Nicht warme Korallenriffe sondern eisige Polarmeere sind Zentren der Artentstehung für marine Fische

Warme tropische Küstenmeere sind die Heimat von bis zu 1000-mal mehr Arten von Fischen als die kalten Polarmeere. Die Abnahme der Artenzahl von den Tropen zu den Polen ist in der Biodiversitätsforschung schon lange bekannt und wird in den meisten Lehrbüchern mit einer höheren Entstehungsrate neuer Arten in warmen Korallenriffen, Lagunen oder Mangrovenwäldern erklärt. Eine neue Studie hat jetzt aber herausgefunden, dass in den letzten Millionen Jahren die Entstehung neuer Arten in kalten Gewässern in hohen Breitengraden etwa zweimal höher war als in den Tropen. Die Ergebnisse werden am 5. Juli in der internationalen Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Die Tropen gelten als besonders artenreich, ob an Land im Regenwald oder in den Korallenriffen unter Wasser. Dagegen werden die Polargebiete mit ihrem lebensfeindlichen Klima an Land wie im Wasser nur von wenigen Organismen bevölkert. Daher erscheint es auch nur logisch anzunehmen, dass neue Arten eher in den warmen Gefilden unseres Planeten entstehen, als in den Polarregionen. Eine neue Studie, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature erschienen ist, kommt zu einem gegenteiligen Ergebnis: gerade die eisigen Polargebiete gelten bei marinen Fischen als die Zentren für die Entstehung neuer Arten.

„Unsere Ergebnisse sind unerwartet und kontraintuitiv“ gibt Prof. Dr. Daniel Rabosky, Evolutionsbiologe an der Universität von Michigan, USA und Erstautor der Studie offen zu. „Eigentlich würde man erwarten, dass eine hohe Rate von Artentstehung auch zu einer hohen Anzahl von Arten führt“, so Rabosky weiter. Aber diese Rate hängt vom Gleichgewicht zwischen der Entstehung neuer Arten und dem Aussterben bestehenden Arten ab. Eine höhere Rate des Aussterbens in kalten Gewässern, zum Beispiel durch den Verlust von Lebensraum während der Eiszeiten, könnte das vermeintlich widersprüchliche Ergebnis von hoher Artentstehungsrate und geringer Artenzahl erklären. Raten des Aussterbens sind aber schwer zu bestimmen und liegen für marine Fische bisher noch nicht vor.

„Besonders wichtig für diese Studie war die Verfügbarkeit von möglichst vielen Daten über die globale Verteilung von marinen Fische“ sagt Dr. Rainer Froese, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Das GEOMAR hat zusammen mit internationalen Partnern die weltweit größte Datenbank für marine Fische, „FishBase“, aufgebaut. „Deren Informationen haben wir für die Studie bereitgestellt“, so Froese weiter.

„Mehr als 12,000 Karten sind in diese Studie eingeflossen“, erläutert Cristina Garilao, Meeresbiologin und Koautorin der Studie. Sie ist am GEOMAR zuständig für die Zusammenarbeit mit dem FishBase Informationssystem und insbesondere für die Dokumentation der globalen Verbreitung der Meerestiere, eine wesentliche Voraussetzung für die Machbarkeit der neuen Studie.

„Diese Studie ist ein Meilenstein in der Erklärung der Verteilung von biologischer Vielfalt auf unserem Planeten. Ohne ein Verständnis, wie diese Vielfalt entsteht, nämlich durch biologische Evolution, ist auch kein wirksamer Schutz möglich. Diese Studie liefert weitere wichtige Argumente für einen verbesserten Schutz der Polarregionen, in denen die Artbildungsraten offenbar sehr hoch sind“, resümiert Professor Thorsten Reusch, Evolutionsbiologe am GEOMAR.
Originalpublikation:
Rabosky, D.L., J. Chang, P.O. Title, P.F. Cowman, L, Sallan, M. Friedman, K. Kaschner, C. Garilao, T.J. Near, M. Coll, M.E. Alfaro, 2018: An inverse latitudinal gradient in speciation rate for marine fishes. Nature. DOI: 10.1038/s41586-018-0273-1