„Gemeinsam können wir viel für einen besseren Zustand der Meere erreichen“

70% unseres Planeten sind von Meer bedeckt. Es ist Ökosystem, Klimasystem, Wirtschaftssystem. Anlässlich des World Oceans Day am 8. Juni spricht Ozeanforscher Martin Visbeck im Interview über die UN-Ozenadekade und „Was-Wäre-Wenn“-Ozeanmodelle.

Herr Professor Visbeck, was stresst unseren Ozean?

Der Ozean, und insbesondere die Küstenzonen, verändert sich durch den Einfluss einer schnell wachsenden Menschheit. Diese nutzt, und oft übernutzt, den Ozean für grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung, Energie, Materialien, Transport und Erholung. Gleichzeitig haben unsere menschlichen Aktivitäten an Land Auswirkungen auf den Ozean durch Verschmutzung vom Klimawandel, Stoffeinträge aber auch Veränderungen von Küstenzonen durch Besiedlung und andere Nutzformen. Die Summe dieser Stressoren - Erwärmung, Meeresspiegelanstieg, Versauerung, Verschmutzung und Übernutzung - führt zum Verlust von natürlichen Lebensräumen, Arten und Biodiversität. Dazu kommen wenig Detailwissen, geringes Interesse am „Guten Zustand der Meere“ und schwache Regularien, die eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans und der Küstenregionen verbindlich einfordern.

Die Vereinten Nationen haben für dieses Jahrzehnt die Dekade der Ozeanforschung für Nachhaltige Entwicklung 2030 ausgerufen. Welche Ziele verfolgt die Dekade?

Die UN Ozean Dekade hat zum Ziel, das Wissen über den Ozean zu vermehren und dessen Nutzung für Entscheidungen im Zusammenhang mit einer nachhaltigen „Mensch-Meer Beziehung“ zu verbessern. Es geht am Ende darum, den „Guten Zustand des Ozeans“ für die Welt zu sichern, die wir für uns heute und für die folgenden Generationen wünschen. Dazu hat die Ozeandekade sieben konkrete Ziele formuliert und diese lassen sich durch 10 Herausforderungen adressieren.

Und wie sollen diese Ziele erreicht werden?

Diese dringlichen Themen können wir nur gemeinsam angehen, indem wir mit allen Teilen der Gesellschaft zusammenarbeiten. Ein besonderes Anliegen ist es darüber hinaus, die Akteure des „globalen Südens“ in die Aktivitäten der Dekade einzubeziehen. Konkret: Wissen global auszutauschen und verfügbar zu machen, um damit abgestimmte lokale, regionale und globalen Antworten zu finden. Zusammengefasst hat die Ozeandekade das Ziel, disziplin- und länderübergreifend transformative Lösungen für den Schutz und den nachhaltigen Nutzen des Ozeans zu erarbeiten und umzusetzen.

In Deutschland ist das Ozeandekaden-Komitee die erste Anlaufstelle für die UN-Dekade. Welche Rolle bekleiden Sie in dem Komitee? Und wer kann sich hier engagieren?

Das Ozeandekaden Komitee, kurz ODK, hat die Aufgabe, die Umsetzung der Ziele der UN Ozeandekade zu befördern. Ein kleines, divers aufgestelltes Komitee engagiert sich gemeinsam mit VertreterInnen aus den unterschiedlichen Bereichen von Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und dem Nachwuchs. Ich selbst bin zusammen mit Gesine Meissner Sprecher des ODK.

Wir haben uns bisher schwerpunktmäßig darum gekümmert, ein Netzwerk von Aktiven aufzubauen, die sich für die Belange des Ozeans interessieren und persönlich oder über ihre Organisationen einsetzen. So haben wir zum einem die von Deutschland ausgerichtete virtuelle Auftaktveranstaltung der Ozeandekade und den damit verbundenen Decade Laboratories unterstützt, aber auch eigene Initiativen und Veranstaltungen organisiert. Wir unterstützen darüber hinaus das Engagement von Deutschen Akteuren in den internationalen Ozean Dekaden Programmen und Projekten. Im Moment ist es für Institutionen, Vereine oder Verbände sehr leicht, sich als Netzwerkpartner mit dem ODK zu verbinden. Einzelne können sich an den Veranstaltungen und Aktivitäten der Netzwerkpartner beteiligen.

Mit Blick auf die globale Herausforderung nachhaltiger Ozean: Welche positiven Entwicklungen gibt es derzeit in der internationalen „Ozean-Schutz-Politik“?

In den vergangenen zehn Jahren hat das Interesse und das Wissen der Allgemeinheit über den Ozean deutlich zugenommen. Und auch in der Politik ist der Ozean nicht mehr ganz so bedeutungslos. Es gibt Fortschritte auf der nationalen, Europäischen und globalen Ebene, Schutzmaßnahmen für den Ozean zu etablieren und strengere Regelwerke, um ein nachhaltiges Wirtschaften im Ozean einzufordern. Dabei geht es um die Vermeidung von Schadstoffeinleitungen von Giften über Düngemittel bis hin zum Plastik. Ein Meilenstein ist sicherlich das kürzlich abgeschlossene Meeresschutzabkommen: alle Länder sind angehalten, 30% der ausschließlichen Wirtschaftszone unter Schutz zu stellen und optimaler Weise alle kommerziellen Nutzungen zu untersagen. Allerdings gibt es momentan sehr viele Ankündigungen, aber in der Umsetzung geht es nur schleppend voran.

Wo steht die Deutschen Meeresforschung im internationalen Kontext?

Die Deutsche Meeresforschung ist im internationalen Vergleich sehr leistungsfähig.  Mit unseren Universitäten, ausseruniversitären Forschungseinrichtungen, der Ressort-Forschung aber auch Innovation in der Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Verbänden stehen wir insbesondere für eine weltweit führende Grundlagenforschung. Zusammen mit modernen Forschungsschiffen und internationalen Partnern werden große, hochinnovative Projekte weltweit durchgeführt. In den letzten Jahren gewinnen zudem die Bereiche „Wissensaustausch mit Entscheidungsträgern“ und „Politikberatung“ verstärkt an Bedeutung. Dies erfordert interdisziplinäre und lösungsorientierte Förderprogramme, die als Teil des MARE:N-Programms und Missionen der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) dazu gekommen. Deutschland engagiert sich auch im Bereich des Wissensaustausches mit Ländern des ‚globalen Südens‘, so zum Beispiel das GEOMAR mit den Kap Verden.

Und welche Themenfelder erforschen Sie derzeit als Ozeanograph?

Ich selber engagiere mich zum einem im Feld der nachhaltigen Ozeanbeobachtungen durch Schiffskampagnen, autonome Messsysteme, Fernerkundung und Beiträgen von Handelsschiffen und der Zivilgesellschaft. Diese Dauermessungen sind zentral, um Veränderungen im Ozean zu dokumentieren und als Basis für Ozeanvorhersagen. Ein anderes spannendes und hochinnovatives Ozean Dekaden Projekt fokussiert „Digitale Zwillinge des Ozeans“ (DITTO). Dabei nutzen wir alle zur Verfügung stehenden Daten, modernste Methoden der Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, um ein digitales Abbild von Bereichen des Ozeans zu erstellen. Mit diesen lassen sich „Was-Wäre-Wenn“-Fragen beantworten und damit ein System erstellen, das helfen kann, komplexe Eingriffe in das Ozeansystem zu bewerten. Digitale Zwillinge helfen uns also, Schutzmaßnahmen, Anpassungsmaßnahmen und das nachhaltige Wirtschaften zu optimieren. 

Und was kann jeder Einzelne für gesunde Meere tun?

Ich empfehle, sich über die Meere zu informieren, sie für sich zu entdecken und damit kennen - und vielleicht sogar lieben zu lernen. Weiterhin kann sich jeder Einzelne engagieren, die Meeresumwelt zu verbessern: durch Vermeidung von Müll am Strand, dem Respektieren von Schutzzonen oder bei Stand- und Ufersäuberungen mitzumachen. Und wir wissen: das Meer ist direkt vom Klimawandel betroffen. Maßnahmen zum Klimaschutz helfen somit auch dem Meeresschutz. Auch haben wir Einfluss auf die Überfischung vieler Arten, nämlich durch eine deutliche Reduktion unseres Fischkonsums, zumindest der besonders gefährdeten Arten. Das wichtigste sind allerdings systemische Lösungen, die durch kluges Wahlverhalten der BürgerInnen und damit guter Umweltpolitik einhergehen.

Meeresforschung scheint angesichts der globalen Herausforderungen notwendiger denn je. Was ist Ihre persönliche Motivation und Faszination als Meeresforscher?

Ich bin privat und beruflich sehr mit dem Meer verbunden, sowohl als Segler als auch seegehender Ozeanforscher. Auf diese Weise habe ich bereits alle Weltmeere bereist und viele schöne und spannende Teile des Ozeans gesehen. Dennoch, weiterhin ist die Tiefsee wenig erforscht und immer wieder gibt es Neues zu entdecken.

Besonders spannend empfinde ich es darüber hinaus, mich mit anderen Nationen über die Meeresthemen auseinanderzusetzen und lerne von deren Perspektiven und Ideen. Und nicht zuletzt: Ich unterrichte gerne die Studierenden und halte öffentliche Vorträge zu Ozeanthemen. Mich motiviert die Begeisterung der ZuhörerInnen und Menschen für das Meer. Gemeinsam können wir viel für einen besseren Zustand der Meere erreichen.

Wie lautet Ihr Wunsch für die laufende Ozeandekade bis 2030?

Es wäre fantastisch, wenn wir bis 2030 ein leistungsfähiges und nachhaltig finanziertes globales Ozeanbeobachtungssytem realisieren könnten. Ich sehe gute Chance für einen optimierten, globalen Austausch von Daten und die Etablierung von Ozeanmodellen für Ozeanvorhersagen und die Digitalen Zwillingen des Ozeans. Am Schönsten wäre es natürlich wenn jedes Kind auf unserer Erde die Möglichkeit hätte, etwas über den Ozean zu lernen und davon begeistert zu sein – unabhängig davon, ob es im Binnenland oder am Meer lebt.