Seismologie: Das Brummen eines zerbrechenden Alpengipfels

Am Hochvogel, einem markanten Allgäuer Gipfel, klafft ein immer größerer Felsspalt. Irgendwann wird die Bergspitze auseinanderbrechen. Wann dies passieren wird, versucht ein Forscherteam des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ mithilfe von speziellen Sensoren vorherzusagen.

Der Gipfel des 2592 Meter hohen Hochvogels ist ein beliebtes Postkartenmotiv. Was viele Touristen in den Allgäuer Alpen jedoch nicht erkennen, ist eine bedrohliche Kluft, die sich durch die Spitze des Berges zieht - ein Spalt von fünf Metern Breite und dreißig Metern Länge. Jeden Monat öffnet sich dieser Spalt um fünf Millimeter. Im Laufe der Jahre ist die südliche Seite des Berges schon um mehrere Meter abgesackt; irgendwann droht sie ganz in das österreichische Hornbachtal abzurutschen und 260.000 Kubikmeter Gestein in die Tiefe zu reißen.

Zwar würde dieser Felssturz keine Siedlungen oder landwirtschaftliche Gebäude gefährden, dennoch steht der Gipfel seit Jahren unter strenger Überwachung. Bislang ist ist unklar, wann dieser Abbruch bevorsteht. Um diese Ereignisse besser vorhersagen zu können, haben Forscherinnen und Forscher des Helmholtz-Zentrums Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) eine innovative Seisommeter entwickelt und im Jahr 2018 am Hochvogel installiert. Diese Geophone zeichnen selbst winzige Erschütterungen im Fels auf und verraten, wo sich Spannungen im Gestein aufbauen.

Im Fokus stehen die Eigenschwingung des Gipfels: Ähnlich wie bei einer mehr oder weniger straff gespannten Geigensaite ändert sich auch die Tonlage des Berges je nach Spannung im Gestein und lässt einzigartige Rückschlüsse auf die Entwicklung eines bevorstehenden Bergsturzes zu. So soll auch eine rechtzeitige Warnung möglich werden. Die Untersuchungen am Hochvogel sind als Studie im Fachmagazin „Earth Surface Processes and Landforms" erschienen.

Große Abbrüche von Felshängen passieren immer wieder. Weil sie plötzlich auftreten und dann mit hoher Geschwindigkeit ablaufen, sind solche Felsstürze jedoch schwer zu untersuchen. Klar ist generell, dass sich im Gestein an steilen Hängen etwa durch das Eigengewicht, mechanische Prozesse oder Temperaturschwankungen eine Spannung aufbaut, die sich dann in Zerrüttungsprozessen entlädt: Es entstehen Risse auf unterschiedlicher Größenskala.

Irgendwann ist das Material so instabil, dass es auseinanderbricht. Während die Abbruchprozesse selbst bereits gut untersucht sind, gibt es für ihre längerfristigen Vorboten noch erhebliche Wissenslücken. So ist die Installation permanenter Messgeräte im Hochgebirge schwierig und aufwändig. Zudem erfolgt das Langzeitmonitoring oft mit Fernerkundungsbildern oder durch punktuell installierte Sensoren. Keiner dieser Ansätze konnte die Prozesse im Gestein ausreichend detailliert und kontinuierlich aufzeichnen.

 

 

Das von den GFZ-Forschenden installierte Netzwerk mit sechs Seismometern soll aufzeigen, wann und warum sich die instabile Felsmasse auf dem Gipfel des Hochvogels bewegt. Die Geophone zeichneten über drei Monate hinweg auf, mit welcher Frequenz der Berg hin und her schwingt. Wie eine Stimmgabel wird auch massiver Fels durch äußere Anregungen wie Wind und Erschütterungen der Erdkruste in Schwingung versetzt.

Während des Sommers 2018 konnten die Forschenden einen wiederkehrenden sägezahnartigen Verlauf der Frequenz messen: Immer wieder stieg sie über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen von 26 auf 29 Hertz an, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert abzusacken. Dabei ist der Anstieg der Frequenz mit einem Anstieg der Spannung im Gestein gekoppelt. Mit dem Absacken der Frequenz lassen sich vermehrt seismische Signale messen, wie sie beim Aufbrechen von Gesteinsrissen entstehen. Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung ist ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche. Je näher dieses Ereignis kommt, desto kürzer werden die beobachteten Zyklen. Sie sind also ein wichtiger Gefahren-Indikator.

 

 

„Mithilfe des seismischen Ansatzes können wir dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten“, sagt Michael Dietze vom GFZ. Er arbeitet mit Forscherinnen und Forschern von der TU München zusammen, die in dem Projekt AlpSenseBench neben dem Hochvogel auch auf andere Alpengipfeln diverse Sensoren installiert haben, um Veränderungen in der Felsstabilität zu erfassen.

Ein weiteres Seismik-Netzwerk entlang des Hanges hinab in das österreichische Hornbachtal erfasst zudem, welche Folgen die Felsaktivität am Gipfel in diesen Regionen hat. Die Siedlungen dort sind zwar nicht durch die abgehenden Felsmassen gefährdet, gleichwohl ist der Aufstieg zum Gipfel von dieser Seite aus schon seit längerem wegen akuter Steinschlaggefahr gesperrt.

Geoforschung

Geowissenschaftliche Fragestellungen sind verstärkt in den Fokus von Öffentlichkeit und Politik gerückt. Zu den Forschungsthemen gehören unter anderem die Auswirkungen des Klimawandels, die nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen und die Früherkennung von Naturgefahren. Das BMBF unterstützt die Geoforschung mit einer Projektförderung sowie einer institutionellen Förderung. So wurde das Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) als nationales Zentrum für die Erforschung der feste Erde im Jahr 2019 mit 56,7 Millionen Euro vom Bund gefördert. Im Rahmen dieser institutionellen Förderung werden mittel- und langfristige Forschungsaufgaben sowie der Betrieb von Großgeräten und Forschungsinfrastrukturen finanziert