NaTec–KRH: Zusammenführung von Naturschutz und Technik für mehr Biodiversität in der Kyritz-Ruppiner Heide

Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Kyritz-Ruppiner Heide erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Projekt NaTec–KRH, wie Naturschutz und Landschaftspflege zum Erhalt und der Verbesserung der Biodiversität auf ehemaligen Militärflächen beitragen können. Dr. Carsten Neumann vom Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum und Leiter des Projekts berichtet über ihre Methoden und ihre Visionen.

Herr Dr. Neumann, was steht hinter NaTec–KRH?
NaTec-KRH ist ein Projekt an der Schnittstelle von Naturschutz und Technologieentwicklung, das wir 2017 gestartet haben. In dem Akronym verbergen sich die drei wesentlichen Aspekte: Na für Naturschutz, Tec für Technologie und KRH für den ehemaligen Truppenübungsplatz Kyritz-Ruppiner Heide im Nord-Westen von Brandenburg. Heute nicht mehr genutzte militärischer Übungsplätze bilden großflächige Zufluchtsorte für diverse Arten und Lebensräume, die über das Europäische Natura 2000 Netzwerk unter Schutz gestellt sind. Für solche Flächen wollen wir die Erkenntnisse und Errungenschaften technologischer Innovationen für den Naturschutz nutzen. Unser Motto ist: Gemeinsam Handeln – Zusammenführung von Naturschutz und Technik zum Erhalt und zur Erhöhung der Biodiversität auf Militärliegenschaften.

Was ist Inhalt Ihrer Erforschung? Welche Methoden setzen Sie und Ihr Team ein?
NaTec-KRH begegnet der Bedrohung der artenreichen Lebensräume über drei Aktionsfelder: Durch Landschaftspflege, durch Überwachung und Erfolgskontrolle sowie durch weiteren Wissenserwerb hinsichtlich der Muster und Prozesse im Ökosystem selbst.
Es ist nicht mehr ausreichend, die Natur sich einfach selbst zu überlassen, denn wir wissen bereits jetzt, dass die höchste Biodiversität in einer kleinteilig genutzten, reich strukturierten Landschaft zu finden ist. Daher werden für die Pflege großer Heidelandschaften kontrollierte Feuer eingesetzt. Heide wird gemäht und von kleinen (Schafen) wie großen (Wisenten) Tieren beweidet. Neue Heide-Keimlingen erhalten so die Möglichkeit, sich zu etablieren und auch der Wiederaustrieb wird gefördert.
In der offenen Heidelandschaft beobachten wird die Entwicklungen von Einzelarten und Lebensräumen. Wir wollen so besser verstehen, ob menschliches Eingreifen naturschutzfachliche Ziele fördert. In den weiten, munitionsbelasteten Gebieten ist eine regelmäßige Kartierung jedoch unmöglich. Deshalb setzen wir dabei auf die Technologie der Geofernerkundung. Wir überwachen die komplexen Naturlandschaften aus dem All über Satelliten oder aus der Luft über Drohnen mit Hilfe intelligenter Algorithmen und künstlicher Intelligenz.
Dabei entwickeln wir neue Verfahren, die uns etwa durch hochaufgelöste Drohnendaten den Zustand der Pflanzen verraten können. Neue maschinelle Lernsysteme, die in NaTec entwickelt und getestet werden erkennen einzelne Pflanzen und weisen aus, wie viele Blüten sich daran bilden, wie vital ein Individuum ist und um wie viel Zentimeter es im Jahr gewachsen ist. Und das alles, ohne die Pflanze direkt aufzusuchen.

Was konnten Sie dabei bereits herausfinden?
Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass auf einer Fläche von zehn Hektar ungefähr 250.000 einzelne Heidepflanzen stehen. Jede einzelne verhält sich ganz individuell in Abhängigkeit von Standort, Pflegemaßnahme und Witterung. Wir können beispielsweise bereits heute vorhersagen wie stark ein Organismus nach der Mahd austreibt, weil wir die Mutterpflanze in ihrem Standort und ihrer Vitalität einordnen können. Auf diese Weise erhalten wir erstmalig tiefe Erkenntnisse in die Organisation von Pflanzen und deren Abhängigkeiten von äußeren Einflüssen.

Welchen Herausforderungen mussten Sie und müssen Sie sich noch stellen?
Es konnte gezeigt werden, dass Mahdpflege und Brand die Entwicklung von Heidekraut (Calluna vulgaris) in der Kyrtiz-Ruppiner Heide nicht immer positiv beeinflussen und daher ungeeignet sind, weil die Flächen verstärkt Vergrasen und die Heide verschwindet. Wir brauchen also auch andere Wege. Einer ist der Einsatz unserer digitalen Technologien, die beispielsweise von der Heinz-Sielmann-Stiftung im angewandten Naturschutz genutzt werden. So kann die Verbuschung zur Abschätzung des Aufwands und der Kosten für Pflegemaßnahmen über Drohnen quantifiziert werden. Doch die Nutzung von Satellitendaten und Drohnenaufnahmen zur Ableitung praxisrelevanter thematischer Karten benötigt spezifisches Know-how und ist nicht für alle Beteiligten aus dem Naturschutz oder von Behörden vor Ort nicht gleichermaßen zugänglich. Wir sehen uns in NaTec-KRH deswegen als beratende Vermittler, nicht nur um die Fernerkundung in die Praxis zu bringen, sondern auch um die daraus abgeleiteten Erkenntnisse für die aktive Gestaltung unserer Natur nutzbar zu machen.

Wie hat sich die Heidelandschaft seit der Nutzbarmachung verändert? Was ist in Zukunft zu erwarten?
Hier müssen wir zunächst einen Blick zurückwerfen. Die scheinbar unberührte Natur heutiger ausgedehnter Heidelandschaften, die außerhalb urbaner Räume und außerhalb landwirtschaftlicher Nutzung vorkommen, ist in ihrer Großflächigkeit eine Folge kultureller Prägung.: Noch im 19. Jahrhundert wurde dieser Lebensraum aktiv durch den Menschen geschaffen, indem Heidepflanzen samt Wurzel herausgerissen und als Einstreu in Ställen und danach als Dünger auf Feldern ausgebracht wurden. Auch dienten die Heideflächen als Weidestandort. Heute ist es spannend zu sehen, dass genau diese damalige Wirtschaftsweise zur vermehrten Ausbreitung von Heidelandschaften führten. Denn in den nährstoffarmen, offenen Standorten fanden junge Heide-Keimlinge optimale Bedingungen zur Ausbildung frischer Pflänzchen. Und Lücken zwischen den Heideflächen wurden oft durch artenreiche Sandtrockenrasen ergänzt. Dieser Prozess der permanenten Störung wurde Ende des 19. Jahrhundert unterbrochen, als diese Bewirtschaftungsformen unwirtschaftlich wurden. In vielen europäischen Ländern haben sich die Heideflächen daraufhin um bis zu 90 Prozent reduziert.
Interessanterweise konnten sich Heiden auf Truppenübungsplätzen aufgrund der intensiven Störung durch Befahrung von schweren Kettenfahrzeugen, Explosionen, Rodungen und Feuer überall in Europa bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts halten und sind daher als Gebiete besonderer Artenvielfalt geschützt. Aufgrund von Überalterung der Bestände, Nährstoffeinträgen und vor allem der Verbuschung nach Aufgabe der militärischen Nutzung verliert Heide jedoch wieder seit 2000 verstärkt an Fläche. Wir gehen davon aus, dass der Lebensraum Heide in den nächsten 20 bis 30 Jahren weiter drastisch reduziert wird, wenn der Mensch nicht eingreift und sein Wissen nutzt, um die Regeneration von Heide zu ermöglichen.

Ein Blick in die Zukunft? Was sind die nächsten Schritte von NaTec-KRH? Was ist Ihre Vision?
Wir verfolgen in NaTec-KRH sowohl praktische als auch ideelle Ziele: Zum einen wollen wir Verfahren zur Verarbeitung von Drohnen- und Satellitenbildern und die darauf aufbauenden intelligenten Algorithmen dem angewandten Naturschutz umfänglich und nutzerfreundlich zur Verfügung stellen. Dies geschieht auch mit dem Wunsch, europäischen Satellitenmissionen wie das Copernicus Programm oder auch EnMAP eine faktenbasierte Relevanz für Anwendungen im Naturschutz an die Hand zu geben.

Zum anderen möchten wir einen Weg aufzeigen, wie wir dem globalen Rückgang der Biodiversität begegnen können. Dafür reicht es nicht aus, Gebiete einzuzäunen und vor dem Menschen zu schützen. Wir müssen vielmehr die komplexen Interaktionen von Ökosystemen mit ihren Verbindungen von Pflanzen und Tieren verstehen lernen. Unsere Hoffnung ist, dass Projekte wie NaTec-KRH eine nachhaltige Aufmerksamkeit schaffen - insbesondere für die Möglichkeiten des Menschen, Landschaften zu entdecken, zu verstehen und daraus ein nachhaltiges Handeln zu ihrer Mitgestaltung abzuleiten.