Digitalisierung eines Rufbussystems - das Projekt Reallabor Altmarkkreis Salzwedel

Vereinfacht zeigt sich immer wieder in Mobilitätsstudien: Je kleiner die Wohngemeinde ist, desto häufiger wird der Pkw zur Fortbewegung verwendet. Die mangelnde Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs führt dazu, dass Kommunen mit herkömmlichen Angeboten eines Öffentlichen Personennahverkehrs bei der Erfüllung des Beförderungsauftrags teilweise an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit stoßen. Stellvertretend für viele ländliche Regionen in Deutschland, steht der Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt vor der Herausforderung Mobilität und Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen.

So genannte Mobility-on-demand Systeme in Großstädten zeigen, dass der Bedarf nach flexiblen Mobilitätsangeboten als Alternative zum Pkw wächst. Der Fahrplan dieser flexiblen Angebote richtet sich nach dem tatsächlichen Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer und nicht nach einem festen Fahrplan. Im Fokus des Forschungsprojekts Reallabor Altmarkkreis Salzwedel (RelAiS) der Sozial-ökologischen Forschung des BMBF steht die Digitalisierung des bestehenden Rufbus-Angebots zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Nahverkehrs. Das Projekt ist eines der rund 50 kommunalen Projekte, die in der „MobilitätsWerkStadt 2025" seit Anfang 2020 gefördert werden. Ziel des Projekts ist es, das bestehende Rufbusangebot nutzerfreundlicher zu gestalten und es zu flexibilisieren. Um die Anforderungen direkter Nutzerinnen und Nutzer (Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises) und indirekter Nutzerinnen und Nutzer (z.B. Volkshochschule) in der Entwicklung des Konzepts zu berücksichtigen, wird die partizipative Methodenkombination des Reallabors eingesetzt. Hierbei werden „Nicht-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler" in den Forschungsprozess einbezogen, um das Projekt aktiv mitzugestalten. Die Bürgerinnen und Bürger vor Ort sind Experten für ihre eigene Region und können ihre eigenen Bedürfnisse und Anforderungen mit einbringen! So können wichtige Randbedingungen und Wechselwirkungen mit Prozessen, soziale Dynamiken und Nutzungsbarrieren erfasst werden.

Untersuchung zum Mobilitätsverhalten im Altmarkkreis während der Corona-Pandemie

Während sich viele Studien den Veränderungen des Mobilitätsverhaltens als Folge der Corona-Pandemie widmen, fehlen bisher Studien aus ländlichen Regionen. Zudem mangelt es an Erkenntnissen zur subjektiven Sicht und der Wahrnehmung der Auswirkungen der Krise auf das eigene Verhalten. Im Projekt Reallabor Altmarkkreis Salzwedel (RelAiS) wurden deshalb eine telefonische Interviewstudie mit 15 Bewohnerinnen und Bewohnern des Altmarkkreises in Sachsen-Anhalt und eine Haushaltsbefragung mit 301 Befragten durchgeführt. Die Ergebnisse der beiden Studien liefern einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Studienteilnehmenden. Es wurde deutlich, dass fast zwei Drittel der Befragten keine Veränderung des eigenen Mobilitätsverhaltens als Reaktion auf die Corona-Pandemie wahrnahmen. Insgesamt fiel jedoch fast ein Drittel der Alltagswege weg. Die Befragten berichteten von einer Verringerung der Fahrten mit Auto, Bus sowie zu Fuß. Hingegen beobachteten sie eine Zunahme der Fahrten mit dem Fahrrad. Die Mehrheit der Befragten schätzte die Langzeiteffekte der Pandemie auf das eigene Mobilitätsverhalten als gering ein. Nur ein sehr kleiner Teil der Befragten kann sich vorstellen, dass sie auch zukünftig häufiger im Homeoffice arbeiten werden. Jedoch glauben einige Befragte, dass sie in Zukunft weniger fliegen und mehr Rad fahren werden.

Vorrangiges Ziel der Befragung war es, Anforderungen der Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises an den zukünftigen Rufbus zu ermitteln. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass eine Beförderung direkt von Tür zu Tür präferiert wird und eine Bestellung über eine App wünschenswert ist. Diese Anforderungen werden in einem nächsten Schritt in einem Workshop mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert. Ziel dieses Workshops ist es, Ideen für die Verbesserung des bestehenden Rufbussystems zu sammeln und Konzepte gemeinsam zu entwerfen.

In der möglichen Förderperiode ab 2021 soll das entwickelte Konzept des digitalisierten Rufbussystems zum Einsatz kommen. Neue Angebots- und Betriebskonzepte werden entworfen und mittels Simulationen auf ihre Vorteilhaftigkeit überprüft. Dabei gilt es, die wirtschaftlichen, verkehrlichen, nutzerseitigen, betrieblichen sowie ökologischen Auswirkungen mittels vorher definierter Indikatoren zu untersuchen. Denkbar sind dabei insbesondere Indikatoren, die eine Veränderung in der Länge der gefahrenen Strecke, die Anzahl der eingesetzten Fahrzeuge oder den Besetzungsgrad der Fahrzeuge erfassen.