Erdbeben: Vorhersehbar, aber nicht vorhersagbar

Forschung zu Georisiken setzt auf Frühwarnung / Wanka: Warnsysteme so weiterentwickeln, dass im Ereignisfall schneller reagiert werden kann

Das Erdbeben in Nepal vor 17 Tagen hat nach den jüngsten Zahlen mehr als 7.600 Menschen das Leben gekostet. Ein Nachbeben der Stärke 7,2 hat jetzt wieder das Land erschüttert, mit weiteren Nachbeben ist zu rechnen. Diese Ereignisse haben erneut gezeigt, wie wenig derzeit Erdbeben entgegengesetzt werden kann, es sind diejenigen Naturkatastrophen, die die meisten Menschenleben fordern und die höchsten Schäden verursachen.

Dies ist für Bundesforschungsministerin Johanna Wanka Anlass, gemeinsam mit dem Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam (GFZ) Bilanz zu ziehen, wo die Erdbebenforschung heute steht.
Erdbeben sind nicht vorhersagbar. Unsere einzige Chance ist die Frühwarnung, wenn das Ereignis eintritt, so Wanka. Mit unserer Forschung zu Georisiken bringen wir die besten Köpfe zusammen, um die Frühwarnsysteme national wie international soweit zu entwickeln, dass im Ereignisfall schneller reagiert werden kann.

Es sind bisher keine verlässlichen Anzeichen bekannt, die ein drohendes Erdbeben kurzfristig und zuverlässig ankündigen würden. Nach über 100 Jahren Erdbebenforschung weiß die Wissenschaft aber immer präziser, wo die Risikogebiete sind. Stärke, Zeitraum und Region lassen sich mittlerweile mit sehr hoher Genauigkeit abschätzen. Aus diesem Grund kommt der Entwicklung von Frühwarnsystemen eine zentrale Rolle zu.
Im Herbst plant das Bundesministerium für Bildung und Forschung den Start eines neuen Forschungsprogramms Geoforschung für Nachhaltigkeit (GEO:N), in dem das Thema Früherkennung von Naturgefahren eine zentrale Rolle spielen wird. Das Programm ist für eine Laufzeit von zehn Jahren angelegt. Gegenstand der ersten Förderbekanntmachung wird die Frühwarnung vor Georisiken sein, angesprochen sind internationale Forschungsverbünde.

 Die Wissenschaft weiß recht gut, wo die Risikogebiete sind, und Frühwarnung kann möglich werden, wenn das Epizentrum eines Bebens weit genug von Ballungsräumen entfernt liegt, so Reinhard Hüttl, Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen  GeoForschungsZentrums  in Potsdam.
Zum Beispiel hätte es aufgrund der Wellenausbreitung beim Izmit-Beben von 1999 eine theoretische Frühwarnzeit von bis zu 20 Sekunden bis Istanbul-Zentrum gegeben. Damals ist diese Zeit ungenutzt geblieben, heute sind durch Forschung in solchen Regionen Frühwarnsysteme entwickelt worden.

Das GFZ hat eine Weltkarte der Erdbebengefährdung erstellt, die ständig, auch mit neuen Methoden, aktualisiert wird. Die Messung von Erdbeben erfolgt mit Hilfe von Seismometern (Erdmikrophone, Meßgeräte für Erdbewegung) und diese sind weltweit vernetzt. In Deutschland werden seismologische Stationen von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), den Staatlichen Geologischen Diensten und von einigen Forschungseinrichtungen betrieben.

Ein Beispiel für ein internationales Netzwerk seismologischer Stationen ist das GEOFON- Netz, das federführend vom GeoForschungsZentrum in Potsdam zusammen mit etwa 50 internationalen Partnern betrieben wird. GEOFON hat sich mittlerweile zum zweitgrößten wissenschaftlichen Seismologie-Netzwerk entwickelt. Stationsschwerpunkte sind Europa, Nordafrika und Südostasien. Weiterhin betreibt das GFZ mit seinen Partnern an einzelnen Schlüsselstandorten (Nordchile, Istanbul, Naher Osten, Zentralasien) verdichtete Stationsnetze, bei denen nicht nur seismologische Daten aufgezeichnet werden, sondern auch weitere relevante Parameter, wie die langsame Verschiebung der Erdoberfläche mit Hilfe von GPS-Stationen. Aus diesem Verschiebungsfeld lässt sich rekonstruieren, an welchen potentiellen Bruchflächen sich Spannungen aufbauen.

Wesentliche Fortschritte bei der Frühwarnung konnten nach der verheerenden Tsunami-Katastrophe 2004 mit 230.000 Todesopfern im indischen Ozean erzielt werden. Da sich Tsunami-Wellen erheblich langsamer als Erdbebenwellen fortbewegen, kann hier die Warnzeit lang genug sein, um gefährdete Küstenbereiche zu evakuieren. Trotzdem ist die schnelle Warnung für naheliegende Küsten eine erhebliche Herausforderung für die Forschung.

Mit dem Aufbau des Tsunami-Frühwarnsystems im Indik hat Deutschland in enger Kooperation mit Indonesien ein innovatives und wirksames System aufgebaut. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF hat hierfür 17 Millionen Euro beigesteuert. Kern des Systems ist die vom GFZ entwickelte Erdbeben-Analysesoftware SeisComP 3, die sich mittlerweile zu einem internationalen Standard entwickelt hat und unter anderem in allen Anrainerstaaten des Indik eingesetzt wird.
Seit der Inbetriebnahme in 2008 wurden mehrfach erfolgreich Tsunamiwarnungen innerhalb von 5 Minuten erzeugt. Seit Anfang 2012 ist Indonesien für die Weiterleitung von Warnungen für den gesamten Bereich des Indischen Ozeans zuständig.
Seismologen können auch unmittelbar nach dem Ereignis hilfreiche Informationen mit sog. Erschütterungskarten (Shake Maps) liefern, anhand derer kurzfristig die am stärksten betroffenen Gebiete nach einem Erdbeben identifizierbar sind. Diese Informationen werden beispielsweise für die Entsendung von Hilfsorganisationen genutzt. Allzuoft werden derartige Informationen noch unzureichend berücksichtigt.

Immer noch der beste Schutz vor Erdbeben ist eine sichere Bauweise von Gebäuden. Deutschland spielte eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Europäischen Makroseismischen Skala (EMS), die - in 30 Sprachen übersetzt - Grundlagen für erdbebensicheres Bauen bereitstellt. Zur Risikoerfassung wird mit Kamerafahrzeugen  eine flächenhafte Erfassung der Bausubstanz gefährdeter Städte vorgenommen. Mini-Sensoren, die an Bauwerken angebracht werden, füttern die jeweils gemessene Erschütterung in ein Messnetz ein, die dann zur Frühwarnung oder Schadensmeldung verwendet werden. Das ist in den Risikogebieten von zentraler Bedeutung. Solche innovativen Ansätze haben beispielsweise in Istanbul zu erheblichen Rekonstruktionsmaßnahmen für erdbebensicheres Bauen geführt.
Deutschland ist in der Erforschung von Georisiken ein wichtiger Akteur. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt daher seit 10 Jahren kontinuierlich nationale und internationale Projekte zur Erforschung und Früherkennung von Georisiken, rund 36 Millionen Euro wurden bisher für Forschung zu Naturgefahren einschließlich der Erdbebenforschung bereitgestellt.

Weitere Informationen zur Geoforschung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finden Sie hier.

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