Monatsthema Oktober "Ernährungssicherheit": Die Nahrung der Zukunft

Am 16.10. war Welternährungstag. Er soll daran erinnern, dass weltweit noch immer eine große Anzahl Menschen an Hunger leiden. Ernährungssicherung ist ein wichtiger Schwerpunkt der Bioökonomie-Forschung der Bundesregierung. Wie können auch zukünftige Generationen mit ausreichend gesunden Lebensmitteln versorgt werden? Das Forschungsvorhaben Food4Future (F4F), welches im Rahmen der Fördermaßnahme "Agrarsysteme der Zukunft" mit rund 5,7 Millionen Euro im vom BMBF gefördert wird, untersucht eine Vielzahl spannender Ansätze.

Projektkoordinatorin Professorin Monika Schreiner vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) erzählt im Interview mit PTJ, welche Lebensmittel zukünftig fester Bestandteil unserer Ernährung sein können und wieso hierfür auch alte U-Bahn Schächte nützlich sind.

Frau Prof. Schreiner, ihr Forschungsprojekt trägt den Namen „Food4Future". Wie sieht sie aus, die Nahrung der Zukunft?
Wir gehen davon aus, dass wir in Zukunft alternative Nahrungsmittel brauchen. Wie der Forschungsname verrät arbeiten wir dabei mit vier unterschiedlichen Organismen: Grillen, Quallen, Makroalgen und Halophyten. Halophyten sind Pflanzen, die auf salzhaltigen Böden wachsen. Auch Quallen und Makroalgen leben im Salzwasser. Wir verfolgen bei „Food4Future" zwei Ansätze, den des „Natural Food" und den des „Designed Food". Beim „Natural Food" geht es darum, den ursprünglichen Organismus im Lebensmittel zu erhalten. So könnte Ihnen beispielsweise schon bald ein Halophyten-Smoothie den Start in den Tag erleichtern oder ein Makroalgen-Brot beim Bäcker begegnen. Dazu noch ein Makroalgen-Pesto zum Mittag, danach Kekse aus Grillen. Letztere werden bereits als Mehl in Müsli-Riegeln verarbeitet. Einige Nahrungsmittel lassen sich direkt verzehren, beispielsweise Quallen oder Halophyten wie der Meeresspargel. Das ist für den europäischen Gaumen vielleicht noch ungewohnt, aber in Japan und anderen asiatischen Ländern sind das alltägliche Nahrungsmittel. Den zweiten Ansatz bezeichnen wir als „Designed Food". Dies wird Ihnen möglicherweise in Form von Proteinshakes begegnen. Sie werden nicht bemerken, dass Sie Insekten, Quallen oder Makroalgen zu sich nehmen. Die Intention ist, die notwendigen Nährstoffbedürfnisse mit einem designten und optimierten Lebensmittel zu befriedigen.

Warum brauchen wir künftig solche alternativen Nahrungsmittel?
Wir haben bei „Food4Future" Zukunftsszenarien aufgestellt, welche die Herausforderungen einer künftigen Ernährungssicherung aufgreifen. Sie beinhalten beispielsweise, dass mit einer wachsenden Bevölkerung Land immer knapper wird. Zudem könnte Frischwasser rar werden, daher haben wir an Salzwasser angepasste Organismen gewählt, wie die Halophyten oder Makroalgen. Auch der Trend zur Urbanisierung braucht neue Konzepte für die Ernährungssicherung. Bereits heute leben schon mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Das bedeutet, dass eine nachhaltige und ressourcenschonende Produktion auch im urbanen Raum stattfinden muss – dort, wo konsumiert wird. Darüber hinaus haben wir bei unseren Szenarien die zunehmend schwierigen Handelsbeziehungen berücksichtigt. Wir denken dabei an den Brexit, aber auch an den Handelskrieg zwischen Amerika und China. Diese haben schon jetzt globale Auswirkungen, die sich noch verstärken werden. Auch die Folgen des Klimawandels wie mögliche Überflutungen können die Landnutzung beeinflussen und letztlich Handelsbeziehungen verändern. Das hat Einfluss auf unser Nahrungsangebot. Wir glauben, dass dies zu einer verstärkten lokalen Produktion führen wird. Diese Zukunftsszenarien müssen nicht auftreten, aber wir wollen Lösungen bereithalten.

Nun sind Makroalgen, Halophyten, Quallen und Insekten zumindest in Deutschland keine typischen Lebensmittel, die man im Supermarkt bekommt. Wo werden diese in Zukunft produziert, wo kann ich sie kaufen?
Aufgrund der zunehmen Urbanisierung denken wir darüber nach, wie wir die Produktion alternativer Lebensmittel in die Städte holen können. Wir wollen dazu natürlich keinen Wohnraum wegnehmen. Wir versuchen vielmehr Flächen zu erschließen, die nicht oder nicht mehr genutzt werden. Das kann im stadtplanerischen Maßstab sein, beispielsweise Begleitflächen an S-Bahn-Strecken oder alte Industrieanlagen. In Berlin gibt es zum Beispiel Tunnelsysteme, die ehemals für die U-Bahn gebaut wurden und so einer neuen Nutzung zugeführt werden könnten. Aber wir wollen auch auf den Level der Haushalte gehen. Stellen Sie sich vor, dass Ihr Kühlschrank einen Aufsatz hat, in dem Halophyten wachsen. Dort holen sie sich frisch die Pflanzen für Ihren Halophyten-Smoothie. Oder Sie haben dort eine Box mit Grillen für Ihren Proteinshake, der die Milch ersetzt. Alles ganz frisch.

Diese Visionen benötigen ganz neue Produktionssysteme. Welchen Ansatz verfolgen Sie bei „Food4Future" dazu?
Wir konzipieren in „Food4Future" auch neue Produktionssysteme. Dazu verwenden wir innovative Materialien und Lichtsysteme. Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung entwickelt dafür entsprechende Composit-Leichtbauwerkstoffe. Diese sind individuell formbar, leicht, witterungsbeständig und lassen Licht in unterschiedlichen Wellenlängen durch. Wir sind dabei, Prototypen zu entwickeln, die für Halophyten, Quallen, Makroalgen und Grillen geeignet sind. Wir wollen dann versuchen, diese Einzelkompartimente modular im System zusammenzuschließen.

Neben den Produktionssystemen soll zudem ein System entwickelt werden, über das der Verbraucher Ernährungsempfehlungen erhält. Wie kann man sich das vorstellen?
Es geht uns ja nicht nur darum, alternative Nahrungsquellen ausfindig zu machen, sondern künftige Generationen gesund und ausgewogen zu ernähren. Wir arbeiten dazu mit der Telematik der Hochschule Wildau und dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung zusammen. Es gibt bereits heute schon tragbare Sensoren, die beispielsweise Informationen über den Blutzuckergehalt oder Lactatwerte geben. Wir wollen diese bündeln, sodass sie Auskunft über den aktuellen Status der Nutzenden geben und diese mit Empfehlungen für eine optimale Ernährung verknüpfen. Ich wünsche mir beispielsweise, irgendwann eine Nachricht von einer App zu meinem Ernährungsstatus zu erhalten, um dann zu sehen, ob ich ausreichend mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt bin. Dann esse ich einen Riegel mit Grillenprotein und bin topfit für den Tag.

In „Food4Future" soll auch das Entscheidungsverhalten von Konsumenten analysiert werden. Glauben Sie, dass sich diese alternativen Lebensmittel durchsetzen können?
In unserem so genannten F4F-Econ-Lab („econ" von economy) am IGZ wird getestet, was bei den Menschen ankommt. Was akzeptieren sie? Uns ist klar, es muss auch schmecken. Die beiden Ansätze „Designed Food" und „Natural Food" unterscheiden sich dabei. Bei „Designed Food" geht es in erster Linie darum, die Ernährungsbedürfnisse des Menschen zu befriedigen und zwar sinnvoll, ohne dass eine Fehlernährung entsteht. Bei „Natural Food" kommt natürlich die Genusskomponente hinzu. Wir denken in „Food4Future" schon, dass sich alternative Nahrungsmittel durchsetzen können. Bereits in den letzten Jahrzehnten hat sich unser Essverhalten enorm gewandelt. Früher gehörte der Sonntagsbraten dazu, es gab keine to go-Produkte. Doch wie geht es weiter? Essen wir in Zukunft noch im Kreis der Familie, essen wir im Stehen? Welche Relevanz hat das Kochen mit Freunden? Auch veränderte klimatische Verhältnisse können Auswirkungen haben. Wie essen die Leute, wenn es wärmer wird? Es wäre ja möglich, dass wir morgens eine blaue Pille mit allen Nährstoffen einnehmen, aber dann zu besonderen Anlässen den Küstenspargel mit Quallensalat genießen. Ein verändertes Essverhalten könnte ein wichtiger Treiber von gesellschaftlichen Änderungen sein. Gleichzeitig glauben wir aber auch, dass neue Lebensmittel selbst zu einem anderen Essverhalten führen können.

Wann können wir den ersten Halophyten-Smoothie genießen?
„Food4Future" wird im Rahmen der BMBF-Maßnahme „Agrarsysteme der Zukunft" gefördert. Hier sind acht Konsortien, die ganz unterschiedliche kreative Ansätze für die Zukunft verfolgen. Diese Ansätze sind langfristig angelegt. Es ist vor allem wichtig, diese Zukunftsvisionen den Menschen möglichst plastisch näher zu bringen. Dazu entwickeln wir verschiedene Maßnahmen, die im nächsten Jahr vorgestellt werden. Wir wollen nicht zu viel verraten, aber es gibt viel zum Anfassen, Erfahren und zum Probieren. Dazu gehört auch der Halophyten-Smoothie.

Food4Future

Das Forschungsvorhaben „Food4Future" ist ein Verbundprojekt. Hier geht es zur Projektbeschreibung und zu den Partnern.

Nachrichten zum Monatsthema "Ernährungssicherung"