Mehr Vielfalt durch systematische Klasseneinteilung von Arten

Marina Moser ist Doktorandin und Forschungsreferentin am Naturkundemuseum Stuttgart. 2023 entdeckte sie eine neue Wespenart in einem Naturschutzgebiet bei Tübingen: Aphanogmus kretschmanni, benannt nach dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann.

Zur Wespenforschung fand Marina Moser durch ihr Biologiestudium an der Universität Hohenheim, in dem sie sich ursprünglich auf Molekularbiologie spezialisieren wollte. In einem Kurs mit dem Naturkundemuseum Stuttgart kam sie erstmals in Kontakt mit der Welt der „anderen Wespen", deren Vielfalt an Formen und Lebensstrategien sie tief beeindruckte.

An der Wissenschaft begeistert sie vor allem die Erforschung bisher unbeantworteter Fragen rund um die Artenvielfalt. Ihr Forschungsfokus liegt auf der integrativen Taxonomie der Ceraphronoidea, einer Überfamilie bisher kaum erforschter Wespen. Ihre Forschungsarbeit zur Einordnung der Lebewesen in systematische Kategorien ist an das German Barcode of Life (GBOL)-Projekt geknüpft, dessen Schwerpunkt auf der Erschließung von "Dark Taxa" liegt. Damit sind Insektengruppen gemeint, die einen enormen Anteil an der Gesamtartenvielfalt ausmachen, aber mangels taxonomischer Expertise und unzureichender wissenschaftlicher Bearbeitung bisher in Forschungsprojekten und Naturschutz kaum Beachtung finden.

Relevanz der Taxonomie
Für Marina Moser ist die taxonomische Forschung von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Artenvielfalt, da sie Basiswissen zu Vielfalt, Verbreitung, Evolution und Biologie von Arten schafft und verfügbar macht. Dieses Wissen sei die Grundlage für biologische und ökologische Forschung. Es liefert die nötigen Daten, um Naturschutzstrategien zu entwickeln und anwendungsbezogenes Potenzial biologischer Organismen zu erschließen, etwa in Bionik, Medizin und Landwirtschaft.

Erste Ergebnisse kann Marina Moser bereits verzeichnen. In einem gut erforschten Gebiet bei Tübingen hat sie eine neue Wespenart, Aphanogmus kretschmanni, mit auffälligen neuartigen Merkmalen entdeckt. „Im Rahmen meiner Arbeit habe ich diese Art beschrieben, ihre DNA analysiert, ein 3D-Modell der winzigen Wespe aus CT-Scans rekonstruiert und damit über die Funktionsweise ihres Legestachels Hypothesen zu ihrer Biologie herausgearbeitet. Außerdem habe ich ein Protokoll zum genetischen "Barcoding" von Ceraphronoidea entwickelt, um diese Wespen molekular zugänglich zu machen. Aktuell arbeite ich an einer Synthese zu bekannten Parasitoid-Wirt-Beziehungen innerhalb der Ceraphronoidea, deren erste Ergebnisse eine erstaunliche Bandbreite an Wirten aufzeigen."

Hindernisse und Herausforderungen im Forschungsalltag
Entomologinnen und Entomologen sind mit großen Herausforderungen konfrontiert. Viele Insekten sind von Lebensraumverlust, Umweltverschmutzung und Klimawandel bedroht und zeigen bereits deutliche Abnahmen in Populationsgröße und Verbreitung. Während einige Insektengruppen bereits unter Schutz stehen, ist aufgrund der mangelhaften Datengrundlage keine einzige parasitoide Wespe in Deutschland naturschutzrechtlich geschützt. Parallel dazu werden weltweit taxonomische Expertinnen und Experten weniger. Das erschwert zusätzlich die Akquisition von Mitteln und Ressourcen.

Wissenschaft und gesellschaftliche Verantwortung
Die Kommunikation ihrer Arbeit ist für Marina Moser ein wichtiger Teil für den erfolgreichen Erhalt der Artenvielfalt. „Als Doktorandin im Naturkundemuseum Stuttgart kann ich neben der Präsentation meiner Ergebnisse auf Fachkonferenzen viel Erfahrung in populärwissenschaftlicher Wissenschaftskommunikation sammeln: neben Vorträgen für diverse Zielgruppen kommuniziere ich meine Forschungsergebnisse in Roadshows, Workshops, Podcasts, Presseinterviews, Fernsehbeiträgen, Social Media und einem Science Slam. 2023 habe ich die Sonderausstellung ‚Die Anderen Wespen' kuratiert, in der unter anderem das Modell meiner neuen Wespenart sowohl als 3D-Druck als auch digital in einer Virtual-Reality-Anwendung für Besuchende erlebbar ist."

Für Marina Moser erfahren Wespen in der Gesellschaft wenig Wertschätzung, obwohl sie wertvolle biologische Regulatoren, Bestäuber, Samenverbreiter und Zersetzer sind. Sie dienen auch als Nahrung etwa für Vögel und können als biologische Vorbilder in der Medizin(-technik) und Bionik dienen. Die Forschung von Marina Moser hilft die Vielfalt der Arten und deren komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen. Sie liefert Basiswissen für den biologischen Pflanzenschutz, hilft Naturschutzstrategien zu entwickeln und ökosystemare Dienstleistungen zu erschließen und aufrechtzuerhalten. „Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben dem Klimawandel und der damit verbundenen Verknappung natürlicher Ressourcen die größte gesellschaftliche Herausforderung, zu deren Lösung meine Forschung beiträgt", so Marina Moser.

Schlüssel zum Forschungserfolg
Eine Kombination aus Leidenschaft für das Forschungsgebiet, erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kooperationspartnerinnen und -partnern, Freude an der Beantwortung von Forschungsfragen und Beharrlichkeit, falls Experimente einmal nicht so laufen wie geplant, sind für Marina Moser der Schlüssel zum Forschungserfolg. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten die Fähigkeit zur Selbstkritik entwickeln und Feedback als Chance sehen, um dazuzulernen. Ihr helfe nach einer Veröffentlichung vor allem die Wissenschaftskommunikation, um ihre Forschungsergebnisse in einen größeren gesellschaftlichen Kontext zu setzen. „Dialoghafte Wissenschaftskommunikation eröffnet mir neue Perspektiven auf meine Forschung, die mich motivieren, weitere gesellschaftsrelevante Forschungsfragen zu stellen", so Marina Moser.

Auch für den Nachwuchs hat die junge Forscherin passende Tipps parat: „Mein Rat an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler: Folgen Sie Ihren eigenen Interessen und entwickeln sie so die notwendige Leidenschaft für ein Forschungsthema. Dafür ist es wichtig, Möglichkeiten zu nutzen und die eigene Komfortzone zu verlassen, auch wenn die innere Stimme im ersten Moment flüstert ‚aber das kannst du doch gar nicht'." Und wenn im wissenschaftlichen Umfeld zwischen all den hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen die Selbstzweifel zu groß werden und die eigene Kompetenz in Frage gestellt wird, sei es hilfreich, einen Perspektivenwechsel zu wagen, zum Beispiel durch Mitarbeit in einem interdisziplinären Forschungsprojekt, durch Wissenschaftskommunikation oder ein ehrenamtliches Engagement.

 

Zuletzt geändert am