Forschung vor Kapverden: Wie die Physik das Leben formt

Der Ozean rund um die Kapverdischen Inseln ist ungewöhnlich produktiv, obwohl es mitten in einem nährstoffarmen Gebiet liegt. Die Gründe dafür hat jetzt ein Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel herausgefunden - auf Basis von Daten aus zwei Jahrzehnten. Die Forschung fand unter anderem im Rahmen des vom BMFTR geförderten Projekts REEBUS statt. Die Analyse zeigt: Meereswirbel, interne Wellen und Windfelder fördern den Transport von Nährstoffen aus der Tiefe an die Oberfläche.

Rund 600 Kilometer vor der westafrikanischen Küste liegt mitten im offenen Atlantik das Kapverdische Archipel – ein Hotspot des Lebens unter Wasser. Dort tummeln sich Wale, Delphine und große Fischschwärme. Warum gerade rund um die Inseln so viel Leben herrscht, konnte ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun erstmals im Detail erklären: Kleinskalige physikalische Prozesse wie Strömungswirbel, Gezeiten und Winde schaffen lokal sehr unterschiedliche Lebensräume.

Zwei Jahrzehnte interdisziplinäre Forschung

Die Studie stützt sich auf einen außergewöhnlichen Datensatz: Er umfasst die Ergebnisse von 34 Forschungsexpeditionen, Messdaten von Tauchrobotern, Satellitenbeobachtungen sowie Daten von dauerhaft verankerten Ozeanstationen. Die Forschenden verknüpften physikalische, chemische und biologische Messgrößen, um den Zusammenhang zwischen Strömungen, Nährstoffen und Artenzusammensetzung im Ozean sichtbar zu machen.

„Erst durch die Kombination all dieser Informationen konnten wir Muster erkennen, die mit physikalischen Daten allein nicht sichtbar geworden wären", sagt Erstautor Dr. Florian Schütte vom GEOMAR. Die Ergebnisse liefern auch wichtige Grundlagen für die Entwicklung digitaler Werkzeuge – etwa eines Digitalen Zwillings des Ozeans. Dieses digitale Abbild verknüpft große Datenmengen aus verschiedenen Disziplinen miteinander. Schütte: „Was bringen viele Perspektiven zusammen, um das System als Ganzes zu verstehen."

Drei Schlüsselprozesse entdeckt

Auf Basis des riesigen Datensatzes identifizierte das Forschungsteam drei physikalische Schlüsselprozesse, die dafür sorgen, dass Nitrat – der limitierende Nährstoff für das Wachstum von Phytoplankton im Atlantik – aus tieferen Wasserschichten an die Oberfläche gelangt:

1. Windwirbel: Der erste Mechanismus basiert auf sogenannten „Island Wakes" – Wirbelfeldern, die entstehen, wenn der stetige Nordostpassat auf die hohen Vulkane von Santo Antão und Fogo trifft. Die markante Topografie lenkt den Wind ab und erzeugt im Windschatten starke lokale Windscherung. Diese wiederrum führen zur Bildung sehr produktiver Wasserwirbel, die die Durchmischung und den Nährstofftransport anregen.

2. Ozeanwirbel: Der zweite Prozess betrifft so genannte „mesoskalige Eddies" – eher großräumige Ozeanwirbel mit bis zu 120 Kilometern Durchmesser. Diese entstehen regelmäßig vor der westafrikanischen Küste und transportieren nährstoffreiches, kaltes und salzärmeres Wasser westwärts in Richtung der Kapverdischen Inseln.

3. Interne Wellen durch Gezeiten: Auch die Wechselwirkung von Gezeiten mit der steilen Unterwassertopographie der Inseln spielt eine entscheidende Rolle. Das Kapverdische Archipel liegt in einem Tiefseebecken mit Wassertiefen zwischen 3000 und 4000 Metern. Die gleichmäßigen Gezeiten werden durch die Seeberge und Küstenlinien der Kap Verden gestört – es entstehen sogenannte interne Gezeitenwellen. Diese internen Wellen brechen wie Brandung an einer Küste – und sorgen für eine starke vertikale Durchmischung des Wassers.

Die Physik bestimmt, wer wo lebt

„All diese Prozesse transportieren Nitrat aus der Tiefe in die lichtdurchflutete Oberflächenschicht und fördern dort das Wachstum von Phytoplankton, das die Basis allen Lebens im Ozean bildet", erklärt Schütte. In den dadurch entstehenden produktiven Zonen wurden bis zu zehnmal höhere Konzentrationen von Zooplankton gemessen, häufiger Fische gefangen und mehr Wale gesichtet.

Die zentrale Erkenntnis der Studie geht jedoch noch weiter: Auch die Artenzusammensetzung im Ozean wird durch die Art des physikalischen Prozesses gezielt beeinflusst. „Wo Gezeiten dominieren, leben andere Tiere als dort, wo Windwirbel entstehen oder Eddies gegen die Inseln stoßen", sagt Schütte. „Was früher wie chaotische Vielfalt wirkte, zeigt jetzt erkennbare Muster. Wir bringen etwas Struktur in den Ozean – und verstehen, wie biologische Vielfalt entsteht."

Relevanz für nachhaltige Nutzung

Die Studie zeigt erstmals im Detail, wie die biologische Vielfalt im Ozean mit physikalischen Prozessen und der Unterwassertopografie verknüpft ist. Diese ganzheitliche Perspektive liefert eine wichtige Grundlage, um das marine Ökosystem der Region besser zu verstehen. Gerade für das nachhaltige Management von Fischbeständen ist dieser systemische Blick von großer Bedeutung. Denn bislang basieren viele Entscheidungen in der Fischerei vor allem auf Fangstatistiken. Die neue Studie macht deutlich: Ein zukunftsfähiges Monitoring braucht mehr – eine interdisziplinäre Datenerhebung kombiniert mit langfristigen Messprogrammen vor Ort.

Originalpublikation:

Schütte, F., Hans, A.C., Schulz, M., Hummels, R., Assokpa, O., Brandt, P., Kiko, R., Körtzinger, A., Fiedler, B., Fischer, T., Rodrigues, E., Hoving, H-J., Hauss, H. (2025). Linking physical processes to biological responses: Interdisciplinary observational insights into the enhanced biological productivity of the Cape Verde Archipelago, Progress in Oceanography, 235, 103479.
https://doi.org/10.1016/j.pocean.2025.103479