MOSAiC-Expedition: Historischer Tiefstand für arktisches Meereis

Die Fläche des arktischen Meereises ist im Juli 2020 so gering wie nie zuvor um diese Zeit. Vor allem vor der sibirischen Küste hat sich das Eis weit zurückgezogen. Diese alarmierenden Beobachtungen werden auch durch Erkenntnisse der MOSAiC-Expedition bestätigt.

Der starke Schwund des arktischen Meereises hatte sich bereits im Winter bei Messungen von Forscherteams im Umfeld des Forschungseisbrechers POLARSTERN angekündigt. Sie stellten eine Reihe ungewöhnlicher Faktoren fest, unter anderem Anomalien in der Eisdrift und Eisdicke. Im Mai und Juni begünstigte dann eine Warmluftzelle über Sibirien das schnelle Abschmelzen. In der russischen Arktis war es in diesen Monaten um sechs Grad wärmer als im langjährigen Mittel. Seit Beginn des Juli dominiert eine Hochdruckzelle über der Ostsibirischen- und Tschuktschensee die Wetterlage in der Arktis. Sie führt zu überdurchschnittlich warmen Temperaturen über der zentralen Arktis, die bis zu 10 Grad Celsius über dem Mittelwert liegen.

Der größte Rückgang des Meereises wird in der russischen Arktis beobachtet: „In diesem Sektor der Arktis haben wir jetzt rund 1,7 Millionen Quadratkilometer Meereisausdehnung. Das sind eine Million Quadratkilometer weniger Eisfläche im Vergleich zum Mittelwert der vorherigen sieben Jahre“, erklärt Dr. Gunnar Spreen von der Universität Bremen und Teilnehmer der MOSAiC-Expedition. Die gesamte Arktis ist zurzeit mit sechs Millionen Quadratkilometern Meereis bedeckt – 16 Prozent weniger als im Mittel der Jahre 2013 bis 2019. Mitte Juli war die Eisbedeckung so weit zurückgegangen, dass sich die Nordostpassage - der Seeweg entlang der norwegischen und sibirischen Küste bis zur Beringstraße - zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig öffnete – so früh wie selten zuvor.

„So früh im Jahr so viel Wärme in das System zu bringen, beschleunigt und verfrüht das Schmelzen des Eises“, sagt Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Das wirkt sich besonders stark aus, da eine geringe Albedo in dieser Jahreszeit, wenn die Sonne während des Polartages durchgehend hoch am Himmel steht, eine besonders starke Rückkopplung hervorruft.“ Als Albedo wird die Reflexion der Sonneneinstrahlung bezeichnet: Eine eisbedeckte, weiße Oberfläche reflektiert viel eingestrahlte Energie; eine offene, dunkle Wasseroberfläche dagegen absorbiert einen Großteil dieser Energie und wärmt sich daher stärker auf.

Seit Anfang Juli herrscht erneut sonniges und warmes Wetter in der Arktis. Eine Hochdruckzelle hat sich über der Ostsibirischen See und der Tschuktschensee festgesetzt. Die Folge: In der zentralen Arktis werden überdurchschnittlich warme Temperaturen von bis zu zehn Grad über dem Mittelwert gemessen. Einen starken Eisschwund registrieren auch die Forscherteams der MOSAiC-Expedition im Umfeld der POLARSTERN. Der seit Oktober 2019 – mit einer versorgungsbedingten Unterbrechung – an einer Eisscholle durch die Arktis driftende Forschungseisbrecher befindet sich derzeit in der Framstraße zwischen Spitzbergen und Grönland. Der Betrieb der POLARSTERN wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell unterstützt.

Rund um die POLARSTERN sei das Eis bereits zerfallen oder in kleine Bruchstücke zermahlen, sagt Markus Rex, Leiter des MOSAiC-Projektes und derzeit als Expeditionsleiter an Bord. Dennoch biete die MOSAiC-Scholle immer noch eine stabile Basis für die Forschungsarbeiten. „Für die letzte Phase von MOSAiC nehmen wir danach die Gefrierphase in den Fokus. Es ist das letzte Puzzlestück, welches uns in der Beobachtung des gesamten Jahreszyklus des Eises der Arktis dann noch fehlt“, sagt Rex. Dazu werde das Schiff in dieser letzten Phase weit nach Norden vorstoßen, wo das Frieren Mitte August beginne.