Förderrichtlinie MARE:N Küsten-, Meeres- und Polarforschung für Nachhaltigkeit zur Forschungsmission "Wege zu einem verbesserten Risikomanagement im Bereichmariner Extremereignisse und Naturgefahren"

Richtlinie zur Förderung von Projekten im Rahmen der Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Forschung für Nachhaltigkeit und des Forschungsprogramms der Bundesregierung MARE:N – Küsten-, Meeres- und Polarforschung für Nachhaltigkeit zur Forschungsmission „Wege zu einem verbesserten Risikomanagement im Bereichmariner Extremereignisse und Naturgefahren“ im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarung zur Deutschen Allianz Meeresforschung, Bundesanzeiger vom 01.07.2022

vom 19. Mai 2022

1 Förderziel, Zuwendungszweck und Rechtsgrundlage

1.1 Förderziel und Zuwendungszweck

Um die internationale Spitzenposition der deutschen Küsten-, Meeres- und Polarforschung weiter auszubauen und den deutschen Wissenschaftsstandort zu stärken, haben die Bundesregierung und die Regierungen der fünf norddeutschen Länder Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein den Aufbau der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) und die Förderung der Aktivitäten der DAM beschlossen (https://www.allianz-meeresforschung.de). Ein zentraler Kernbereich der DAM sind langfristige, wirkungs- und anwendungsorientierte Forschungsmissionen zu Themen mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Die dritte Forschungsmission der DAM betrifft das Thema „Marine Extremereignisse und Naturgefahren".

In keiner Region wächst die Weltbevölkerung schneller als entlang der Meeresküsten. Die hohe Besiedlungsdichte und die damit verbundene intensive wirtschaftliche Nutzung dieser Regionen führen zu einer steigenden Vulnerabilität der Küstengebiete gegenüber marinen Naturgefahren. Das sind zum einen Sturm-, Flut- und Hochwasserszenarien, die durch kurz- oder langfristige ozeanographische, klimatische und geologische Ereignisse und Entwicklungen verursacht werden. Zum anderen gehören dazu biologisch und chemisch ausgelöste Ereignisse, wie zum Beispiel Massenvermehrungen potentiell toxischer Organismen oder Schadstoffbelastungen, die durch natürliche oder anthropogen verursachte Katastrophen ausgelöst werden. Dabei können einzelne Extremereignisse und Naturgefahren noch verstärkt werden, wenn sie gleichzeitig oder in kurzer Folge auftreten und miteinander interagieren. Diese Szenarien (Mehrfachgefahren und Gefahrenkaskaden) haben oft weitreichende sozioökonomische Auswirkungen.

Marine Extremereignisse und Naturgefahren lösen Kaskaden komplexer, nichtlinearer Prozesse aus, die lokale, regionale und globale Folgen haben. So können Erdbeben oder Vulkanausbrüche zusammen mit unterseeischen Erdrutschen und Tsunamis massive Überschwemmungen auslösen, die kritische Infrastrukturen zerstören und dazu führen, dass gefährliche Stoffe freigesetzt werden. Marine Hitzewellen und durch den Klimawandel bedingte Änderungen in den physikalisch-ozeanographischen Parametern können biologische Ereigniskaskaden auslösen. Dazu gehören z. B. Massenvermehrungen von Algen, die einen lokalen Sauerstoffmangel verursachen, der zu einem regionalen Massenfischsterben führt. Der klimabedingte Meeresspiegelanstieg kann in Verbindung mit Sturmfluten, Tide- und Strömungsänderungen sowie daraus folgenden Sedimenterosionen und -akkumulationen ganze Küstenabschnitte vernichten.

Da es sich bei marinen geologischen, marinen biologischen und physikalisch-ozeanographischen Extremereignissen und Naturgefahren in der Regel um Prozesse handelt, die nicht gelenkt oder gesteuert werden können, hat die Entwicklung von Mitigationsmaßnahmen und gesellschaftlich verankerten, institutionalisierten Frühwarnsystemen zur Schadensbegrenzung eine besondere Bedeutung, um die Resilienz der Küstenökosysteme zu erhöhen. Dazu bedarf es einer Verbesserung der Beobachtungskapazitäten, einer skalenübergreifenden Modellierung der Gefahren und eines umfassenden Verständnisses des komplexen Verhaltens und möglicher Kipppunkte der natürlichen und sozioökonomischen Systeme.

Während sich die Forschung zu marinen Extremereignissen und Naturgefahren bisher auf einzelne Gefahrentypen konzentriert hat, soll bei dieser Forschungsmission der Umgang mit den Wechselwirkungen zwischen kurzfristigen multiplen und kaskadierenden Extremereignissen und Naturgefahren sowie ihren langfristigen Auswirkungen auf marine Ökosysteme und das menschliche Leben an der Küste im Fokus stehen, aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Extremereignissen und Naturgefahren. Das Ziel der Forschung ist, die Vorhersagefähigkeit für marine Extremereignisse und Naturgefahren wesentlich zu verbessern und so die nachhaltige Entwicklung von Küstengemeinden und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft an den Küsten zu unterstützen. Unter Einbeziehung gesellschaftlicher und politischer Akteure sollen leistungsfähige Beobachtungs- und Frühwarnsysteme entwickelt werden, die eine der jeweiligen Ereigniskaskade angemessene Beobachtung, Bewertung und Reaktion ermöglichen. Auf der Basis hochauflösender, ereignisbasierter, synoptischer Beobachtungsdaten und Modelle sollen zukünftig Eintrittswahrscheinlichkeiten und -intensitäten sowie Auswirkungen und Folgen mariner Extremereignisse und Naturgefahren in verschiedenen Szenarien quantifizierbar sein. Möglichkeiten der Anpassung, der Vermeidung, des Schutzes und des Risikomanagements sollen partizipativ entwickelt werden.

Die Förderrichtlinie ist in das Forschungsprogramm der Bundesregierung MARE:N – Küsten-, Meeres- und Polarforschung für Nachhaltigkeit (https://www.fona.de/de/themen/meeres-und-polarforschung.php) eingebettet und adressiert dringende Forschungsbedarfe des Agendaprozesses „Blauer Ozean". Das Kapitel „Umgang mit marinen Naturgefahren" in der Forschungsagenda „Blauer Ozean" fokussiert auf marine geologische Gefahren und Gefahrenketten, marine biologische Gefahren sowie auf die Konzeption von Warn- und Schutzsystemen. Darüber hinaus werden Forschungsbedarfe des Agendaprozesses „Küste im Wandel" in den Bereichen „Klima und Küstendynamik", „Ökosystembasierter Küstenschutz" sowie „Mensch und Küste" angesprochen (https://www.fona.de/medien/pdf/Kueste_im_Wandel_Forschungsbedarfe_in_der_Kuestenmeerfoschung_Ergebnisse_Nov_2018.pdf).

Die Förderrichtlinie adressiert im Rahmen der Strategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Forschung für Nachhaltigkeit (FONA-Strategie) das Handlungsfeld 2 „Anpassungsfähigkeit und Risikovorsorge verbessern (Adaptation)" und das Handlungsfeld 3 „Wissen für wirksame Klimapolitik" (https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/7/31638_Forschung_fuer_Nachhaltigkeit.html.).

Weiterhin unterstützt sie die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals − SDGs) in den Bereichen „Maßnahmen zum Klimaschutz" (SDG 13) und „Leben unter Wasser" (SDG 14).

Mit der Forschung werden substantielle Beiträge zur Umsetzung der folgenden sieben Ziele der „UN-Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung 2021 bis 2030" erbracht: „ein sauberer Ozean", „ein gesunder und widerstandsfähiger Ozean", „ein produktiver Ozean", „ein vorausschauender Ozean", „ein sicherer Ozean", „ein zugänglicher Ozean" und „ein inspirierender Ozean" (https://www.oceandecade.org/vision-mission).

Gemäß den Zielstellungen der DAM soll lösungsorientiertes Handlungswissen für die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft generiert werden, um politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Küsten und Meere im regionalen, nationalen und internationalen Kontext wissenschaftlich fundiert zu unterstützen.

Der Zuwendungszweck ist, die Wechselwirkungen von Natur, Gesellschaft und Wirtschaft durch Beobachtung und Modellierung auf verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen zu erfassen. Darauf aufbauend ist eine sozioökonomische Risikobewertung unter Berücksichtigung der Anfälligkeit, der Widerstandsfähigkeit und des Anpassungspotenzials vorzunehmen. Im Zentrum steht die Entwicklung innovativer Konzepte sowie technischer und anderer gesellschaftlicher Lösungen für den Schutz der Bevölkerung vor Naturgefahren.

Dabei kommt der Implementierung spezifischer Reallabore, die Multi-Hazard-Szenarien und kaskadierende Effekte adressieren und unter konsequenter Einbeziehung lokaler und regionaler Akteure agieren (Co-Creation), eine besondere Bedeutung zu. Dieser Ansatz bildet die Voraussetzung für einen wirksamen Wissens- und Technologietransfer im Zusammenhang mit zuverlässigen Schutz- und Frühwarnsystemen, Anpassungsmaßnahmen und Transformationsprozessen.

Um fundierte Entscheidungsprozesse zu ermöglichen, ist der Einsatz digitaler Ozeanzwillinge zur Beantwortung der Forschungsfragen, zur Abwägung verschiedener Szenarien und zur Prognose wechselwirkender Faktoren wünschenswert.

Die Forschungsprojekte sollen natur- und ingenieurwissenschaftliche Analysen mariner Extremereignisse und Naturgefahren mit Ansätzen zur Untersuchung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen kombinieren.