Hoffnungsschimmer für bedrohte Riffe: Neue Erkenntnisse zum Fischreichtum in Korallenriffen

Ein internationales Forscherteam untersuchte über 2.500 Korallenriffe in 46 Ländern, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen besonders viele Fische in Riffen leben. Dabei kamen die Wissenschaftler zu einem erstaunlichen Ergebnis: Bessere Fischerei-, Transport- und Kühltechnologie führt oftmals dazu, dass weniger Fische in den Riffen leben. Schutz vor Überfischung bietet die Einbindung der Küstenbewohner in das Küstenmanagement und jahrhundertealte Fischereitraditionen mit Regeln und Tabus. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift Nature. Mitautor der Studie ist der Bremer Wissenschaftler Dr. Sebastian Ferse.

Korallenriffe ernähren Millionen von Menschen in den Tropen, doch viele dieser Riffe liefern nicht mehr die erwarteten Fischereierträge. Was beeinflusst den Fischreichtum in den Riffen? Dieser Frage ging ein internationales Team von 39 Wissenschaftlern an mehr als 2.500 Riffen in 46 Ländern nach und trug einen gewaltigen Datensatz zusammen. Die Ergebnisse der internationalen Studie könnten nun die Basis für neue Lösungen zum Schutz der Korallenriffe sein. Die Untersuchungen der Wissenschaftler unter Leitung von Prof. Josh Cinner von der australischen James Cook Universität wurden diese Woche in der renommierten Zeitschrift „Nature“ publiziert – rechtzeitig zum Start der weltgrößten internationalen Korallenriff-Konferenz ICRS (19. bis 24.6.) auf Hawaii. Einer der Mitautoren der Publikation ist Dr. Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie (ZMT) in Bremen.

Unwirksames Fischereimanagement und guter Zugang zu den nächstgelegenen Märkten – dieses sind zunächst die wesentlichen Faktoren, welche zur Überfischung von Riffen führen. Dass einige Riffe unter diesen Bedingungen dennoch unerwartet hohe Fischressourcen haben können, zeigt die neue „Nature“-Studie.

Über 6.000 Transekte legten die Wissenschaftler in Korallenriffen rund um den Äquator. „Dabei werden Riffabschnitte mit einer Leine abgesteckt und die Anzahl und Art der Fische in dem markierten Bereich unter Wasser dokumentiert“, erklärt der Riffökologe Dr. Sebastian Ferse vom ZMT. Seine Zählungen machte er in Nord-Sulawesi, Indonesien, wo die Riffe zu den artenreichsten der Welt zählen. Die Beobachtungen konzentrierten sich auf unmittelbar von Riffen abhängige Arten, darunter ökonomisch wertvolle wie Lippfische, große Riffbarsche oder Papageienfische.

Zusätzlich erhoben die Forscher eine Vielzahl von Daten über lokale Umweltbedingungen, Fischereimanagement und sozio-ökonomische Gegebenheiten in den untersuchten Küstenregionen. Die statistische Auswertung ergab, dass sich die Fischbiomasse der meisten Riffe anhand der berücksichtigen Faktoren erklären lässt: Größe und Erreichbarkeit des nächstgelegenen Fischmarktes, Transportinfrastruktur, die wirkungsvolle Durchsetzung von Managementregeln und das lokale Riffhabitat haben wesentlichen Einfluss auf die Biomasse der Rifffische.

„Etwa sechs Prozent der Riffe jedoch scheren aus, haben eine deutlich höhere oder niedrigere Fischbiomasse als erwartet. Dabei schneiden einige Riffe in nahezu unberührten Meeresregionen schlechter ab, während positive Beispiele auch von Standorten mit hoher Bevölkerungsdichte und Fischerei stammen. Das fanden wir sehr spannend und machten uns auf die Suche nach den Gründen für diese Abweichungen“, berichtet Sebastian Ferse.

„Insbesondere die ‚Lichtblicke’ unter den Riffen interessierten uns, denn dort gab es mehr Fisch als wir angesichts der Bevölkerungsdichte vor Ort, der dort herrschenden Armut und schlechten Umweltbedingungen erwartet hätten“, sagt Prof. Josh Cinner von der James Cook Universität in Australien und Erstautor der Studie. „Dabei darf man nicht vergessen, dass es sich hier nicht notwendigerweise um gesunde Riffe handelte, sondern um Riffe mit mehr Fisch als sie unter den Einflüssen, die auf sie wirken, haben sollten.“ Dazu zählen beispielsweise Riffe in den Salomonen, Teile von Indonesien, von Papua Neuguinea und dem Inselstaat Kiribati.

Die Standorte mit mehr Fisch als erwartet zeichneten sich unter anderem dadurch aus, dass die Küstenbewohner in das Fischereimanagement eingebunden werden oder sich jahrhundertealte Fischereitraditionen mit Regeln und Tabus etabliert haben.

Positive Standorte fielen auch dadurch auf, dass die Menschen stark von marinen Ressourcen abhängig sind und es kaum alternative Einkommensquellen gibt – hier ist die Notwendigkeit zu einem nachhaltigen Umgang mit den Riffressourcen sehr groß.

Sebastian Ferse meint: „Diese Ausnahmestandorte liefern uns einen guten Ausgangspunkt, um zu untersuchen, wie es Küstengemeinschaften geschafft haben, ihre Riffe entgegen des globalen Trends in einem überraschend guten Zustand zu erhalten.“

Orte, an denen die Fischbiomasse deutlich niedriger war als erwartet, zeichneten sich hingegen durch Umweltbelastungen wie Stürme oder Korallenbleichen, insbesondere aber durch technologische Entwicklungen wie die Verbesserung von Fischerei-, Transport- und Kühltechnologie aus.

„Die klassischen technischen Maßnahmen des Fischereimanagements entpuppen sich also als Fallen, die zu Ressourcenübernutzung führen. Stattdessen sollten alternative Managementansätze in Betracht gezogen werden, welche die lokale Bevölkerung einbinden“, so Dr. Ferse. „Tropische Korallenriffe sind hochkomplexe Systeme, die sehr sensibel auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren. Jegliche Art von Schutz und Management muss auf einer genauen Analyse der lokalen Gegebenheiten basieren“.

„Wir glauben, dass unsere Ergebnisse Lösungen für das nachhaltige Management der Fischerei in Korallenriffen aufzeigen können“, erklärt Prof. Josh Cinner. „Wenn Menschen vor Ort beispielsweise Besitzrechte an den Riffen hätten, könnten sie selbst kreative Ansätze entwickeln, um einem zu erwartenden Fischschwund entgegenzuwirken.“

Die Korallenforschung am ZMT wurde in zahlreichen Forschungsprojekten vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Wissenschaftlich-Technischen Zusammenarbeiten mit Indonesien, China und Brasilien gefördert.

Originalpublikation:

Bright spots among the world’s coral reefs. Joshua E. Cinner, Cindy Huchery, M. Aaron MacNeil, Nicholas A.J. Graham, Tim R. McClanahan, Joseph Maina, Eva Maire, John N. Kittinger, Christina C. Hicks, Camilo Mora, Edward H. Allison, Stephanie D’Agata, Andrew Hoey, David A. Feary, Larry Crowder, Ivor D. Williams, Michel Kulbicki, Laurent Vigliola, Laurent Wantiez, Graham Edgar, Rick D. Stuart-Smith, Stuart A. Sandin, Alison L. Green, Marah J. Hardt, Maria Beger et al. Nature (2016) doi: http://www.dx.doi.org/10.1038/nature18607