AWI-Forschende untersuchen Folgen von Hitzewellen für die Nordsee
Weltweit steigen die Meerestemperaturen kontinuierlich – auch in der Nordsee. Hinzu kommen immer häufigere und plötzlich auftretende Hitzeereignisse. Die Folgen für die Organismen in der Deutschen Bucht haben Forschende des Alfred-Wegener-Instituts jetzt untersucht. Im Fokus stand unter anderem das Plankton. Die Forschungsarbeiten wurden vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) im Projekt CoastalFutures im Rahmen der DAM-Mission sustainMare sowie im KüNO-Projekt Bioweb gefördert.
Meeresspiegelanstieg, neu eingeschleppte Arten und eine Erwärmung um 1,9 Grad Celsius in den vergangenen sechs Jahrzehnten – die Nordsee, so viel ist klar, verändert sich derzeit so massiv wie seit Jahrtausenden nicht mehr. Und dennoch entsteht oft der Eindruck, diese Veränderungen vollzögen sich langsam und graduell und seien vielleicht gar nicht so gravierend, weil sich viele Organismen nach und nach anpassen könnten. „In diesem Bild fehlt allerdings ein entscheidendes Puzzleteil“, sagt Dr. Cédric Meunier. „Und das sind die marinen Hitzewellen.“
Marine Hitzewellen unter der Lupe
Cédric Meunier erforscht die Ökologie von Schelfmeersystemen an der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH), die Teil des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist. Gemeinsam mit Forschenden aus unterschiedlichen Fachdisziplinen hat er die Hitzewellen unter der Meeresoberfläche genauer unter die Lupe genommen.
Bei einer solchen Hitzephase steigen die Wassertemperaturen – meist als Folge einer vorangegangenen atmosphärischen Hitzewelle – plötzlich an und liegen dann für mehrere Tage deutlich über dem Durchschnitt. Die Forschenden wollten nun wissen, welche Folgen das für die Organismen hat. Dazu haben sie Messdaten aus der Vergangenheit analysiert, die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen der vergangenen Jahrzehnte untersucht und das Nordseeökosystem im Experiment in die Zukunft geschickt.
Langzeitmessdaten ermöglichen Rückschau
Der Blick zurück war durch eine der weltweit bedeutendste Langzeitreihen möglich. Dank der Arbeit zahlreicher Helgoländer Forschender ist der Einfluss des Klimawandels auf die Nordsee seit 1962 in der Messdatenreihe "Helgoland Reede" lückenlos dokumentiert. In der Analyse zeigte sich, dass marine Hitzewellen in der Deutschen Bucht im Laufe der Jahrzehnte bis heute immer häufiger geworden sind und auch länger andauern.
Eine weitere Studie zeigte, dass Hitzewellen bereits in der Vergangenheit deutlich messbare Auswirkungen auf die Organismen hatten. „Das mittelgroße Zooplankton, zu dem auch Ruderfußkrebse zählen, hat sich in Folge kurzzeitig hoher Temperaturen deutlich verändert“, erklärt die Wissenschaftlerin Margot Deschamps. „Manche Gruppen waren nach einer Hitzewelle zumindest zeitweise dezimiert, andere konnten offenbar sogar profitieren und wurden häufiger.“
Blick in die Zukunft durch Mesokosmen-Experimente
Im dritten, nun im Fachmagazin Limnology and Oceanography erschienenen Forschungsartikel, wirft das Forschungsteam einen Blick in die Zukunft. Dazu nutzten sie moderne Mesokosmen-Anlagen in der AWI-Wattenmeerstation Sylt. Jeder der 30 zylindrischen Tanks ist 85 Zentimeter hoch, 170 Zentimeter breit und fasst 1.800 Liter Seewasser. Durch gezielte Manipulation von Temperatur, pH-Wert und Nährstoffgehalt des Wassers können die Forschenden die Bedingungen der Welt von morgen simulieren und den Mesokosmos in die Zukunft schicken.
Gefährliche Bakterien wie Vibrionen profitieren von Umweltveränderungen
„Im Ergebnis zeigte sich, dass der Klimawandel auf vielen Ebenen der Planktongemeinschaft für Verschiebungen sorgt, die durch Hitzewellen noch verstärkt oder modifiziert werden“, erklärt Meunier. „Bestimmte Bakteriengruppen profitieren von den Umweltveränderungen, unter anderem einige Bakterien der auch für Menschen potenziell gefährlichen Gattung Vibrio“.
Bei zusätzlichen Hitzewellen profitieren dann besonders Phytoflagellaten und die mit Kalkplättchen ausgestatteten Coccolithophoriden. "Beim Zooplankton kommt es zu noch stärkeren Verschiebungen. Insbesondere beim mittelgroßen Mesozooplankton beobachten wir zusätzlich eine Abnahme der Gesamtbiomasse unter wärmeren Bedingungen. Bei zusätzlichen Hitzewellen leidet dann besonders das Meeresleuchttierchen Noctiluca scintillans.“
Zusammen machen alle drei Forschungsarbeiten deutlich: Die kontinuierlich steigenden globalen Temperaturen verändern die Artengemeinschaft des Nordseeplanktons massiv. „Daher ist es wichtig, nicht nur die langfristigen Klimatrends, sondern auch kürzere Ereignisse wie Hitzewellen im Auge zu behalten“, sagt Cédric Meunier. „Denn die Auswirkungen von marinen Hitzewellen verändern die Basis des Nahrungsnetzes ganz erheblich.“
Originalpublikationen:
Luis Giménez, Maarten Boersma, and Karen H. Wiltshire: A multiple baseline approach for marine heatwaves ; Limnology and Oceanography (2024). DOI: 10.1002/lno.12521
Margot Deschamps, Maarten Boersma, Luis Giménez : Responses of the mesozooplankton community to marine heatwaves: Challenges and solutions based on a long‐term time series; Journal of Animal Ecology (2024). DOI: 10.1111/1365-2656.14165
Cédric L. Meunier, Josefin Schmidt, Antonia Ahme, Areti Balkoni, Katharina Berg, Lea Blum, Maarten Boersma, Jan D. Brüwer, Bernhard M. Fuchs, Luis Gimenez, Maïté Guignard, Ruben Schulte-Hillen, Bernd Krock, Johannes Rick, Herwig Stibor, Maria Stockenreiter, Simon Tulatz, Felix Weber, Antje Wichels, Karen Helen Wiltshire, Sylke Wohlrab, Inga V. Kirstein: Plankton communities today and tomorrow – impacts of multiple global change drivers and marine heatwaves in a mesocosm experiment; Limnology and Oceanography (2025). DOI: 10.1002/lno.70042