„Smart Tools“ für eine wassersensible Stadtentwicklung

Sturzfluten und Überschwemmungen, die durch Starkregen verursacht werden, haben in den letz-ten Jahren vermehrt zu großen Schäden an Gebäuden, Verkehrswegen und anderen Infrastruktu-ren in städtischen Gebieten geführt. Das Forschungsprojekt FloReST entwickelt in enger Zusammenarbeit mit fünf Pilotgemeinden in Rheinland-Pfalz intelligente Werkzeuge, um Kommunen besser auf Wasser-Extremereignisse vorzubereiten. Eine große Rolle spielen dabei auch neue Tools zur Risikokommunikation.

Von Starkregen spricht man, wenn es in kurzer Zeit intensiv und örtlich begrenzt regnet. Kann das Wasser nicht schnell genug versickern oder abfließen, können gefährliche Sturzfluten entstehen. Diese bahnen sich unkontrolliert einen Weg durch das Gelände und reißen alles mit, was nicht fest genug verankert ist. Vorkehrungen zu treffen ist schwer: Sturzfluten sind kaum vorhersehbar und können sogar weit entfernt von Gewässern auftreten. Herkömmliche technische Rückhaltesysteme sind mit Sturzfluten überlastet. Um den städtischen Raum an zunehmende Starkregenereignisse anzupassen, müssen die technischen Maßnahmen mit weiteren Elementen kombiniert werden. Das Verbundprojekt „Urban Flood Resilience – Smart Tools" (FloReST) setzt hierfür auf digitale Technologien. Mithilfe intelligenter Werkzeuge sollen Fließwege von Wasser innerhalb von Ortschaften identifiziert und auf dieser Grundlage sogenannte Notabflusswege ausgewiesen werden.

Wassersensible Stadtplanung mit Notwasserwegen

„Notabflusswege sind wesentliche Elemente einer wassersensiblen Stadtentwicklung. Sie leiten Wassermassen möglichst schadlos oberirdisch durch Siedlungsgebiete und schützen auf diese Wei-se wichtige Infrastrukturen", sagt Prof. Dr.-Ing. Lothar Kirschbauer von der Hochschule Koblenz, die das interdisziplinäre Projekt FloReST koordiniert. Zur Ausweisung von Notabflusswegen verfolgen die Forschenden verschiedene neue Ansätze. Als Grundlage werden detaillierte Daten zu allen Strukturen benötigt, die in einem Gelände den Wasserabfluss beeinträchtigen. Frei verfügbare Geodaten und übliche digitale Geländemodelle reichen dafür nicht aus. „Deshalb haben wir im Projekt verschiedene Anwendungen entwickelt, die hochaufgelöste Fließwege als Datengrundlage zum Schutz der innerörtlichen Infrastruktur liefern können", erläutert Prof. Dr.-Ing. Kirschbauer. „Eine Methodik zur mobilen Fließwegkartierung ermöglicht zum Beispiel, auch sehr kleinräumige Fließhindernisse und Bruchkanten im Geländeverlauf, die potenziell kritische Bereiche darstellen, mit verhältnismäßig geringem Zeitaufwand und Personaleinsatz genau zu dokumentieren."

Die hochaufgelösten Geländeaufnahmen nutzen die Forschenden für eine computergestützte Simulation von Fließwegen. Neben klassischen Modellierungen, die in der Regel sehr zeitaufwändig sind, setzen sie hierfür auch künstliche Intelligenz ein. Methoden des maschinellen Lernens helfen dabei, Fließwege schneller zu simulieren, indem sie Muster in den Geländedaten erkennen. Im nächsten Schritt gleichen die Forschenden die Simulationen mit experimentell ermittelten Daten ab. Hierzu werden sogenannte Dotierversuche durchgeführt. „Wir leiten erwärmtes Wasser auf eine Straße und verfolgen seine Fließspur mit einer Drohne, die mit einer Wärmebildkamera ausgestattet ist", führt Prof. Dr. Tobias Schütz von der Universität Trier das Verfahren aus. Er ist mit seinem Team im FloReST-Verbund zuständig für diesen Teilbereich. „Mit Thermalbildern und hochaufgelösten Geländeaufnahmen können Fließwege präzise bestimmt und kritische Punkte in der Infrastruktur detailgenau identifiziert werden."

Greifbare Maßnahmen für die Risikokommunikation

Neben diesen Werkzeugen, die vor allem auf Fachplaner in Kommunen und Ingenieurbüros abzielen, entwickelt FloReST auch Kommunikations-Tools, die explizit das Wissen und die Erfahrungen von Bürgerinnen und Bürgern in den Untersuchungsgebieten einbeziehen. „Unser Ziel ist es, die Bevölkerung aktiv in die Vorsorge gegen Starkregen einzubinden, um so ein stärkeres Bewusstsein für damit zusammenhängende Gefahren zu schaffen und damit auch letztlich zur Eigenvorsorge anzuregen", so Prof. Dr. Peter Fischer-Stabel vom Umweltcampus Birkenfeld der Hochschule Trier. Er koordiniert den Projektbereich Risikokommunikation. Zu diesem Zweck wurde eine SmartApp entwickelt, die sich aktuell in der Testphase befindet. Damit können Nutzer lokale Problemstellen wie überflutete Straßen oder verstopfte Durchlässe direkt an die Behörden melden. Eine Android-Version der App ist bereits verfügbar. Rückmeldungen dazu helfen dem Projektteam bei der Weiterentwicklung. Das Feedback kann über einen in der App integrierten Fragebogen mitgeteilt werden.

Eine wortwörtlich greifbare Maßnahme zur Risikokommunikation, die im Rahmen der Umweltbildung eingesetzt wird, ist der Augmented Reality (AR) Sandkasten: Auf die Sandoberfläche wird das zuvor berechnete Geländemodell das Sandes projiziert. Es zeigt unterschiedliche Höhen im Gelände mit verschiedenen Farben an. Spreizt man die Hand über eine beliebige Position des Sandkastens, lässt das Programm genau an dieser Position einen simulierten Regen entstehen. Dadurch kann beobachtet werden, wie sich das Wasser seinen Weg zu den tiefsten Punkten im Gelände sucht. „Der AR-Sandkasten zeigt, wie bereits kleine Veränderungen im Gelände die Abflusswege erheblich beeinflussen können. So können sich insbesondere auch Kinder und Jugendliche dem Thema Starkregen und Wasserabfluss spielerisch nähern", beschreibt Prof. Dr. Fischer-Stabel den Zweck der Maßnahme. Mit digitalen „StoryMaps" hat das FloReST-Team ein weiteres online Tool für die Risikokommunikation mit jüngeren Zielgruppen entwickelt. Die Auswirkungen von Maß-nahmen zur Starkregenvorsorge werden in den StoryMaps anhand von interaktiven Karten und multimedialen Inhalten wie Text, Bilder oder Videos anschaulich präsentiert.

Zentrale Datenbank bündelt alle Informationen

Alle in FloReST erzeugten Daten und Anwendungen zur Planungs- und Entscheidungsunterstützung werden in einer zentralen Geo-Datenbank, einem sogenannten GeoDataWarehouse, gesammelt und kommunenspezifisch aufbereitet. Über verschiedene Rechte sollen Kommunen und Ingenieurbüros sowie auch Bürgerinnen und Bürger darauf zugreifen können. „Mit unseren Smart Tools schaffen wir ein digitales, zentral zur Verfügung stehendes Angebot zur Hochwasser- und Sturzflutvorsorge. Kommunen und Ingenieurbüros beziehungsweise Planer können Problemstellen identifizieren und ihre Ressourcen effektiver einsetzen", fasst Prof. Dr.-Ing. Kirschbauer zusammen. Bis Ende der Projektlaufzeit im Frühjahr 2025 sollen noch letzte Optimierungen der Methoden und Werkzeuge zur Fließwegeermittlung und der App erfolgen sowie ein Leitfaden zur Anwendung der Tools erstellt werden.

Hintergrund

Das Projekt „Urban Flood Resilience – Smart Tools" (FloReST) ist eines von insgesamt zwölf Verbundvorhaben, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Fördermaßnahme „Wasser-Extremereignisse" (WaX) unterstützt werden. Im Rahmen von WaX fließen 25 Millionen Euro in innovative Monitoring-, Vorhersage- und Kommunikationskonzepte, klimaangepasste Wasserinfrastrukturen sowie Betriebs- und Risikomanagementstrategien. Die zwölf Forschungsprojekte sind zwischen Februar und April 2022 gestartet und haben eine dreijährige Laufzeit.