Stellungnahme zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)

Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka im Deutschen Bundestag

Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Niemals zuvor in der langen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie in den letzten Jahren und wie in diesem Jahr. Das ist ein absoluter Höchststand.

Mit Ausgaben in Höhe von etwa 80 Milliarden Euro liegen wir ganz nah am 3-Prozent-Ziel. Dieses Ziel ist wichtig. Man kann nun die Situation schönreden und sagen, dass es eine ganze Reihe von Nationen gibt, die weniger als 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung ausgeben. Dazu gehören zum Beispiel die USA, die zwar nicht schlecht dastehen, aber weniger ausgeben. Auch China mit seinen Innovationssprüngen gibt ebenfalls viel weniger Geld aus. Vom EU-Durchschnitt will ich erst gar nicht reden.

Ich denke, es ist richtig, sich an denen zu orientieren, die mehr machen. Aber man muss genau hinschauen. Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist ein Indikator. Er ist einfach zu berechnen. Damit wird aber nicht alles erfasst.

Schauen wir uns die Länder an, die mehr machen, zum Beispiel Japan. Da ist der Anteil höher als 3 Prozent, aber Japan hat eine Staatsverschuldung von über 200 Prozent. Das heißt, es wird über Schulden finanziert. Die langfristigen Folgen kann man nicht einfach wegreden.

Ein weiteres Beispiel ist Israel. Dort schwankt der Anteil um 4 Prozent. Aber zwei Drittel der Investitionen in Israel werden mit ausländischem Geld getätigt. Das ist keine Situation, die mit unserer vergleichbar ist. Ein anderes Beispiel ist Korea. Dort wird das Bruttoinlandsprodukt zu einem hohen Anteil – mehr als die Hälfte – von zwei, drei Firmen getragen.

Daher sage ich, dass der Anteil von 3 Prozent nur ein Indikator ist. Wenn man aber Kriterien wie verlässliche Haushaltsführung und das Vermeiden von neuen Schulden hinzunimmt, dann sind wir langfristig richtig gut und solide aufgestellt.

Nun spricht das EFI-Gutachten von 3,5 Prozent in 2020. Ich bin entschieden der Meinung, dass wir den Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt jedes Jahr steigern müssen. Wir müssen uns wirklich ehrgeizige Ziele setzen. Hat sich aber einmal jemand gefragt, was 3,5 Prozent bedeuten würden und ob das eigentlich realistisch ist?

Ich will die Situation beschreiben: Jetzt geben wir 80 Milliarden Euro aus, im Jahr 2020 müssten wir laut Projektionen 125 Milliarden Euro ausgeben. Bund und Länder müssten jeweils mindestens 5 Milliarden Euro mehr ausgeben – das wäre vielleicht noch zu stemmen; wir müssten allerdings unsere gesamte Planung ändern. Aber die Wirtschaft, die jetzt 60 Milliarden Euro ausgibt, müsste dann 25 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Es ist im Moment nicht vorstellbar, wie das realisierbar ist. Wir gehen davon aus, dass der Gradient nach oben gehen muss.

Meine Damen und Herren, wenn wir die Zahlen steigern wollen, dann halte ich Politikerreden, die ich in der letzten Zeit gehört habe und in denen gesagt wird: „Wir wollen die 3,5 Prozent bis 2017 erreichen“, für töricht. Ich denke, wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir realistisch sind, dass wir Pläne haben; aber dass wir auch Bodenhaftung bewahren, um die Pläne umzusetzen.

Im Bericht der EFI wurde die Hightech-Strategie der Bundesregierung dieses Mal genauer analysiert. Zum Beispiel wurden die Spitzencluster gelobt und diesbezüglich der Vorschlag gemacht, stärker auf Impulse nach außen zu setzen. Genau das haben wir gemacht. Ich habe schon in den Koalitionsverhandlungen dafür gekämpft, dass wir nicht sagen: Das ist ein gutes Instrument, und das machen wir jetzt noch einmal und noch einmal und noch einmal. Dann wäre die Wirkung weg. Es geht um Weltmarktführer, um wirkliche Spitzenleistung. Die kann man nicht einfach multiplikativ, additiv immer wieder neu erfinden.

Zur Industrie 4.0. fordert die EFI: Wir brauchen eine Referenzarchitektur. Das läuft. Wir haben ein Programm für eine Referenzarchitektur im IT-Bereich, im Bereich Industrie 4.0 und werden das im nächsten Jahr vorstellen. Aber was ich bei der EFI an dieser Stelle vermisse, ist das zentrale Thema für Industrie 4.0. Das zentrale Thema ist Sicherheit, Datensicherheit und IT-Sicherheit. Es geht nicht nur um die Kompetenzzentren für IT-Sicherheit. Es geht um das große Programm. Für uns ist das ein Schwerpunkt.

Worauf ich ganz besonders stolz bin – die Fraunhofer-Gesellschaft hat das angeregt, wir haben auch politisch dafür gekämpft und sind jetzt praktisch auf der Zielgeraden –, ist die „Initiative Industrial Data Space“. Das wird der Wettbewerbsvorteil sein, und dann können wir aus Industrie 4.0 etwas machen, was diesem Standort noch mehr nutzt.

Die EFI sagt: Wir brauchen eine Wissenschaftsschranke. Ich sage: Wir brauchen nicht nur eine Wissenschaftsschranke, sondern wir brauchen auch eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke sowie eine vollständige Veränderung des Urheberrechts. Das muss jetzt und das muss schnell erfolgen. Dieser Punkt ist zentral.

Zu den MOOCs: Da fand ich das EFI-Gutachten etwas hinter der Zeit. Das war der erste Hype in den USA. Das ist schon längst wieder abgeklungen, das ist kein Geschäftsmodell. Aber die Grundidee, zu fragen: „Wie macht man interaktiv Lehre? Wie erreicht man Menschen auf der ganzen Welt?“, ist wichtig. Wir versuchen, diese Idee mit unserer Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“ umzusetzen. Und wir haben einzelne Hochschulen in der Bundesrepublik, die richtig gut sind in diesem Bereich. Aber wir brauchen dieses Medium in sehr viel stärkerem Maße; nicht über MOOCs, sondern in modernen Formen, in denen dann auch die Studierenden untereinander kommunizieren. Das ist ein großer Vorteil, den wir so vor 10 oder 15 Jahren noch nicht hatten.

Zum Thema KMU muss ich sagen: Die Bundesregierung hat Jahr für Jahr mehr Geld für Innovation im KMU-Bereich ausgegeben – aktuell sind es über 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend: Es gab keine Steigerung, sondern eine Stagnation. Die Ausgaben sinken zum Teil sogar. Deswegen ist es zum Beispiel falsch – was immer wieder gemacht wird –, dass die Wirksamkeit eines Programms einfach nach dem Motto: „Da ist eine große Nachfrage. Das Programm ist toll, das müssen wir aufstocken“ evaluiert wird. Das ist überhaupt kein Kriterium. Ein Programm kann auch deshalb nachgefragt werden, weil man auf diesem Wege einfach an Geld kommt. Die Kriterien für Evaluationen sind wichtig. Das ist ein Prozess, mit dem wir uns in meinem Haus intensiv beschäftigen. Wir glauben auch, dass wir da noch Verbesserungsbedarf haben.

Das EFI-Gutachten hat gesagt: Hinsichtlich der KMU muss man analysieren, was man besser machen kann. Wir sind dabei, und wir müssen hier wirklich neu sortieren. Das ist aber auch unser fester Anspruch.

Ich denke auch, dass soziale Innovationen ganz klar in den Blick genommen werden müssen. Ich habe das schon oft angesprochen. Wir haben damit nicht erst vor ein oder zwei Jahren angefangen. Schauen Sie sich unsere Projekte von vor fünf Jahren in der Hightech-Strategie im Gesundheitsbereich an. Das sind soziale Innovationen. Dort geht es nicht um harte Technik oder ein neues Gerät oder ein neues Produkt. Deswegen bin ich auch nicht dafür, hier den Innovationsbegriff einzuschränken; denn es ist ein breit gefächerter Begriff, der noch in drei, vier Jahren aktuell sein wird.

Mein letzter Punkt: Nachhaltigkeit. Wir haben gerade über den Weltklimagipfel in Paris gesprochen. Es ist klar, dass wir hier etwas machen müssen. Das BMBF gibt momentan etwa 400 Millionen Euro für den Bereich Nachhaltigkeit aus. Wir wollen allein beim Etat des BMBF – nicht von der gesamten Bundesregierung – auf 570 Millionen kommen. Wenn Sie sich anschauen, was wir im Bereich Nachhaltigkeit machen, dann stellen Sie fest, dass das breit gefächert ist. Dabei geht es auch um Technologie. Wir haben einen Weltmarktanteil von 14 Prozent bezüglich der Umwelttechnologie. Wir sind also ganz weit vorne. Aber es geht auch um Stadtentwicklung. Es geht um Themen wie Integration und Migration; auch da gibt es Forschungsaufträge.

Und es geht nicht nur darum, dass wir hier in Deutschland Geld für Forschung ausgeben. Es geht auch darum, was wir zum Beispiel mit unseren Zentren in Südafrika und in Westafrika machen, wenn es um Klimaschutz geht. In diesem Jahr fand hier in Deutschland die Konferenz der Forschungsinitiative WASCAL statt. Wir haben es zum ersten Mal geschafft, dass die westafrikanischen Staaten eine gemeinsame Strategie hatten und dass sie selber Geld einsetzen und nicht nur unser Geld verwenden. Wir kooperieren auf Augenhöhe.

Das heißt, das Thema Nachhaltigkeit ist bei uns bestens aufgestellt.

Die Energiewende wird nicht funktionieren, wenn nicht entsprechende Forschungsergebnisse erzielt werden. Deshalb bin ich überzeugt: Beim Thema Nachhaltigkeit ist es ganz entscheidend, dass wir Prioritäten gesetzt haben in den Bereichen der Energieforschung: Wir haben die Kopernikus-Projekte, vier große Projekte über zehn Jahre. Die Kopernikus-Projekte sind eine große Leistung, die es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Wir haben mit den Naturschützern, mit den Umweltverbänden, mit den Wirtschaftsunternehmen und mit der Wissenschaft gesprochen. Wir haben anderthalb Jahre diskutiert, bis wir ein Ergebnis erreicht haben, das uns richtig voranbringen wird. Wir setzen für dieses Thema strategisch Geld ein, nicht nur für heute und morgen, sondern für die nächsten zehn Jahre.

Meine Damen und Herren, ich denke, uns allen ist klar, dass Bildung und Forschung Schlüsselbegriffe für Wettbewerbsfähigkeit sind. Wir sind gut aufgestellt. Wir müssen aber am Ball bleiben, wenn wir wirtschaftlich stark bleiben wollen. Ich bin fest davon überzeugt, dass nur ein wirtschaftlich starkes Land, ein Land mit einem guten Zusammenhalt, genug Selbstvertrauen und Offenheit hat, um die riesengroßen, vor uns liegenden Herausforderungen, wie zum Beispiel die Globalisierung, die Digitalisierung und die Integration, anzugehen. Dazu wünsche ich mir von Ihnen Unterstützung und gemeinsames Handeln.

Danke.