Das Meer wird allmählich versauern

Ein Interview mit dem Kieler Meeresbiologe Ulf Riebesell über unsere Meere und Ozeane, die immer mehr CO2 aufnehmen, den damit verbundenen Verlust der Arten und was das für den Menschen bedeutet.

Herr Riebesell, das Meer schmeckt immer noch salzig, nie sauer. Was meinen Sie mit Ozeanversauerung?

(lacht) Das Meer wird auch immer salzig schmecken, daran ändert sich gar nichts. Es wird auch nie sauer sein, sondern nur allmählich versauern. Das kommt daher, weil der Ozean CO2 aufnimmt. Das Kohlendioxid reagiert dann mit dem Meerwasser zu Kohlensäure und macht das Wasser allmählich saurer. Der Ozean behält aber weiterhin einen pH-Wert von über 7, den wir als alkalisch bezeichnen.

Welchen pH-Wert hat der Ozean?

Im Moment hat er einen mittleren pH-Wert im Bereich der Oberfläche von 8,1. Wenn die Ozeanversauerung weiter geht wie bisher, werden wir Ende des Jahrhunderts möglicherweise einen pH-Wert von 7,8 haben. In der vorindustriellen Zeit hatte das Meer etwa einen pH-Wert von 8,25. Gesunken ist der Wert also nur um etwa 0,15 pH-Einheiten. Das klingt nicht nach sehr großen Änderungen. Doch die pH-Skala ist logarithmisch, wir sprechen also von einem um 30 Prozent höheren Säuregehalt als zur vorindustriellen Zeit.

[[22727_r]]Sie haben untersucht, wie sich die Ozeanversauerung auf Lebewesen im Meer auswirkt. Welche Tiere und Pflanzen leiden unter der Ozeanversauerung und welche profitieren davon?

In allen großen Gruppen der Meeresorganismen wird es sowohl Verlierer als auch Gewinner geben. Zu den Verlierern gehören eindeutig die kalkbildenden Organismen wie Korallen, Muscheln, Schnecken, Stachelhäuter, aber auch viele Kleinstlebewesen im Plankton, weil die Kalkbildung im saureren Ozean schwieriger wird. Aber auch bei den Fischen haben wir negative Effekte beobachtet, besonders die Jugendstadien leiden unter Ozeanversauerung.
Gewinner der Ozeanversauerung sind vor allem jene, die Photosynthese betreiben. Auch Blaualgen werden von den erhöhten CO2-Konzentrationen profitieren, weshalb die Gefahr besteht, dass wir in Zukunft noch mehr dieser toxischen Blaualgenblüten in der Ostsee haben werden.

Wie genau wirkt sich die Ozeanversauerung auf Fische aus?

Intensiv untersucht haben wir den Dorsch – eine Art, die für die Fischerei in Nordeuropa von besonderer Bedeutung ist. Wir haben den Lebenszyklus vom Schlüpfen aus dem Ei bis hin zu den Jungtieren untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass unter erhöhten CO2-Bedingungen, wie wir sie bis Ende dieses Jahrhunderts erwarten, nur halb so viele Dorschlarven überleben. Modellrechnungen zur Entwicklung des Dorschbestandes haben ergeben, dass aufgrund der erhöhten Sterblichkeit der Larven die Dorschbestände in Zukunft auf weniger als ein Viertel des heutigen Bestandes schrumpfen könnten.

Welche Auswirkungen hat die Ozeanversauerung auf den Menschen?

Kein Dienstleister dieser Welt kann den Service toppen, den uns die Meere tagtäglich erweisen. Sie regulieren unser Klima, liefern uns Nahrung, sind Ort der Erholung und Inspiration. Doch diese Leistungen sind in Gefahr. Bei zunehmender Versauerung vermindert sich die Aufnahme von menschengemachtem CO2 durch die Ozeane. Viele Arten werden sich an die raschen Veränderungen der Umweltbedingungen nicht anpassen und in ihrer ökologischen Nische behaupten können. Das Resultat ist ein Verlust an Artenvielfalt. Auch ist zu befürchten, dass die Nahrungsnetze unter den zukünftigen Bedingungen weniger produktiv sein werden und wir weniger Nahrung aus dem Meer schöpfen können. Für etwa eine Milliarde Menschen ist Nahrung aus dem Meer die Hauptquelle für tierisches Protein, besonders in den ärmeren Regionen. Die Menschen in diesen Ländern werden also wie so oft am meisten betroffen sein.

Wenn wir die Erwärmung, Sauerstoffmangel und Überdüngung betrachten – wie schlimm ist die Ozeanversauerung verglichen mit diesen anderen Gefahren für den Ozean?

Diese Stressfaktoren verstärken sich oft gegenseitig in ihrer Wirkung: Erwärmung und Versauerung in Kombination können einen deutlich größeren Effekt haben, als jeder dieser Faktoren allein. Es gibt aber auch Fälle, in denen sie sich gegenseitig abmildern. Entscheidend ist, dass diese Stressfaktoren global auftreten. Die Organismen können ihnen also nicht entkommen. Hinzu kommen noch regionale Stressoren wie Verschmutzung, Überdüngung und Überfischung. Zusätzlicher Stress vermindert die Fähigkeit, negative Effekte der Ozeanversauerung zu kompensieren. Eine wichtige Forderung ist daher, die regionalen und lokalen Stressfaktoren zu reduzieren, damit die Lebewesen besser gegen die globalen Stressoren Erwärmung und Versauerung gewappnet sind.

Welche Schlüsse können wir aus den Forschungsergebnissen von BIOACID ziehen?

Ozeanversauerung wird in Kombination mit Erwärmung, Sauerstoffverlust und anderen regionalen Stressoren die Zusammensetzung der marinen Ökosysteme verändern und damit ihre Funktion beeinträchtigen. Dies ist ein weiteres sehr starkes Argument, dass wir uns mit aller Macht dem Klimaschutz widmen müssen. Das Pariser Abkommen, in dem sich 195 Staaten dazu verpflichtet haben, unter 2 Grad Erderwärmung zu bleiben, muss unbedingt eingehalten werden. Wenn die Erwärmung zwei Grad überschreitet, wäre das auch für die Lebensgemeinschaften im Ozean ein hohes Risiko. Deshalb müssen wir innerhalb der nächsten Jahrzehnte den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Riebesell.

Das Projekt BIOACID
Im November 2017 endet der deutsche Forschungsverbund zur Ozeanversauerung BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification, Biologische Auswirkungen von Ozeanversauerung) nach acht Jahren intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit. Das Projekt wurde von Prof. Ulf Riebesell, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Prof. Hans-Otto Pörtner, Meeres-Ökophysiologe am Alfred Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung und Co-Chair der Arbeitsgruppe II des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) koordiniert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte das Projekt über drei Förderphasen mit insgesamt 22 Millionen Euro.