Vom Detail zum großen Ganzen – Brücken bauen in der Biodiversitätsforschung

Der weltweite Verlust der biologischen Vielfalt ist ein erhebliches Risiko für die Menschheit. Die wissenschaftliche Grundlage zum Verständnis von Struktur, Funktion und Empfindlichkeit der biologischen Vielfalt ist, trotz schwerwiegender Folgen menschlichen Handelns auf sie, immer noch unzureichend.

Biodiversität besteht aus vielen Organisationsebenen, von der genetischen Vielfalt innerhalb einer Art bis hin zur Vielfalt an Lebensräumen. Ändert sich ein Detail, so kann das weitreichende Auswirkungen auf das gesamte System haben. In der Forschung wurden bisher die Ebenen der Biodiversität meist getrennt betrachtet. Ein Austausch zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen wie der Genetik, der Zoologie sowie der Botanik und anderen findet kaum statt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewegen sich überwiegend in ihrer eigenen Disziplin. Doch um ein gesamtes System zu verstehen, muss man die verschiedenen Teile in ihren Wechselwirkungen betrachten.

Im BMBF-Verbundprojekt „Bridging in Biodiversity Science" (BIBS) steht der Austausch zwischen den Fachdisziplinen im Vordergrund, zwischen den untersuchten Lebensräumen, Betrachtungsebenen von Individuen bis hin zur Landschaftsebene und zwischen unterschiedlichen Lebensräumen, wie Wasser, Land und Boden werden Brücken gebaut. Ähnlich wie bei einem Puzzle ergeben erst die vielen, sehr verschiedenen Teile ein vollständiges Gesamtbild.

Einfluss von Mikroplastik in Kombination mit Trockenstress auf Pflanzen

In einem der Teilprojekte von BIBS stellten die Forschungsteams fest, dass Mikroplastik im Erdboden die Konkurrenzsituation zwischen Pflanzenarten verändern kann. Sie konnten beobachten, dass bei Anreicherung von Plastikpartikeln in der Erde einige Pflanzenarten besser und andere entsprechend schlechter wuchsen. Die Pflanzengesellschaft hatte sich verändert. Im gleichen Experiment wurde auch der Effekt von Trockenheit untersucht. Die zunehmende Trockenheit im Sommer ist nicht nur für Gartenbesitzer ein bekanntes Problem. Den Forschungsergebnissen zufolge macht es jedoch einen Unterschied für die Auswirkungen von Trockenheit auf das Wachstum, ob Mikroplastik in der Erde vorhanden ist. Unter Trockenheit litten im Experiment alle Pflanzen gleichermaßen, doch einige Arten hatten durch Mikroplastik im Boden einen Vorteil. Das Nachsehen hatten z. B. der Spitzwegerich und das Wollige Honiggras. Andere Pflanzen wie das Landreitgras oder das Kleine Habichtskraut profitierten besonders vom mit Mikroplastik angereicherten Boden. Die Häufigkeit von Pflanzenarten kann sich durch menschlichen Einfluss somit verändern.

Bestäuberschutz - nicht nur Honigbienen müssen geschützt werden

Welche Folgen eine veränderte Pflanzengesellschaft für den Menschen haben kann, zeigen neuartige Ökosysteme in Städten. Diese kommen zustande, weil sich z. B. die „alte" Pflanzenwelt mit neuen Umwelteinflüssen auseinandersetzen muss. Gleichzeitig kommen neue Pflanzen aus Gärten und Vogelfuttermischungen hinzu. Dabei entsteht eine hoch diverse Zusammenstellung von Pflanzenarten, die wiederum viele verschiedene Arten von Pollen produzieren. Damit steigt auch das Risiko, dass sich darunter Arten befinden, auf die manche Menschen allergisch reagieren. Aber Pollen sind auch eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Tiere. Eine im BIBS-Projekt untersuchte Gruppe sind Bestäuber, zu denen nicht nur Honigbienen, sondern auch Wildbienen, Schwebfliegen und andere Insekten gehören. Die meisten Strategien zum Bestäuberschutz kümmern sich aber vorrangig um Honigbienen. Wildbienen und Honigbienen stehen jedoch in Konkurrenz um Pollen und Nektar aus Blüten. Eine gute Strategie sollte also alle Bestäubergruppen berücksichtigen, damit die Biodiversität erhalten wird.

Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft

Das Verbundprojekt BIBS steht in direktem Austausch mit Behörden und Naturschutzorganisationen. So wird der aktuelle Wissensstand für politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zugänglich gemacht, gleichzeitig werden Fragen aus der Politik wieder zurück in die Wissenschaft gespiegelt. Ebenso beteiligen sich die BIBS-Forscherenden auch an Kursen für Schülerinnen und Schüler in Berlin. Ein Beispiel hierfür ist das NatLab, ein Mitmach- und Experimentierlabor. Zudem gibt es mehrere Citizen Science-Projekte, in denen sich viele Bürgerinnen und Bürger in Berlin aktiv in die Forschung einbringen, wie z. B. auf der Plattform Stadtwildtiere.

Hintergrund

Das BMBF fördert das Verbundprojekt Bridging in Biodiversity Science (BIBS) seit 2016 mit 10,5 Mio. Euro. Die zweite Phase wird seit März 2019 im Rahmen der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt gefördert. BIBS ist das Pilotprojekt des Berlin-Brandenburgischen Instituts für Biodiversitätsforschung, zu dem sich Universitäten und Forschungseinrichtungen in und um Berlin zusammengeschlossen haben, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zur Beantwortung von drängenden Fragen zur Biodiversitätskrise zusammenzuführen. Die wissenschaftlichen Impulse des Konsortiums sind hochaktuell.