

Der Wissenschaftler zeigt auf das Computerbild und deutet auf die Zeitachse. Anhand dieser kann abgelesen werden, wann und wo sich das Flutgeschehen voraussichtlich ausbreiten wird. „Solche hydrodynamischen Modelle gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Im Normalfall haben sie jedoch lange Rechenzeiten," erläutert Dr. Heiko Apel weiter. „Es gibt sehr präzise Modelle, die alle Details wie Gullideckel und Bordsteinkanten berücksichtigen. Eingesetzt werden sie bisher aber vor allem in der Planung – zum Beispiel, wenn Abwassernetze geplant werden. Diese Simulationen brauchen jedoch sehr viel Zeit – das können inklusive der Modellerstellung Wochen oder sogar Monate sein – und man braucht extrem viele Daten. Durch die lange Rechenzeit sind diese Modelle für die Vorhersage nicht geeignet, da sich die Wetterlage laufend ändert, und die Hochwasserlage alle paar Stunden neu abgeschätzt wird und dann auch berechnet werden muss. Das ist anders mit dem von uns neu entwickelten Modell: Mit RIM2D kann das Flutgeschehen der nächsten 24 Stunden für einen typischen Anwendungsfall wie an der Ahr in weniger als einer Stunde, mitunter in wenigen Minuten, simuliert werden."

 

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Rekonstruktion des Flutgeschehens zwischen Altenahr-Sinzig als Simulation
Diese Simulation rekonstruiert das Flutgeschehen zwischen Altenahr und Sinzig. Im Rahmen des KAHR-Projekts erstellte das Deutsche GeoForschungsZentrum diese Simulation als Machbarkeitsstudie und setzte hier das neu entwickelte Modell RIM2D ein. Vorteil dieser Simulation: Sie zeigt, welche Ortsgebiete und Infrastruktur wie stark und wann vom Hochwasser betroffen sind – für die Vorhersage haben diese Informationen bislang gefehlt.© Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

Am GFZ ist Apel leitender Wissenschaftler in der Sektion Hydrologie, der Wissenschaft des Wassers. Er lehnt sich in seinen Stuhl zurück, bereit die Hintergründe aus der Perspektive eines Wissenschaftlers und (Mit-)Entwicklers von RIM2D darzulegen: „Wir sind hingegangen und haben vereinfachte mathematischen Modelle, die hinter der Hydraulik stehen, in ein rasterbasiertes Simulationsmodell umgesetzt. Es gibt digitale Geländemodelle in verschiedenen Auflösungen. Wir rechnen nicht mit der feinsten, aber auch nicht mit der gröbsten Auflösung. Für unsere schnellen Simulationen ist die mittlere Auflösung ideal geeignet, um einen Fluss wie die Ahr und die wichtigsten Straßen darzustellen. Mit den mathematischen Gleichungen der Hydraulik kann dann simuliert werden, wo sich Wasser in den benachbarten Regionen verteilt – zum Beispiel in dem Fall eines Starkregenereignisses. Eine weitere Neuerung ist, das Modell nicht mehr auf normalen Computerprozessoren laufen zu lassen, sondern auf Grafikprozessoren. Diese haben den Vorteil, dass sie ganz viele Prozessoren haben und damit die Berechnungen für jede Gitterzelle zeitgleich durchgeführt werden. So erhalten wir schneller aussagekräftige Vorhersagen."

Im Unwetterfall – von der ersten Niederschlagsmeldung bis zum Eintreten des Flutgeschehens

Die Hochwasservorhersage in Deutschland ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich institutionell verankert, in den Grundzügen jedoch ähnlich: So gibt es zunächst die Wettervorhersage des Deutschen Wetterdienstes, die für die kommenden drei Tage gilt und im 3-Stunden-Takt veröffentlicht wird. Bei einer Unwetterwarnung übernimmt die Hochwasserzentrale des betroffenen Bundeslandes diese Vorhersagen und spielt die Daten des Deutschen Wetterdienstes in ihre eigenen, jeweils landesspezifischen, hydrologischen Modelle ein. Daraus werden die Vorhersagen für ausgewählte Flusspegel berechnet. Diese Vorhersagen werden dann an die betroffenen Kommunen und zuständigen Behörden übermittelt, die sicherstellen, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Dr. Heiko Apel betont: „Die aktuell genutzten Modelle liefern Vorhersagen nur für ausgewählte Pegel, also nur für einen Punkt entlang des Flusses. Für das untere Ahrtal gibt es beispielsweise nur die Vorhersage für den Pegel Altenahr. Was fehlt, ist die Information, was dieser Pegelstand bedeutet, ob es zu einer Überflutung kommt und – wenn ja – wo diese stattfindet. Genau an dieser Stelle setzt das neue Modell RIM2D an: Es nimmt die vorhergesagten Wasserpegel als Randbedingung und simuliert auf dieser Basis die Ausbreitung des Hochwassers, also welche Flächen und Ortsgebiete überflutet werden – und welche voraussichtlich verschont bleiben. Natürlich kann es auch hier Abweichungen geben – es ist schließlich ein Modell und nicht die Realität, sodass Unsicherheiten in der Vorhersage enthalten sind. Jedoch können die Auswirkungen zum Beispiel bei einem Starkregenereignis besser verdeutlicht werden. Da die Berechnungen im 3-Stunden-Takt laufen, bedeutet das: Je näher also ein mögliches Flutereignis heranrückt, desto geringer werden Unsicherheiten. Die Simulation, die man über RIM2D erhält, wird dann ebenfalls immer präziser."

Der Diplom-Geoökologe lässt seinen Blick wieder auf den Bildschirm schweifen: „Mit diesen detaillierteren Ergebnissen haben die Kommunen deutlich bessere Informationen zum Überflutungsgeschehen und können adäquat bei der Katastrophenvorsorge handeln. Die Bevölkerung kann dadurch über regionale oder mediale Warnsysteme über die Gefährdungslage mit zuverlässigeren Informationen und Handlungsanweisungen versorgt werden.

Das Modell „füttern"

Um das Modell RIM2D für ein Gebiet aufsetzen zu können, braucht es drei Datensätze, die in den meisten Fällen auch frei zugänglich sind. Apel zählt sie auf: „Es braucht ein digitales Geländemodell, das oft selbst von den Behörden erstellt wird und damit zur Verfügung steht. Dann braucht man ein Gebäudekataster – da haben wir zum Beispiel für unsere Simulation mit Open Street Maps gearbeitet. Oder man greift auf das offizielle Kataster zurück, worauf auch die zuständigen Behörden Zugriff haben. Darüber hinaus sind Daten zur Landnutzung wichtig, die auch deutschland- und europaweit vorliegen. Hier geht es zum Beispiel um Informationen, welche Flächen versiegelt sind und welche nicht, und welche Beschaffenheiten diese Flächen haben. Weitere Daten wie zum Beispiel zum vorhandenen Stadtentwässerungsnetz können eingepflegt werden, um noch detailliertere Ergebnisse zu erhalten."

Vom Modell zur praktischen Anwendung

Die technischen Voraussetzungen für die Anwendung des Modells sind überschaubar: Man benötigt lediglich einen Computer mit einem Linux-Betriebssystem und speziellen Grafikprozessoren. „Wir propagieren, solche schnellrechnenden Modelle wie RIM2D als Standard mit in die Hochwasservorhersage zu implementieren – sie können in dem Prozess ein echter Game-Changer sein," so Dr. Heiko Apel. „Da bewegt sich momentan auch einiges. Zum Beispiel hat der Landtag Nordrhein-Westfalens in einem 10-Punkte-Plan nach der Flutkatastrophe 2021 festgelegt, dass künftig Vorhersagen, die durch solche schnell-rechnenden Modellsimulationen abgeleitet werden können, einbezogen werden sollen. Wichtig ist es, dass hierfür ein rechtlicher Rahmen geschaffen wird. Ich bin wirklich zuversichtlich, dass dies in den kommenden Jahren überall auch eingesetzt wird. Aktuell ist es unser Ziel als Forschungsinstitut, diese Software für RIM2D als Open Source anzubieten."
Neben der Hochwasservorhersage im Unwetterfall sieht Apel einen weiteren Anwendungsfall für das Modell: „Durch den Klimawandel werden Starkregenereignisse immer häufiger und intensiver. Das Thema ‚Überflutungsrisiken' wird demnach nicht nur für Städte und Kommunen, die an einem Fluss liegen, immer drängender, sondern auch für Städte, die sehr viele Flächen versiegelt haben – also durch Straßen, Gebäude etc. bebaut oder asphaltiert sind. Auch hier kann RIM2D genutzt werden, um mögliche Starkregenszenarien durchzurechnen und so Maßnahmen zur Starkregen-Vorsorge treffen."