Carbon2Chem-Technikum nimmt Betrieb auf

Wir feiern heute eine echte Weltpremiere!, so Bundesministerin Anja Karliczek in ihrem Grußwort zum Start des Carbon2Chem-Technikums in Duisburg.

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Kerkhoff,
sehr geehrter Herr Dr. Kaufmann,
sehr geehrter Herr Goss,
sehr geehrter Herr Dr. Dröll,
meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir feiern heute eine echte Weltpremiere! Mit dem Carbon2Chem-Technikum nehmen wir eine Anlage in Betrieb, in der zum ersten Mal unter Industriebedingungen CO2-haltiges Hüttengas in Methanol umgewandelt wird. Aus dem Treibhausgas, das unser Klima zerstört, wird ein wertvoller Rohstoff. Das ist schlicht eine Sensation.

Wir haben mit diesem Schritt das Labor verlassen und wenden Forschung an: um dem Klimawandel zu begegnen, um Arbeitsplätze zu sichern, um unseren Innovations- und Wirtschaftsstandort voranzubringen. So stelle ich mir Wissenschaft vor, die Fortschritt bringt.

Und es ist sicher kein Zufall, dass diese Innovation im Ruhrgebiet entstand. Eine Region, die sich über die letzten Jahrhunderte massiv gewandelt hat: Von der Landwirtschaft zu Kohle und Stahl – jetzt weiter zu einem Hightech-Standort. Das habe ich vor einigen Wochen auch in Dortmund erlebt. 30 Drohnen flogen autonom durch eine Halle und wichen Menschen, die sich durch ihre Flugbahnen bewegten, automatisch aus. Als Flugbegeisterte hat mir das natürlich besonders gefallen.

Treiber solcher Entwicklung sind gute Ideen und das Vertrauen, dass mit Erfindergeist Veränderungen und Probleme gemeistert werden können. Aus Herausforderungen eine Chance machen! Darum geht es auch jetzt.

I.

Der Klimawandel ist eine gewaltige Herausforderung. Dass wir dieser optimistisch und effektiv entgegentreten können, zeigt das weltweite Abkommen zum Verbot von FCKW: Es hat dazu geführt, dass sich das Ozonloch nach 30 Jahren fast völlig geschlossen hat. An diesem Beispiel sehen wir: Gemeinsam können wir es schaffen!

Wir haben uns vorgenommen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Das heißt, wir wollen nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als durch Senken gebunden wird. Unter den bisherigen Bedingungen wäre das das Ende der Stahlindustrie. Und Strukturwandel hin oder her: Deutschland ist Europas größter Stahlproduzent. Das ist eine wichtige Industrie für unser Land. Mit 85.000 Arbeitsplätzen. Die wollen wir behalten.

Auch mit Hilfe von Carbon2Chem. Perspektivisch sollen damit bis zu 20 Millionen Tonnen des jährlichen CO2-Ausstoßes der deutschen Stahlbranche wirtschaftlich nutzbar gemacht werden. Das entspricht 10 Prozent der Jahresemissionen von Industrie und des verarbeitenden Gewerbes zusammen. Eine klimaschutzrelevante Größe! Statt CO2 in die Atmosphäre zu pusten, verarbeiten wir es zu Düngern, Kunststoffen oder synthetischen Kraftstoffen und ersetzen so fossile Rohstoffe.

Das ist nicht nur gut, um unsere Stahlindustrie zu retten. Die Chance, die in einer solchen Technologie steckt, ist weit größer. Denn der Klimawandel ist ein weltweites Problem.

Wir alle stehen vor der Aufgabe, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise den sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen.

Mir sind dabei zwei Dinge sehr wichtig:

Wir sollten erstens das wirtschaftliche Potential grüner Technologien nutzen, um unsere Chance einer globalen Führungsrolle für Deutschland wahrzunehmen.

Und zweitens neue Kooperationen und Netzwerke aufbauen, um Klimaziele und andere Herausforderungen zu meistern und den schnellen Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu ermöglichen.

Die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist insbesondere für die energie- und emissionsintensiven Industrien eine enorme Herausforderung. Effizienter und kreativer mit unseren Ressourcen umzugehen ist überall dringend erforderlich. Was für den einen Abfall ist, kann für den anderen ein dringend benötigtes Produkt sein. Wenn wir dafür technologische Lösungen finden, werden auch andere Länder daran großes Interesse haben.

Das sehen wir heute. Ich freue mich, dass wir hier eine hochrangige Delegation aus der Volksrepublik China begrüßen dürfen. Eine Industrienation mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern und starken Grundstoffindustrien – das Einsparpotential und die wirtschaftlichen Chancen durch Carbon2Chem sind damit enorm.

Carbon2Chem ist ein Vorzeigeprojekt und könnte zum Exportschlager aus Nordrhein-Westfalen werden! Dieser Ansatz könnte auf über fünfzig Stahlstandorte weltweit aber auch auf andere Branchen wie die Zementproduktion oder die Müllverbrennung übertragen werden.

Und dann hat auch der Effekt für das Klima eine ganz andere Dimension. Der Anteil Deutschlands an den Welttreibhausgasemissionen liegt bei nur gut 2 Prozent. Der Export deutscher Systemlösungen ist unser größter Hebel, um zum internationalen Klimaschutz beizutragen.

Am Beispiel Carbon2Chem sehen wir aber auch: Industrieller Klimaschutz erfordert erhebliche Investitionen – zunächst in die Entwicklung und dann in den Aufbau von Anlagen.

In erster Linie sind es die Unternehmen, die diese Investitionen tätigen müssen. Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Sie müssen überzeugt sein, dass sich ihre Investitionen in den Klimaschutz rechnen.

Wir unterstützen sie: Mein Haus hat für Carbon2Chem insgesamt 60 Millionen Euro bereitgestellt. Davon fließen allein 8,5 Millionen Euro in das Technikum. Das ist gut investiertes Geld!

Auch in Zukunft kann das Konsortium auf unsere Unterstützung zählen. Bis zur großindustriellen Umsetzung liegt noch ein langer Weg vor uns. Hier werden wir Ihnen nach Kräften helfen – etwa wenn es um die Einwerbung europäischer Förderungen oder die umwelt- und wirtschaftspolitische Flankierung geht.

Wir wissen um die großen Chancen grüner Technologien für unsere Wirtschaft. Wir sind in diesem Bereich gut aufgestellt. Carbon2Chem ist ein – herausragendes – Beispiel dafür. Aber es gibt noch viele mehr. [Ich denke etwa an die Sektorkopplung von Strom, Wärme, Industrie und Mobilität oder neue Werkstoffe, die zum Beispiel bei Brennstoffzellen oder in der Photovoltaik zum Einsatz kommen.]

Deutschland hat früh erkannt, dass wir unsere Wirtschaftsweise umstellen müssen. Schon lange tüfteln unsere Ingenieure an grünen Technologien. Wir haben die Chance, hier eine globale Führungsrolle einzunehmen. Wir wollen diese Chance nutzen. Und wir setzen dabei auch auf das Erfolgsrezept von Carbon2Chem.

II.

Worin besteht das Besondere dieses Erfolgsrezeptes? Es steckt in den vielen verschiedenen Partnern, die sich für dieses Projekt zusammengetan haben.

Carbon2Chem setzt Maßstäbe was die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik angeht. Namhafte Global Player, leistungsstarke Forschungseinrichtungen und Universitäten haben von Anfang an einem Strang gezogen.

Mit einer vertrauensvollen und ungemein produktiven Kultur der Zusammenarbeit ist es Ihnen zusammen gelungen, binnen zwei Jahren – aus der Grundlagenforschung kommend – das Technikum aufzubauen und betriebsbereit zu machen. Diese Zusammenarbeit ist Ihr Erfolgsfaktor. Und das unterstreicht die Bedeutung neuer Kooperationsformen und Netzwerke.

Gerade im vorwettbewerblichen Bereich müssen wir Wissenschaft und Wirtschaft noch enger zusammenbringen. Sie ist das Fundament erfolgreicher Innovationsketten von der Grundlagenforschung bis hin zur Umsetzung in zukunftsweisenden Geschäftsmodellen. [Das freut mich auch deswegen, weil mir manchmal vorgeworfen wird, ich interessiere mich nur für den Transfer und für angewandte Forschung, nicht aber für die Grundlagenforschung. Carbon2Chem ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht darum geht, beide gegeneinander auszuspielen, sondern darum, sie zu verbinden.]

Dazu brauchen wir auch ein neues Verständnis von Forschungs- und Innovationsförderung. Das BMBF sieht sich dabei als Partner von Wissenschaft und Wirtschaft.

Der Schlüssel zum Erfolg ist unsere Stärke, im System zu denken. Gasreinigung, Elektrolyse, Katalyse – jedes für sich ist eine hochrelevante Zukunftstechnologie für Energiewende und Klimaschutz. Aber erst mit dem Carbon2Chem-Ansatz der branchenübergreifenden Zusammenarbeit haben Sie einen Weg gefunden, um Emissionen im großen Maßstab zu vermeiden.

Es ist auch der Brückenschlag zwischen Stahl und Chemieindustrie, der dieses Vorhaben wegweisend macht: Denn genau an den Schnittpunkten von Sektoren, Branchen und Prozessen bieten sich enorme Chancen für Innovationen. Zukunftsthemen wie die Digitalisierung werden hier nochmals neue Schübe auslösen, da bin ich sicher.

Wir müssen bei Forschung und Innovation für Nachhaltigkeit daher noch viel mehr in Systemen denken – gerade auch bei der Sektorkopplung in der Energie. Lassen Sie uns solche Systemlösungen zum Markenkern „grüner Innovationen „made in Germany machen.

III.

Denn große Probleme lösen wir, wenn alle zusammenwirken. Auch international. Wir müssen uns abstimmen – auf europäischer wie globaler Ebene. Es gilt gemeinsam weltweit einen umfassenden Wandel in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz anzustoßen. Schlüsselländer wie zum Beispiel China fühlen sich weiter dem Pariser Übereinkommen verpflichtet und gehen mustergültig voran. Denken Sie nur an die chinesische Strategie bei Elektromobilität!

Wer hier nicht in die Schuhe kommt, wird abgehängt werden, und andere machen den Stich! Wir müssen diesen Weg weitergehen und neue Allianzen zu Energie- und Klimafragen schmieden. Im Energiebereich arbeiten wir aktuell zum Beispiel an einer langfristigen Kooperation mit Australien zu „grünem Wasserstoff. Mein besonderer Dank geht hier auch an thyssenkrupp.

Wichtig ist, dass wir Hebel betätigen, die große Mengen CO2-Einsparungen ermöglichen. Dann können wir Deutschland zum internationalen Vorreiter in Sachen industriellen Klimaschutzes machen. Optionenvielfalt ist dabei entscheidend, um auf ökonomisch, ökologisch und sozial verträgliche Weise möglichst viele Treibhausgasemissionen einzusparen.

Sehr geehrter Herr Kerkhoff, liebes Projektteam,

Sie haben erkannt, dass Klimaschutz und Energiewende ungemeine Chancen für wirtschaftliches Wachstum bieten. Innovationen für grüne Technologien sind der Schlüssel dazu.

Sie haben mit Ihrer Arbeit einen in die Jahre gekommenen Werbespot von IBM in die Wirklichkeit umgesetzt: Intelligente Lösungen sind keine Ökospinnereien, sondern wirtschaftlich und gewinnbringend.

Ich wünsche allen Beteiligten von Carbon2Chem auch in der Zukunft viel Erfolg und gutes Gelingen!