Welche Gefahren von den
nuklearen Altlasten in Kirgistan ausgehen

Die ehemalige Sowjetrepublik Kirgistan ist ein Land voll rauer Natur: Fruchtbare Flusstäler mit Tannenwäldern, Hochsteppen und das schroffe Tian-Shan-Gebirge mit seinen hohen Felsgipfeln, steilen Schluchten und Gletschern prägen die Landschaft. Seit den 1940er Jahren wurde hier Uran abgebaut, das für das sowjetische Nuklearprogramm gebraucht wurde. Die Altlasten von damals liegen bis heute in notdürftig mit Erde zugedeckten Schlammteichen. Die Menschen vor Ort befürchten, dass Bergflüsse den radioaktiven Schlamm ins Grundwasser tragen könnten. Im durch das BMBF geförderten Projekt TRANSPOND entwickeln Forscherinnen und Forscher ein Monitoring- und Informationssystem für radioaktive Kontamination bei Hangrutschungen und Überflutungen. Der Physiker und Geschäftsführer der IAF-Radioökologie GmbH, Dr. Christian Kunze, leitet das Forschungsprojekt und berichtet im Interview über seine Arbeit.

Herr Kunze, im Projekt TRANSPOND untersuchen Sie gemeinsam mit deutschen, usbekischen und kirgisischen Partnern die Hinterlassenschaften des früheren Uranerzbergbaus in Zentralasien. Welche Gefahren gehen davon aus?
Bei einer Hangrutschung oder einem Flutereignis in der Nähe eines Bergflusses, der unmittelbar an den Rückständen des Uranbergbaus vorbeifließt, besteht das Risiko, dass radioaktive und toxische Rückstände in den Fluss gespült werden. Das alleine ist schon schlimm genug, im Tian-Shan-Gebirge kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu: Im Grenzgebiet fließen viele Flüsse von Kirgistan nach Usbekistan. Da bedeutet radioaktiv kontaminiertes Wasser nicht nur ein Gesundheitsrisiko, sondern könnte auch für politische Verwerfungen sorgen. Deshalb geht es bei der Sanierung von kontaminierten Gewässern auch um Konfliktvermeidung.

Warum bereiten Ihnen Hangrutschungen Sorgen?
In Kirgistan kommt es ständig zu Hangrutschungen, das ist dort eine permanente Bedrohung. Kleine Hangrutschungen gibt es jedes Jahr und dann kommt es immer wieder auch zu großen Erdrutschen wie im März 2017 in Osh und April 2017 in Mailuu Suu. Bei der Rutschung in Osh im März 2017 wurden zwei Dutzend Menschen getötet und Siedlungen zerstört. Ursache für diese Erdrutsche ist eine Kombination verschiedener Faktoren: Erstens sind die Hänge sehr steil, zweitens ist die Region seismisch aktiv und es kommt häufig zu Erdbeben und drittens kommt es häufig zu Starkregenereignissen. Alle diese Faktoren zusammen können dazu führen, dass die ohnehin sehr steilen Hänge vom Starkregen aufgeweicht werden und nach einer leichten Erschütterung, dann mal wieder ein paar zehntausende Tonnen Boden ins Flusstal abrutschen. Ein Kollege von mir hat Kirgistan mal als „Wunderland der Erosion bezeichnet.

Was haben diese Hangrutschungen mit den Hinterlassenschaften des sowjetischen Bergbaus zu tun?
Anders als in ehemaligen Uranbergbaugebieten in Deutschland – zum Beispiel im Erzgebirge – wurden die Bergwerke in Zentralasien nicht ordnungsgemäß geschlossen, Schächte verfüllt und die Natur saniert. Man hat die Bergwerke einfach stehenlassen.

Die Rückstände des Bergbaus liegen meistens im Tal in abgedeckten Geröllhalden und Schlammteichen. Diese Schlammteiche wurden höchstens notdürftig abgedeckt. Die Abdeckungen sind aber nie dauerhaft, sondern werden mit der Zeit von den Naturgewalten zerstört. Wenn jetzt eine Rutschung oder Schlammlawine auf einen dieser Teiche mit radioaktiver Fracht stürzt, kann es sein, dass der Damm der Last nicht standhält und bricht. Es kann aber auch sein, dass starke Niederschläge Jahr für Jahr etwas von der Deckschicht über den Deponien abtragen, bis der strahlende Abfall irgendwann freigesetzt wird.

Wie viel Radioaktivität befindet sich denn in den Flüssen?
Unsere bisherigen Messungen deuten darauf hin, dass die Radioaktivität im Wasser sehr gering ist. Bisher gibt es jedoch keine systematische Bestimmung der Radioaktivität in diesen Flüssen und die Unsicherheit in der Bevölkerung ist groß. Daher ist die systematische Erfassung der Radioaktivität ein Ziel des Forschungsprojekts TRANSPOND. Gemeinsam mit usbekischen und kirgisischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickeln wir einheitliche Messverfahren, damit sie die Radioaktivität in Zukunft selbst messen und mehr Vertrauen in die Messungen der anderen haben können.

Ist die Gefahr real, dass kontaminiertes Wasser nach Usbekistan gelangt?
Viele Flüsse sind Gletscherflüsse aus den kirgisischen Bergen und fließen nach Usbekistan, wo das Wasser für die Landwirtschaft benötigt wird, beispielsweise für den Anbau von Baumwolle. Viele Usbeken befürchten, dass auch ihr Grundwasser von den Flüssen verseucht wird, die toxisches und radioaktives Material über die Grenze tragen. Es gibt tatsächlich zwei Bergwerke in Südkirgistan, die sehr nah an der usbekischen Grenze liegen. Uneinig sind sich beide Länder darüber, wie viel Radioaktivität sich im Wasser befindet. Um zu erforschen, wie viel radioaktive Fracht ein Fluss mit sich trägt, nehmen wir Schwebstoff- und Wasserproben aus Flüssen und untersuchen sie auf radioaktives Blei und Polonium.

Welchen Schaden richtet Radioaktivität in Flüssen und damit auch im Nutzwasser der Menschen an?
Die wirklich quantifizierbaren Schäden sind relativ gering und unschädlich für den Menschen. Wenn man aus den verschiedenen radioaktiven Elementen wie Uran und Radium, die sich im Wasser befinden, eine Dosis berechnet, dann ist diese so gering, dass davon keine Gefahr für den Menschen ausgeht. Gesundheitsschäden sind also nicht zu erwarten.

Dies ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Stellen Sie sich vor, dass ein usbekischer Bauer, der seine Felder mit Flusswasser aus Kirgistan bewässert, seine Baumwolle, Gurken und Melonen auf den Markt bringt. Dort sieht er sich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er sein Gemüse mit radioaktiv kontaminiertem Wasser aus Kirgistan bewässert. Egal, wie gering das real gemessene Risiko ist: Allein das ungute Gefühl in der Bevölkerung bewirkt, dass der Bauer seine Ware nicht verkauft.

Was kann gegen diese Unsicherheit getan werden?
Um diese Debatte zu rationalisieren, haben wir für das Projekt TRANSPOND beide beteiligten Länder ins Boot geholt. In einem ersten Schritt entwickeln wir einheitliche Mess- und Analyseverfahren, mit denen sich die Konzentration von radioaktivem Blei und Polonium kostengünstig und auch in weniger gut ausgestatteten Laboren bestimmt werden kann. Diese Verfahren lassen wir usbekische und kirgisische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erproben, die die Radioaktivität in Zukunft messen sollen. Die gewonnenen Daten fließen dann in ein Umweltinformationssystem ein, das für beide Länder zugänglich ist. Denn Voraussetzung für die transparente Information der Bevölkerung beider Länder ist die gemeinsame Nutzung einer einheitlichen Datenlage. Ein weiterer Teil des Projekts ist eine Handlungsanleitung, die wir gemeinsam mit beiden Ministerien für Katastrophenschutz für den Fall einer radioaktiven Kontamination entwickeln. In dieser Handlungsanleitung steht, was zu tun sein wird, wenn eine radioaktive Kontamination von Kirgistan nach Usbekistan wandert: Wie informieren wir uns gegenseitig, wie beseitigen wir die radioaktiven Rückstände, wie informieren wir die Bevölkerung?

Ziel unseres Projekts ist es also, die Risiken, die von den radioaktiven Rückstände ausgehen, zu messen und zu die Ergebnisse zu kommunizieren: Sowohl die Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung als auch das Risiko eines grenzüberschreitenden politischen Konflikts zwischen Usbekistan und Kirgistan.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kunze.

Im Projekt TRANSPOND (Grenzüberschreitendes Monitoring- und Informationssystem für radioaktive Kontamination bei Naturrisiken) erforschen deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit kirgisischen und usbekischen Forschungseinrichtungen und Behörden die Hinterlassenschaften des früheren Uranerzbergbaus in Zentralasien. Die Projektpartner untersuchen, ob und in welchen Mengen radioaktive Schadstoffe aus dem Bergbau in Flüsse gelangen. Außerdem entwickeln beide Länder Handlungsempfehlungen, die im Falle einer radioaktiven Kontamination umgesetzt werden sollen. Die Firma IAF-Radioökologie GmbH koordiniert das Verbundprojekt und entwickelt Analyseverfahren und eine fachgerechte, repräsentative Probennahme in den Partnerländern. Verbundpartner sind die Firma WISUTEC Umwelttechnik GmbH und die Hochschule Magdeburg-Stendal. WISUTEC richtet auf Basis der Ergebnisse ein Umweltinformationssystem ein. Die Hochschule Magdeburg-Stendal entwickelt einen Leitfaden zum Flussgebietsmanagement bei radioaktiven Kontaminationen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert dieses dreijährige Projekt unter dem Dach von „CLIENT II – Internationale Partnerschaften für nachhaltige Innovation mit rund 800.000 € bis 2020.