Forschung in Zentralasien: "Wir beobachten beunruhigende Veränderungen"

Zentralasien leidet immer stärker unter Wasserknappheit. Warum ganze Seen verschwinden und welche Bedeutung sogenannte Kipp-Punkte im Klimasystem haben, erklärt Professor Erwin Appel von der Universität Tübingen im Interview mit bmbf.de. Der Geophysiker untersuchte eine Region in Zentralasien im Rahmen des BMBF-Forschungsprogramms CAME II.

Herr Professor Appel, sie erforschen, wie sich eine heute extrem trockene Region auf langen Zeitskalen verändert hat. Können Sie Ihr Untersuchungsgebiet in Zentralasien beschreiben?

Das Qaidam-Becken liegt im Norden des Tibet-Plateaus in Nordwest-China. Es ist eine wüstenartige Landschaft, die von großen Salzvorkommen geprägt ist. Bis vor zwei Millionen Jahren erstreckte sich dort ein riesiger See, obwohl die Region großräumig betrachtet damals schon sehr trocken war. Uns hat sich die Frage gestellt, warum der See letztlich verschwunden ist.

Was hat zum Verschwinden des Sees geführt?

Das Verschwinden des Sees hat mit einem regionalen Wasserrecycling zu tun. Ein großer Teil des verdunsteten Wassers wurde über einen sehr langen Zeitraum durch Niederschläge und Oberflächenabläufe in den See zurückgeführt und die Wasserbilanz war unter Einbeziehung von atmosphärisch importierter Feuchte positiv. Dies haben Klimamodelle im Rahmen unseres Projekts Q-TiP gezeigt. Dann kam es zu globalen Veränderungen, unter anderem mit Auswirkungen auf die atmosphärischen Zirkulationen. Als Folge dessen haben sich die im Tibet-Plateau vorherrschenden Westwinde verlagert, was wiederum zu geringeren Niederschlägen geführt hat.

Dieser Prozess hat schon zu Beginn des Pleistozäns, also vor rund 2,6 Millionen Jahren eingesetzt, erreichte aber erst vor wenigen 100.000 Jahren einen kritischen Zustand. Die Modelle verdeutlichen auch, dass sich die Entwicklung wieder umkehren kann. Derzeit wird in der Region fast wieder eine positive Wasserbilanz erreicht. Es könnte also sein, dass wieder ein See entsteht. Aber auch das geschieht auf langen Zeitskalen, da sich zunächst die Grundwasserleiter wieder auffüllen müssen.

Lassen sich diese Veränderungen auch in benachbarten Regionen beobachten?

In der tibetischen Hochebene beobachten wir seit Jahren beunruhigende Veränderungen. Die Gletscher in der Hindukusch-Himalaya-Region, die auch als der „dritte Pol" der Erde bezeichnet wird, schmelzen aufgrund des globalen Klimawandels. Auch der Zustand der Vegetation verschlechtert sich, wodurch sich die Speicherkapazitäten der Böden verringern. Das Tibet-Plateau hat eine herausragende Bedeutung für große Teile Asiens, da dort einige der wichtigsten Flüsse Asiens entspringen.

Was dort passiert, hat letztlich direkte Auswirkungen für viele Millionen Menschen und indirekt für mehr als eine Milliarde der Weltbevölkerung. Allerdings steht die Forschung bei der Suche nach den Ursachen für die Veränderungen erst am Anfang. Hier spielen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle. Mittlerweile wurde die Forschung zu diesem Thema in der internationalen Plattform „Third Pole Environment (TPE)" unter chinesischer Führung gebündelt. Unsere Forschungsarbeit leistet einen Beitrag zu diesem TPE-Programm.

 

Sie sprechen hinsichtlich des untersuchten Seegebiets von langen Prozessen. Gibt es in diesen Zeiträumen bestimmte Kipp-Punkte, die dazu führen, dass ein Klimasystem aus den Fugen gerät?

Der Begriff Kipp-Punkte wird in der Wissenschaft unterschiedlich ausgelegt und er erzeugt oft falsche Vorstellungen in der Öffentlichkeit. Ich spreche eher von Systemveränderungen, wenn es um Veränderungen des Klimasystems und dessen Auswirkungen geht. Grundsätzlich sind dafür bestimmte Treiber notwendig, die eine spezifische Antwort des gesamten Systems hervorrufen. Wenn diese Treiber eine bestimmte Grenze überschreiten, kann die Reaktion dramatisch ausfallen. Wird der ursprüngliche Zustand auch bei einer Rückveränderung der Treiber nicht mehr erreicht, dann hat man einen echten Kipp-Punkt. In der Folge können bestimmte Arten von Pflanzen und Tieren verschwinden, Landschaften können sich verändern und auch Lebensräume für Menschen werden bedroht.

Wie schnell laufen diese Prozesse ab?

Das ist völlig unterschiedlich. Die Biosphäre reagiert auf klimatische Veränderungen sehr schnell negativ. Und es dauert lange, bis diese Entwicklung wieder ins Gleichgewicht kommt. Aber es kann auch immer wieder zu positiven Veränderungen kommen; extrem trockene Gebiete können irgendwann wieder aufblühen. Durch eine Verschiebung bestimmter Steuerungsfaktoren kann sich auch die Sahara in ferner Zukunft in diese Richtung verändern.

Sie betrachten klimatische Veränderungen weit in der Vergangenheit. Wie gelingt die Rekonstruktion dieser Klimadaten?

Dazu analysieren wir Abfolgen von Sedimenten, zum Beispiel in Bohrkernen, aus denen sich klimatische Veränderungen über Jahrmillionen ablesen lassen. Natürlich sind das oft nur punktuelle Informationen, da Probebohrungen niemals flächendeckend, sondern nur in einem bestimmten Gebiet möglich sind. Wir erhalten somit keine räumlich verteilten Informationen. Es ist immer ein kleiner Ausschnitt, den wir sehen und aus dem wir unsere Schlüsse ziehen.

Reichen diesen Daten, um daraus Klimamodelle herzuleiten?

Man muss mit Klimamodellen vorsichtig sein. Da stecken sehr viele Parameter drin, die zu abweichenden Ergebnissen führen können. Das Klima hat sich zudem in der Vergangenheit niemals nur in eine Richtung entwickelt. Wenn es um eine komplexe Gesamtsicht der Klimaveränderungen geht, bezogen auf Veränderungen in der Geosphäre, Biosphäre und in den Ökosystemen, da stehen wir trotz aller Anstrengungen erst am Beginn der Forschung. Man muss immer die Unsicherheiten beachten. Daher liefern Wissenschaftler in den seltensten Fällen eindeutige Beweise, die von der Politik und Gesellschaft herangezogen werden können. Aber wir zeigen Wahrscheinlichkeiten auf.

Forschungsprojekt zu Kipp-Punkten

In der zweiten Phase des vom Bundesforschungsministerium geförderten Forschungsvorhabens CAME untersuchten Wissenschaftlerteams von 2016 bis 2019 in zwei großen Verbundprojekten mögliche Kipp-Punkte im Klimasystem und ihre Konsequenzen für Zentralasien. Die Forscherinnen und Forscher analysierten die Proben von Tiefbohrungen und kombinierten diese Erkenntnisse mit geomorphologischen Arbeiten und Klimamodellierungen. Daraus wurden Steuerungsfaktoren von Kipp-Punkten abgeleitet. Ziel ist, die Prognosen für künftige Klimaveränderungen in der Region zu verbessern und sie politischen Entscheidungsträgern zur Verfügung zu stellen.