Per Klick zum neuen Stadtquartier

Wohnungsnot, Wirtschaftswachstum – Städte und Gemeinden brauchen Bauland. Zum passenden Standort verhilft das Online-Tool Projekt-Check. Per digitalem Blick öffnen Forschende die analoge Zukunft. Klick für Klick.

Der erste Klick. Eine Landkarte erscheint. Dazu die Frage nach dem Ort des Bauvorhabens. Zum Beispiel „Neustadt“. Klick. Rund 3.800 Einwohner im Jahr 2008, Tendenz seitdem leicht fallend, antwortet der Computerbildschirm zunächst mit einer Kurvengrafik. Dazu gibt es die Auskunft über lokale Arbeitsplätze und Pendlerströme. Grafik zwei zeigt, wie die Gemeinde Neustadt ihre Flächen derzeit nutzt: 69 Prozent Landwirtschaft, 21 Prozent Wald, acht Prozent Verkehr, vier Prozent für Wohnraum. Der Ist-Zustand, kurz, übersichtlich.

Von hier aus führt der nächste Klick in die Zukunft. Per Mouse oder Finger lässt sich im Stadtplan Neustadts auf dem PC-Bildschirm ein geplantes Wohngebiet einzeichnen. Zum Beispiel: Fünf Hektar groß, Einfamilienhäuser als Doppelhaushälften, bezugsfertig in zwei Jahren. Auf dem Bildschirm erscheint, Klick, die Analyse. Sie zeigt, wie das neue Quartier an diesem Standort in Stadt und Umfeld passen würde. Was kostet es, was bringt es ein?

Steckbrief im Schnell-Check

„Projekt-Check ist eine Entscheidungsunterstützung für Kommunen, Planungsbüros und Investoren“, sagt Stadtplaner Thomas Krüger von der HafenCity Universität Hamburg, „unter mehreren Standorten lässt sich schnell der geeignete herausfinden“. Das gilt für Wohnstandorte ebenso wie für Gewerbe und Supermärkte. Krüger hat das Web-Tool gemeinsam mit Wissenschaftlern des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund entwickelt. Das Bundesforschungsministerium fördert das Vorhaben. Für mehrere Kriterien, sogenannte Wirkungsbereiche, haben die Forschenden Daten ausgewertet und aufbereitet, zum Beispiel für Bevölkerung, Erreichbarkeit, Verkehr, Auswirkungen auf Natur und Landschaft; Kosten der Infrastruktur, Einnahmen. Diese fügen sich zu einem Steckbrief, mit dem sich einschätzen lässt, wie nachhaltig attraktiv ein Standort ist. Krüger: „Das vermeidet schon am Beginn eines Bauvorhabens Fehlplanungen und unnötige Kosten.“

Die Analyse des Beispiels Wohngebiet in Neustadt zeigt, Klick, per Grafik, wer dort wohnen könnte. Rund 300 Menschen in etwa 100 Wohnungen. Etwa 100 davon sind beim Einzug unter 18 Jahre. In 25 Jahren würde der Anteil der über 65jährigen deutlich höher liegen. Ein erster Hinweis, welche soziale Infrastruktur zu welchem Zeitpunkt für das Quartier gebraucht würde. Kitas, Schulen, Seniorentreffs, beispielsweise. Der nächste Klick führt zur Erreichbarkeit. Wie weit liegen Supermärkte, Ärzte, Kino oder Dienstleister entfernt? Je näher und fußläufiger die Einrichtungen des Alltags, desto attraktiver ist der potenzielle Standort für Bewohner. Eine Prognose des Verkehrs schließt sich an. Auf dem Stadtplan leuchten die Verkehrsknoten auf, an denen es sich künftig ballen oder gar stauen könnte. Ein Hinweis, wie Verkehr gelenkt werden müsste und welche Investitionen dafür notwendig sind.

Grundlage für detaillierte Planung

„Der Vorteil von Projekt-Check ist, dass es einen schnellen Überblick über lokale Daten, mögliches Bauvolumen und Infrastrukturkosten gibt“, sagt Felix Nolte von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Bielefeld. Der Verkaufsleiter für Liegenschaften des Bundes in Ostwestfalen hat mit Projekt-Check gearbeitet – und es auch in seiner Dissertation empfohlen. Denn auch für bereits bestehende Bauten bietet das Tool den digitalen Blick in die Zukunft. Wie attraktiv sind sie für neue Nutzung; mit welchen Kosten ist eine Grundstücksentwicklung verbunden? Daten, die auch für Andre´ Stangier einen ersten Eindruck zum Nutzwert von Flächen und Gebäuden geben. Der Projektleiter bei der Bahnflächen-Entwicklungs-Gesellschaft NRW veräußert Liegenschaften, die von der Bahn nicht mehr genutzt werden. Projekt-Check gibt ihm für alte Güterbahnhöfe oder freie Flächen erste Hinweise, was machbar wäre. „Eine gute Grundlage, um dann in die detaillierte Planung zu gehen“, sagt Stangier.

Der nächste Klick in Neustadt, zum Kriterium Umwelt und Ökologie. Der Bildschirm zeigt, welche Auswirkungen das neue Quartier auf Landschafts- und Naturräume haben könnte. Kollidiert es mit Naturschutz? Wie stark würde es in natürliche Flächen eingreifen oder neue versiegeln? Welche Chancen hätte es also, genehmigt zu werden bzw. was müsste an Ausgleich in der Natur geschaffen werden?

Nachhaltiger Überblick

„Projekt-Check hat uns einen Beitrag zum Erhalt von Grünflächen geliefert“, sagt Solingens kommissarischer Stadtdienst-Leiter für Natur und Umwelt, Peter Vorkötter. Die Stadt prüfte damit vier potenzielle Gewerbegebiete mit einer Gesamtfläche von 34 Hektar, auf einem Grünzug mit land- und forstwirtschaftlicher Nutzung. Die Planenden betrachteten das Vorhaben in seiner Gesamtheit, systematisch und nachhaltig. Neben den ökologischen Auswirkungen auch die sozialen – die erwartbaren Arbeitsplätze – und ökonomisch: finanziellen Aufwand und Nutzen. Danach beschloss der Stadtrat, lediglich zwei der vier Gebiete weiter zu planen. Ein „Novum“ war diese Herangehensweise des Projekt-Checks, so Vorkötter.

Klick. In Neustadt weiter zu den Finanzen. Zunächst die Folgekosten. Neustadt brauchte 600.000 Euro für Straßenbau im Quartier, rund 400.000 für den Unterhalt in den nächsten 25 Jahren. Neue Kanalisation kostet 300.000 Euro, Trinkwasserleitungen 150.000 Euro, Stromleitungen 60.000 Euro – mit Analyse für die nächsten 25 Jahre.

Der letzte Klick. Was bringt das neue Wohnquartier der Stadt finanziell? Üblicherweise mehr Kosten als Einnahmen, antwortet Projekt-Check. Es sei denn, der Gemeinde gehören die entsprechenden Flächen oder zumindest ein Anteil davon. Wie das im Detail aussehen könnte, dazu verlinkt Projekt-Check auf den Profi-Check. Denn von dem vorausschauenden Tool gibt es zwei Varianten. Den schnellen, frei zugänglichen Web-Check, und einen vertiefenden Profi-Check. Der enthält weitere Parameter zur Einschätzung von Standorten, etwa: welche Folgen neue Supermärkte für Kommunen, Bevölkerung und Infrastruktur haben.

An dieser Profi-Variante arbeiten Krüger und sein Team derzeit weiter, weil die Zusatzsoftware nicht alle Kommunen und Planungsbüros in Deutschland besitzen. Derzeit entsteht eine frei verfügbare Open-Source-Variante, die Anfang 2020 fertig sein soll. „Der Bedarf für den Projekt-Check ist da. Auch, weil er ein Schritt in Richtung Digitalisierung der räumlichen Planung ist “, sagt Krüger und fasst damit seine Erkenntnisse aus vielen Treffen und Tagungen zusammen, auf denen er das Tool vorstellte. Auch an Universitäten wird der Projekt-Check inzwischen genutzt und ist Lehr-Gegenstand für Stadt- und Regionalplaner.

Einfach, übersichtlich, konsequent: Der Web-Check für das Neustädter Wohngebiet dauert keine zehn Minuten. Das Ergebnis ist downloadbar. Mit einem Klick.