Nachhaltiger Konsum in der Weihnachtszeit: Schenken was Sinn und Freude macht!

Die Weihnachtszeit ist auch eine Zeit der Geschenke. Doch Konsum belastet unsere Umwelt und kann soziale Ungleichheiten zementieren. Immer mehr Menschen sehen sich vor dieses Dilemma gestellt. Sie dürfen schenken, lautet die Antwort der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Expertinnen und Experten für nachhaltigen Konsum. Ihr Tipp: Denken Sie daran, was dem Beschenkten wirklich Freude macht und nicht an Menge und Preis und schenken Sie Dinge, deren Kauf mit den Zielen einer Nachhaltigen Entwicklung im Einklang steht.

Im Gespräch mit bmbf.de zeigen die Experten Wege zu einem nachhaltigen Konsum. Sie haben ihre Empfehlungen im BMBF Themenschwerpunkt „Vom Wissen zum Handeln - Neue Wege zum nachhaltigen Konsum" im Rahmen des Förderschwerpunktes Sozial-Ökologische Forschung entwickelt.

Sie sagen, die Wissenschaft kann nicht festlegen, was nachhaltiger Konsum bedeutet. Das müsse gesellschaftlich ausgehandelt werden. Wie kann denn der Impuls aussehen, den die Wissenschaft für den Start dieses Prozesses geben muss?


Gerd Michelsen: Ein zentraler Impuls besteht darin, kritische Fragen aufzuwerfen, auf unbequeme Tatsachen hinzuweisen und auf die Mängel zu einfacher Lösungen hinzuweisen. Und das ist das, was wir mit unseren Konsum-Botschaften tun. Wir haben festgestellt, dass die Diskussion über nachhaltigen Konsum immer noch stark von Mythen geprägt ist. Da gibt es beispielsweise den 'Informations-Mythos', demzufolge es reicht, über den Nutzen und die Gefahren von Produkten aufzuklären. Einflussreich ist auch der 'Stellschrauben-Mythos', der behauptet, dass wenige zentrale Maßnahmen ausreichen, um wirkungsvolle Änderungen zu erzielen. Solchen Mythen stellen wir unsere Botschaften entgegen.

Birgit Blättel-Mink: Was die Wissenschaft auch tun kann und sollte: sie kann in besonderer Weise und jenseits politischer Kalküle Vorschläge zur Diskussion stellen, die Irritationen hervorrufen, gestützt auf Erkenntnisse, die vermeintliches sicheres Wissen in Frage stellen. Konkrete Empfehlungen auszusprechen, wie wir das tun, ist keine Selbstverständlichkeit. Empfehlungen ergeben sich fast nie selbstverständlich aus Forschungsergebnissen. Es war ein anstrengender Prozess, herauszuarbeiten, welche Schlussfolgerungen wir aus unseren Ergebnissen ziehen für die gesellschaftliche Gestaltung von nachhaltigem Konsum.

Rico Defila: Richtig! Und damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Impuls, den die Wissenschaft geben kann, und der für unsere Botschaften sehr wichtig ist: Sie kann über ihre Erkenntnisse und über das, was diese für die Gesellschaft bedeuten, in Dialog treten mit anderen gesellschaftlichen Akteuren. Und dafür sind Gelegenheiten nicht nur wahrzunehmen, sondern ganz bewusst zu schaffen.


Wissen allein reicht nicht für nachhaltige Konsumentscheidungen aus. Die Menschen wollen sich nichts vorschreiben lassen. Was kann die Wissenschaft denn dafür tun, dass Menschen nachhaltiger leben und einkaufen?

Martina Schäfer: Dass Menschen sich nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie zu leben haben, stimmt - und stimmt eben gleichzeitig auch nicht. Menschen lassen sich ja sehr wohl vom Staat vorschreiben, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken müssen, und von ihrem Arzt, welche Medikamente sie einnehmen sollen. Zahlreiche Umfragen zeigen, dass sich Menschen sogar Vorschriften wünschen, damit alle gleichermaßen davon betroffen sind und nicht Andere davon profitieren, dass man selbst umweltbewusst handelt: also etwa durch leere Straßen brettern, weil andere vermehrt das Fahrrad nehmen.

Konrad Götz: Wir dürfen nicht von einem zu simplen Bild des Menschen ausgehen - das ist eine unserer zentralen Botschaften. Menschen geben ihrem Alltag Struktur und Sinn. Und es ist auch nicht so, dass sie ihr Handeln nicht ändern würden - Menschen ändern sich vielmehr dauernd und bauen ihr Leben und ihren Alltag laufend um. Wenn sich ein Element im Leben verändert, weil zum Beispiel ein Kind zur Welt kommt, hat das weitreichende Folgen. Wir haben dafür in unseren Botschaften das Bild des 'Mobiles' verwendet, um auszudrücken, dass jedes Element auf die anderen einwirkt und dass das Leben eines jeden Menschen aus solchen Elementen besteht, die er für sich ausbalanciert.

Ellen Matthies: Und wenn wir wollen, dass Menschen ihr Handeln verändern, dann müssen wir berücksichtigen, dass Wissen nur ein Element ist, das Einfluss auf das Konsumhandeln von Menschen hat – umgekehrt bedeutet dies, dass sich Handeln nicht alleine dadurch verändert, dass dieses eine Element verändert wird. Wissenschaft hat ja nicht in erster Linie die Aufgabe, das Handeln von Menschen zu verändern. Wissenschaft kann aber aufzeigen, unter welchen Bedingungen Menschen ihr Handeln leichter ändern können.

Doris Fuchs: Wissenschaft kann aber noch mehr, würde ich sagen. Sie kann aufzeigen, wo Handlungsbedarf besteht. Mit unseren Konsum-Botschaften machen wir genau das: wir zeigen auf, welche Veränderungen wir als nötig erachten, um nachhaltigen Konsum langfristig zu realisieren. Dabei schauen wir nicht auf ein einzelnes Konsumfeld wie etwa Mobilität oder Ernährung, und wir geben auch keine Empfehlungen für Konsumentinnen und Konsumenten. Unsere Empfehlungen zielen vielmehr darauf ab, das ganze Konsumsystem zu verändern.

Sebastian Gölz: Ja - das gilt etwa für unsere Empfehlung, konsumtreibende Werbung einzuschränken. Es liegt aber nicht an der Wissenschaft zu entscheiden, ob solche Änderungen angepackt werden. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die sich nicht an Expertinnen und Experten delegieren lässt, sondern einen kontinuierlichen Diskurs aller gesellschaftlichen Gruppen braucht. Und wir haben auch nicht den Eindruck, wenn man unsere Empfehlungen umsetzen würde, wäre Konsum automatisch ein für allemal nachhaltig. Wir müssen akzeptieren, dass wir es hier mit einem andauernden gesellschaftlichen Suchprozess zu tun haben, den die Wissenschaft zwar begleiten, aber keinesfalls leiten kann.


Sie räumen den Werten eine große Bedeutung zu. Gibt es in unseren modernen Gesellschaften denn noch die Instanzen, die Werte prägen können?

Daniel Fischer: Die Auseinandersetzung mit Werten ist deshalb wichtig, weil Werte eine große Bedeutung im Handeln von Menschen haben! Menschen lassen sich in ihrem Konsumhandeln durchaus auch von Werten leiten, die mit Nachhaltigkeit im Einklang stehen. Das geschieht beispielsweise dann wenn sie ihr Haus energetisch sanieren, weil sie dadurch zum Umweltschutz beitragen, oder wenn sie Produkte aus fairem Handel nachfragen, weil sie dadurch die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in den Produktionsländern verbessern helfen.

Bettina Brohmann: Genau! Und es gibt sehr viele Akteure und Instanzen, die Einfluss nehmen auf die Werte von Menschen - Werbung, Kirchen, Parteien und Medien sind nur einige davon. Die Einstellungen von Menschen entwickeln sich, z.B. durch Bildung, durch soziale und berufliche Erfahrungen oder durch Vorbilder. Wir sollten das – so unsere Botschaft -  im Sinne der Nachhaltigkeit ermöglichen und institutionell unterstützen.


Sie fordern einen geschützten Ort für Politiker, damit sie Reformen für mehr Nachhaltigkeit entwickeln können. Wie passt das aber mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung zusammen, die gerade aus der Umweltbewegung zu hören ist?

Stefan Zundel: Das eine ersetzt das andere nicht. Geschützte Räume braucht es, damit die politischen Akteure Mehrheiten für mutige Entscheidungen suchen können, ohne durch die Medien abgestraft zu werden, bevor ein ernsthafter Vorschlag überhaupt auf dem Tisch liegt. Bürgerbeteiligung ist notwendig, damit die Menschen nachhaltigen Konsum nicht als staatliche Bevormundung sondern als ihr eigenes Anliegen begreifen können.

Kerstin Tews: Ja, und die Reformen, über die in den geschützen Räumen debattiert werden soll, müssen dann den normalen politischen Prozess durchlaufen. Und wir empfehlen ja auch partizipative Aushandlungs- und Beteiligungsprozesse. Wir sprechen uns also nicht etwa versteckt für eine 'Nachhaltigkeits-Diktatur' aus. Ganz im Gegenteil bauen unsere Botschaften darauf auf, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen über ein gelungenes Leben und Zusammenleben in der Gesellschaft haben und dass das auch gut ist so.


In ihrer Arbeit haben sie festgestellt, dass Menschen ihr Verhalten nicht per Knopfdruck ändern, sondern sich an stabilen Handlungsmustern orientieren. Was kann man tun, um diese zu ändern?

Andreas Homburg: Stabile Handlungsmuster haben ihren Sinn. Sie erleichtern Menschen ihren Alltag. Damit Menschen ihre eingespielten Routinen ändern, ist es zuerst einmal wichtig, dass sie diese erkennen und selbst verändern wollen und dass dies auch möglich ist. Dann können daraus neue Handlungsmuster entstehen. Dies lässt sich dadurch erleichten, dass man Menschen die Gelegenheit gibt, andere, nachhaltigere Handlungsweisen auszuprobieren.

Sandra Wassermann: Deshalb enthalten unsere Botschaften auch Empfehlungen, die zum Ziel haben, solche Gelegenheiten zu schaffen und über solche Erfahrungen zu berichten. Dazu gehört es auch, dass wir von sozialen Initiativen lernen, denn die haben hier bereits viele Erfahrungen gesammelt. Auch dazu haben wir Empfehlungen formuliert. Wir gehen also von einer großen Vielfalt an Möglichkeiten aus, wie menschliches Handeln in Richtung nachhaltigen Konsums gelenkt werden kann und die intelligent eingesetzt werden müssen - den einen und einzigen Hebel gibt es nicht.


Die Weihnachtszeit steht vor der Tür und damit die konsumstärkste Zeit. Was empfehlen Sie den Konsumenten für den Geschenkeeinkauf?

Antonietta Di Giulio
: Wir empfehlen nicht, auf Geschenke zu verzichten! Geschenke sind Ausdruck der Zuneigung zu einem Menschen. Sie sind deshalb wichtig, und zwar für die, die schenken ebenso wie für die, die beschenkt werden. Wir vertreten keinen asketischen Konsum-Verzicht, sondern überlegtes und massvolles Konsumieren, bei dem man sich Gedanken macht über das, was man braucht, und über die Auswirkungen dessen, was man tut. Und das würden wir so auch für den Geschenkeeinkauf empfehlen.

Ruth Kaufmann-Hayoz: Genau. Keine gedankenlose Schenkerei, bei der nur Menge und Preis zählen, sondern überlegen, welches Geschenk einem Menschen wirklich Freude bereitet. Das setzt voraus, dass man sich mit dem Menschen befasst, den man beschenken möchte, mit seiner Lebenssituation, seinen Wünschen und mit dem, was er mit dem Geschenk tun wird. Und wenn der Kauf des Produkts zur Erreichung der sozialen und umweltbezogenen Ziele einer Nachhaltigen Entwicklung beiträgt, wird das Schenken zu einer nachhaltigen Konsumhandlung. 

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In ihrem jetzt erschienenen Buch (Blättel-Mink, Birgit u.a.: „Konsum Botschaften – Was Forschende für die gesellschaftliche Gestaltung nachhaltigen Konsums empfehlen“, Stuttgart 2013) fassen die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse in acht Botschaften zusammen:

  1. Aushandlungs-Botschaft: Was nachhaltiger Konsum ist, muss gesellschaftlich ausgehandelt werden.
  2. Korridor-Botschaft: Gutes Leben für alle als Ziel von Nachhaltigkeit erfordert Minimal- und Maximalstandards.
  3. Mut-Botschaft: Soll nachhaltiger Konsum Wirklichkeit werden, sind unbequeme Entscheidungen der Politik nötig.
  4. Befähigungs-Botschaft: Bildung soll Menschen befähigen, sich an der Gestaltung nachhaltigen Konsums zu beteiligen.
  5. Steuerungs-Botschaft: Die Steuerung nachhaltigen Konsums muss intelligent sein.
  6. Aneignungs-Botschaft: Es sind Voraussetzungen zu schaffen, dass Menschen nachhaltigen Konsum sinnvoll in ihren Alltag einbauen können.
  7. Struktur-Botschaft: Viele verschiedene Akteure schaffen Strukturen – diese stehen alle in der Verantwortung, nachhaltigen Konsum zu fördern.
  8. Such-Botschaft: In sozialen Initiativen werden gesellschaftliche Erfahrungen gewonnen, die für nachhaltigen Konsum fruchtbar zu machen sind.
http://www.konsumbotschaften.de


Die beteiligten Wissenschaftler:
  • Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink, Institut für Soziologie, Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt a/M.
  • Dr. Bettina Brohmann, Öko-Institut e. V. Darmstadt
  • Rico Defila, Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität, Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ), Universität Bern
  • Dr. Antonietta Di Giulio, Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität, Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ), Universität Bern
  • Daniel Fischer, Institut für Umweltkommunikation, Leuphana Universität Lüneburg
  • Prof. Dr. Doris Fuchs, Institut für Politikwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
  • Dr. Sebastian Gölz, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE)
  • Dr. Konrad Götz, Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt a/M.
  • Prof. Dr. Andreas Homburg, Hochschule Fresenius, Idstein
  • Prof. em. Dr. Ruth Kaufmann-Hayoz, Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ), Universität Bern
  • Prof. Dr. Ellen Matthies, Institut für Psychologie, Otto von Guericke Universität Magdeburg
  • Prof. Dr. Gerd Michelsen, Institut für Umweltkommunikation, Leuphana Universität Lüneburg
  • Prof. Dr. Dr. Martina Schäfer, Zentrum Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin
  • Dr. Kerstin Tews, Forschungszentrum für Umweltpolitik, Freie Universität Berlin
  • Sandra Wassermann, Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), Universität Stuttgart
  • Prof. Dr. Stefan Zundel, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik, Brandenburgische Technische Hochschule Cottbus Senftenberg (ehemals Hochschule Lausitz).