BioDivKultur – „Vielfältige Grünflächen sehen eben nicht so aus wie gepflegte Zierrasen“

Parks, Grünstreifen und gewerbliche Grünflächen können einer großen Anzahl von Insektenarten einen wichtigen Lebensraum bieten. Dabei spielen unterschiedliche Gestaltungsentscheidungen eine wichtige Rolle. Im Forschungsprojekt BioDivKultur wird untersucht, wie Biodiversität stärker in der Grünflächengestaltung beachtet werden kann. Professor Dr. Nico Blüthgen berichtet im Interview über Motivation und Ziele des interdisziplinären Projekts.

Herr Professor Blüthgen, was steckt genau hinter Ihrem Forschungsvorhaben BioDivKultur?

Gerade in diesen Zeiten der globalen Krisen hat die Biodiversität nicht nur für Biologinnen und Biologen eine wesentliche Bedeutung, sondern zugleich eine sehr hohe gesellschaftliche Relevanz. Wir untersuchen dabei vielschichtig unsere Biodiversitätskultur: Wie wird über Biodiversität kommuniziert? Welche Werthaltungen liegen hinter verschiedenen Perspektiven und Argumenten? Welche politischen Instrumente können zur Förderung der biologischen Vielfalt eingesetzt werden? Das alles fasst unser Kürzel „BioDivKultur" zusammen. Konkret geht es um Artenvielfalt, Wertschätzung und Förderung von Insekten auf Grünflächen, die von Menschen gestaltet werden. Das reicht von gemähten Straßenrändern über Parks und Gewerbeflächen bis hin zu Wiesen in der Landwirtschaft. Dabei ist uns wichtig, dass alle Beteiligten am Projekt partizipieren. Daher ist auch das Forschungsteam interdisziplinär aufgestellt.

Was ist die Stärke der interdisziplinären Ausrichtung?

Die Biologinnen und Biologen erfassen zunächst nur Fakten, also zum Beispiel wie viele Insektenarten auf einem Quadratmeter Wiese vorkommen je nach Bewirtschaftung, und sie bringen ein naturwissenschaftliches Verständnis der Zusammenhänge ein. Zugleich kann die gesellschaftliche Bedeutung dieser Befunde, die Wahrnehmung und Wertschätzung von Insekten sowie die Notwendigkeit ihres Schutzes, die politischen Entscheidungsspielräume oder die Optionen für eine begleitende Kommunikation nur interdisziplinär, also zum Beispiel mit sozial-, gesellschafts- und kommunikationswissenschaftlichen Perspektiven, untersucht und verstanden werden. Das Zusammendenken und Zusammenarbeiten verschiedener Disziplinen benötigt zwar Übung und Zeit, ist aber außerordentlich lehrreich, fruchtbar und zielführend. Entscheidend ist auch, dass wir direkt mit Partnern aus der Praxis vernetzt sind, so dass sich viele Ideen und Maßnahmen direkt erproben und umsetzen lassen.

Was ist bei der Gestaltung und Pflege von öffentlichen Grünflächen besonders wichtig, wenn man einen positiven Beitrag zur Biodiversität zu leisten will?

Die Lösungswege sind im Grunde einfach: zu allererst die Grünflächen weniger und schonender mähen. Moderne Mähmaschinen sind tödlich für die Mehrzahl der kleinen Tiere in der Vegetation, zum Beispiel Käfer, Wanzen, Zikaden, Heuschrecken und Spinnen. Erst im Spätsommer zu mähen, schont Insekten und auch die Vegetation vor völliger Austrocknung. Förderlich sind auch eine größere Schnitthöhe, die Nutzung von insektenschonenden Geräten oder auch ein Aussetzen der Mahd auf einem Teil der Flächen, die dann als Refugium dienen. Eine gute Alternative ist dabei eine Beweidung, zum Beispiel durch Schafe. Auch der Einsatz von artenreichen heimischen Pflanzenmischungen sind wichtig. Und wir brauchen eine größere gesellschaftliche Akzeptanz – eine vielfältige Grünfläche sieht eben nicht aus wie ein gepflegter Zierrasen.

Wie muss sich das Konzept einer Stadt in der Zukunft entwickeln, damit ein Schutz der biologischen Vielfalt gewährleistet werden kann?

Ob Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität nachhaltig wirken – insbesondere, wenn sie auf kleine, unscheinbare Insekten und Spinnen abzielen, hängt davon ab, dass sie von der Gesellschaft verstanden und mitgetragen werden. Eine transparente strategische Kommunikation ist dabei entscheidend. Zielführender als ein „Betreten verboten"-Schild ist es zum Beispiel, Menschen auf die in diesen Grünflächen lebenden Arten hinzuweisen und für diese Ökosysteme mit ihrer hohen Biodiversität zu werben. Vom Insektensterben haben wir zwar Alle gehört – aber der Natur überlassene, ungepflegt erscheinende Flächen in Siedlungen sind heute trotzdem noch nicht immer akzeptiert. Gute Kompromisse zwischen Nutzung und Nicht-Nutzung der Grünflächen müssen an jedem Standort neu gefunden werden, um den verschiedenen Zielen gerecht zu werden, die wir mit Grünflächen erreichen wollen.

Welche Erwartungen setzen Sie persönlich an Ihre Forschungsarbeit und was ist langfristig zu tun?

Gesellschaft und Politik müssen die Biodiversitätskrise endlich als solche erkennen und die Antworten darauf in den politischen Diskurs und in Handlungen übersetzen. Ein Bewusstsein dafür ist vorhanden, gerade bei Grünflächen. Vielerorts findet bereits ein Umdenken statt, und es gibt erfolgreiche lokale Maßnahmen zur Förderung der Insektenvielfalt. Mit BioDivKultur wollen wir Konzepte, Informationspakete und wertvolle Werkzeuge erarbeiten, die den Schutz der Biodiversität auf unseren Grünflächen fördern. Nimmt man alle bestehenden kleinen und großen Grünstreifen an Straßen und Ackerrändern sowie Grünflächen in Gewerbegebieten, Gärten und Parks zusammen, ergibt sich ein riesiges Potenzial. Maßnahmen zur Förderung der Insektenvielfalt müssen an immer mehr Orten umgesetzt werden und als Vorbilder dienen.