Forschungsexpedition untersucht sauerstoffarme Zonen in der Ostsee
Immer wieder entstehen in der westlichen Ostsee sauerstoffarme Zonen auf, die zu massenhaftem Fischsterben führen. Welche Faktoren begünstigen diese Entwicklung? Dieser Frage geht ein Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel während einer Expedition mit dem Forschungsschiff ELISABETH MANN BORGESE nach. Die Forschungsarbeiten werden vom Bundesministerium für Fortschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) im Rahmen des Verbundprojekts PrimePrevention innerhalb der DAM-Forschungsmission mareXtreme gefördert.
Ziel des Verbundprojekts ist es, eine koordinierte Strategie der Küstenländer zu entwickeln, um dem Klimawandel in Ostsee und Nordsee entgegenzuwirken. Dafür sollen die klimabedingt verstärkt auftretende marine Naturgefahren, darunter schädliche Mikroorganismen und sauerstoffarmes Wasser, näher untersucht werden. Die Expedition EMB374 führt von Kiel aus in die südwestliche Ostsee und nimmt insbesondere küstennahe sauerstoffarme Zonen und Schwefelwasserstoff am Meeresboden in den Fokus. Dem Forschungsteam gehören Forschende des GEOMAR sowie der Universitäten Hamburg und Oldenburg an.
Toxischer Schwefelwasserstoff im Meeresboden
In der Kieler Bucht kommt es im Spätsommer regelmäßig zu einer starken Abnahme des Sauerstoffgehalts – eine Folge des Klimawandels und der Überdüngung (Eutrophierung). Das hat schwerwiegende Konsequenzen für Ökosysteme der Ostsee und damit auch für die regionale Wirtschaft. Das Untersuchungsgebiet der Expedition EMB374 ist für das häufige Auftreten sauerstoffarmer Zonen im Spätsommer bekannt. Besonders problematisch ist dabei die Freisetzung von toxischem Schwefelwasserstoff am Meeresboden.
Für die Untersuchungen bleibt das Schiff in Küstennähe. Denn obwohl Küstensedimente nur etwa neun Prozent des Meeresbodens ausmachen, spielen sie eine zentrale Rolle bei der Speicherung und dem Abbau von organischem Material, wie Algen-, Pflanzen- oder Tierresten. Unter sauerstoffreichen Bedingungen kann das organische Material zu CO2 abgebaut werden.
In der südwestlichen Ostsee treten aber im Spätsommer sauerstoffarme und sogar sauerstofffreie Zonen im bodennahen Wasser auf. Diese geht mit dem Vorkommen bestimmter Bakterien einher, die das organische Material zersetzen. Sie nutzen dafür Sulfat, wovon es im Meerwasser reichlich gibt. Wird Sulfat reduziert, entsteht Schwefelwasserstoff. Es hat einen charakteristischen Geruch nach faulen Eiern und ist für viele Meeresorganismen giftig. Gelangt sauerstoffarmes bzw. schwefelwasserstoffhaltiges Wasser durch Auftrieb in flachere Wasserschichten, kann dies zu massenhaftem Fischsterben führen.
Risiken für Meeresorganismen vorhersagen
„Wir wollen herausfinden, unter welchen Umständen und wo genau Schwefelwasserstoff aus dem Sediment ins Bodenwasser freigesetzt wird. Mit diesen Erkenntnissen können wir Risiken für Meeresorganismen besser vorhersagen und die Rolle der Ostsee unter Einfluss des Klimawandels genauer bewerten“, sagt Fahrtleiterin Prof. Dr. Mirjam Perner, Professorin für Geomikrobiologie am GEOMAR.
Die Expedition ist Teil eines Projekts im Verbund PrimePrevention. In diesem Projekt werden Faktoren untersucht, die zur Entstehung von schwefelwasserstoffhaltigen Bodenwässern führen. Während der Expedition messen Sensoren die Sauerstoff- und Schwefelwasserstoffkonzentrationen in der Wassersäule und bestimmen geochemische und mikrobiologische Faktoren am Meeresboden. Alle verfügbaren Umweltdaten fließen dann in numerische Modelle ein, mit deren Hilfe die Freisetzung von Schwefelwasserstoff vorhergesagt werden kann. Ziel ist es, gefährdete Regionen zu identifizieren und das Risiko für Stakeholder wie den Tourismus, die Fischerei und Aquakulturen einzuschätzen.
Algenblüte in der Ostsee
Während der Fahrt werden auch verschiedene Systeme für die Detektion von Blaualgen, den Cyanobakterien, getestet. Diese machen einen großen Teil der sommerlichen Algenblüten in der Ostsee aus und können Toxine produzieren, die zum Teil zu Badeverboten an Stränden führen. Sterben sie ab, führt dies außerdem zu einem erhöhten Sauerstoffverbrauch in tieferen Wasserschichten.
Ein neu entwickeltes optisches Messystem der Universität Oldenburg wird während der Expedition getestet und mit anderen Messungen verglichen, um seine Tauglichkeit für einen routinemäßigen Einsatz auf Schiffen oder Messplattformen zu beurteilen. Für Vergleichsmessungen kommt auch das HyFiVe-System (modulares Hydrographie-Messsystem) zum Einsatz. Es wurde am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und am Thünen-Institut in Zusammenarbeit mit der Hensel Elektronik GmbH mit Förderung des Bundes entwickelt.
Ein neu integrierter Sensor kann die Menge an Cyanobakterien messen. Mit dem HyFive System sollen unter anderem Fischer dazu befähigt werden, ergänzend Messdaten für die Meeresforschung aufzunehmen (Projekte PrimePrevention und HyFiVe-Baltic). Die frühzeitige Detektion von Cyanobakterien soll dann in Frühwarnsysteme eingebettet werden, um Menschen in Küstenregionen vor Schäden zu schützen. Um die beiden Systeme zu validieren, nimmt das Oldenburger Unternehmen AquaEcology außerdem Wasserproben.
„In der Ostsee laufen Prozesse wie Erwärmung, Versauerung und Eutrophierung ausgeprägter und schneller ab, als in anderen Weltmeeren. Wir sprechen daher auch von der Ostsee als Zeitmaschine. Deshalb ist es so wichtig, bereits jetzt zu verstehen, wie die Prozesse funktionieren, die in Zukunft verstärkt auch andere Meeresgebiete betreffen können“, betont Mirjam Perner.
Hintergrund: Verbundprojekt PrimePrevention
Die Forschungsfahrt und die damit verbundenen Arbeiten sind eingebettet in das Verbundvorhaben PrimePrevention der Mission mareXtreme der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM). PrimePrevention erforscht Möglichkeiten zur Vorhersage biologischer Gefahren für das Meer zur Verhinderung sozioökonomischer Auswirkungen und wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert. Koordiniert wird PrimePrevention von Dr. Katja Metfies am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).