Auftakt in Potsdam: Neue Forschungsprojekte untersuchen Polarregionen im Wandel

Durch den Klimawandel verändern sich die Polarregionen rasant – mit Auswirkungen für das globale Klima und somit für viele Regionen weltweit. Um mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über diese Veränderungen und deren Folgen zu gewinnen, und vor allem um Politik und Gesellschaft entsprechend einzubinden, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vier Projekte unter dem Schwerpunkt „Polarregionen im Wandel – Einfluss globaler und regionaler Stressoren“. Jetzt treffen sich die beteiligten Forschenden zu einer Kick-off-Konferenz in Potsdam.

Die Polarregionen haben für die Menschheit einen hohen ökologischen und kulturellen Wert. Als wichtiger Teil des globalen Klimasystems regulieren sie die Wärmeverteilung auf der Erde, indem sie warme Luft- und Meeresströmungen aus den Tropen anziehen, abkühlen und als Eisfracht wieder in Richtung Süden schicken. Zugleich beherbergen die Polarmeere wichtige biologische Ressourcen, die zur menschlichen Ernährung beitragen. Sie haben somit für die Menschheit einen unschätzbaren ökologischen und kulturellen Wert.

Der Mechanismus dieser Kühlkammern gerät jedoch zunehmend aus dem Gleichgewicht. Es gibt nur wenige Regionen weltweit, die so stark vom Klimawandel beeinträchtigt werden. Dies wirkt sich immer stärker auf die Ökosysteme in den Polargebieten aus. Drastische Anzeichen des Klimawandels sind der deutlich sichtbare Rückgang des Meereises und das Auftauen der Permafrostböden. Ikonische Arten wie Eisbären und Pinguine verlieren ihre Lebensgrundlagen. Hinzu kommt: Das schnelle Abschmelzen der Eisschilde lässt den globalen Meeresspiegel weiter ansteigen.

Wie wirkt sich der Klimawandel in der Arktis auf das Klimageschehen in anderen Regionen der Welt aus? Welche Stressoren beschleunigen den Wandel in den Polarregionen? Wann sind klimatische und ökologische Kipppunkte absehbar? Mit dem Förderschwerpunkt „Polarregionen im Wandel – Einfluss globaler und regionaler Stressoren“ sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Basis für Handlungskonzepte für Politik und Gesellschaft im Zusammenhang mit den Polargebieten liefern. Zudem sollen sie die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels abschätzen. Die im Rahmen dieser Förderbekanntmachung ausgewählten vier Projekte sind am 1. September 2023 gestartet. Am 28. und 29. September treffen sich die beteiligten Forschenden in Potsdam erstmals bei einer Kick-off-Konferenz zu einem fachlichen Austausch.

Die Projekte:

Durch die intensive Rohstoffgewinnung sind in arktischen Gebieten eine Vielzahl industrieller Altlasten zurückgeblieben, u.a. Bohrschlammsümpfe, in welchen die Abfallprodukte von Bohrungen abgelagert sind. Im Zuge der Klimaerwärmung und des Auftauens der Permafrostböden kann es zur Kontamination der Umwelt mit den umweltschädlichen Altlasten kommen. Ein exemplarisches Gebiet hierfür, in dem eine große Zahl von Bohrschlammsümpfen vorzufinden ist, befindet sich im Mackenzie Delta in den Northwestern Territories Kanadas. Hier werden im Rahmen des Projekts ThinIce exemplarisch verschiedene Standorte ausgewählt und untersucht.

Das Projekt SQUEEZE zielt auf die systematische Planung eines nachhaltigen und gesellschaftlich akzeptierten Netzwerkes von Tundra-Schutzgebieten. Hierin soll die Dynamik der Stressfaktoren, die Biodiversität, die Ökosystemfunktionen und ein Management der arktischen Regionen berücksichtigt werden. Die beiden Kernfragen lauten: Welche Gebiete sollten jetzt geschützt werden, damit die Biodiversität der Tundra und die mit ihr verknüpften Ökosystemleistungen den Höhepunkt der zukünftigen Erwärmung überstehen können? Wie kann die Naturschutzplanung dazu beitragen, potentielle Landnutzungskonflikte zu lösen und Managemententscheidungen zu treffen?

Schädliche Algenblüten (Harmful Algal Blooms, HABs) stellen sich als massenhaftes Auftreten von Mikroalgen dar, die Toxine produzieren können. Diese Blüten bedrohen die Funktion und die Leistungen von ganzen Ökosystemen. Bislang waren sie vor allem in gemäßigten und warmen Küstenregionen zu beobachten, in den vergangenen Jahren wurden jedoch zunehmend HAB-bildende Arten im Arktischen Ozean festgestellt. Dieses Phänomen wird durch die Erwärmung der Arktis begünstigt. Das Projekt GreenHAB soll das Verständnis und die Vorhersage von Indikatoren, Kipppunkten und Auswirkungen von HAB-Arten in der Arktis (Grönland) verbessern.

Das Projekt YESSS untersucht die Reaktionen der arktischen Küstenökosysteme und ihrer wichtigsten Arten auf die globale Erwärmung. Kern der Arbeiten ist eine ganzjährige Ökosystemstudie auf Spitzbergen (Svalbard, Norwegen), in der wöchentliche Messungen das Vorkommen von Schlüsselarten (Phytoplankton, Makroalgen, Mollusken, Echinodermen und Fische) beschreiben. Aus den Daten wird ein Ökosystemmodell entwickelt, welches potenzielle Gewinner und Verlierer des Klimawandels identifiziert. Zudem werden Temperatur-Kipppunkte in den verschiedenen Jahreszeiten erforscht und Veränderungen der Ökosystemfunktionen prognostiziert.

MARE:N-Konzeptpapier „Polarregionen im Wandel"

Grundlage des neuen Förderschwerpunkts ist das von führenden Expertinnen und Experten der deutschen Polar- und Meeresforschung im Auftrag des BMBF erarbeitete MARE:N-Konzeptpapier „Polarregionen im Wandel". Das Papier gibt Empfehlungen, in welchen Bereichen sich die deutsche Polar- und Meeresforschung in den kommenden Jahren besonders engagieren sollte. Das BMBF hat diese wissenschaftlichen Empfehlungen aufgegriffen und fördert die entsprechenden Forschungsprojekte mit insgesamt neun Millionen Euro. Zusätzlich investiert das BMBF bis 2025 weitere 10 Millionen Euro in die beschleunigte Datenauswertung zur MOSAiC-Expedition.