Grassworks – neue Konzepte für Grünlandnaturschutz

Der Bestand an artenreichen Grünlandflächen nimmt seit Jahren ab. Dr. Vicky Temperton, Professorin für Ecosystem Functioning & Services an der Leuphana Universität Lüneburg und hier im Interview, beschäftigt sich im Rahmen des Forschungsprojekts Grassworks gemeinsam mit einem interdisziplinären Forschungsteam mit der Frage, wie sich diese ökologisch besonders wertvollen Landschaften wiederherstellen lassen.

Frau Professor Temperton, was erkunden Sie in Grassworks genau?
Artenreiches Grünland ist seit Jahrtausenden ein wichtiger Bestandteil unserer Landschaften. Grünland hat die Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum als viele Wälder größere Mengen an Kohlenstoff unter der Erde zu binden. Seine Rolle beim Klimaschutz wurde jedoch bisher noch nicht ausreichend gesellschaftspolitisch und sozioökonomisch untersucht. Leider ist der Anteil des Dauergrünlands in den letzten 30 bis 50 Jahren rasanten zurückgegangen. Das ist vor allem auf Landnutzungsänderungen und erhöhte Stickstoffeinträge zurückzuführen und hat den Verlust der Artenvielfalt zur Folge. Mit Grasssworks wollen wir eine bessere und nachhaltigere Nutzung des Grünlands erreichen. Im ersten Schritt untersuchen wir, welche Auswirkungen die Wiederherstellung von Grünlandflächen haben kann und wie Wiesen und Weiden so bewirtschaftet werden können, dass ökologisch hochwertige Ökosysteme entstehen und erhalten werden – gleichzeitig aber auch wie Landwirtinnen und Landwirte für die Gemeinwohlleistungen, die die Flächen erbringen, fair honoriert werden. Wir beleuchten also sowohl ökologische als auch sozial-ökologische und ökonomische Gesichtspunkte in einer Gesamtanalyse. Zum Projektverbund gehören Expertinnen und Experten aus den Disziplinen Ökologie, Nachhaltigkeitswissenschaften und Ökonomie. Hinzukommt das Thünen-Institut als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik sowie der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL).

Auf welchem Areal werden die Untersuchungen stattfinden?
Für das Projekt wurden drei Modellregionen in Nord-, Mittel- und Süddeutschland ausgewählt. Dabei handelt es sich jeweils um Flächen in der Nähe von Lüneburg, Bernburg und München. In jeder dieser Projektregionen werden zusätzlich zu der Untersuchung von 40 schon renaturierten Flächen sogenannte Reallabore eingerichtet, in denen in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren wie Landwirtinnen und Landwirten oder Biosphärenreservats-Verwaltungen konkrete Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Wir entwickeln dabei z. B. ein Online-Tool für die Landwirtinnen und Landwirte, mit dem sie anhand ihrer individuellen Merkmale ihrer Felder Faktoren für eine erfolgreiche Wiederherstellung von Grünland abrufen können.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation des Grünlands in Deutschland?
Allein in Niedersachsen ist in den letzten ca. 30 Jahren die Hälfte der Dauergrünlandflächen verschwunden. Die Nutzung von Grünland als Heu- und Weidefläche wurde für die Landwirtinnen und Landwirte aus wirtschaftlichen Gründen immer unattraktiver. Im Gegensatz dazu stieg die Nachfrage nach sogenannten Produktiv-Grünland, das für die Produktion von Tierfutter und Energiepflanzen genutzt wird, was ökologisch weniger wertvoll ist. Daher begannen zum einen viele Landwirtinnen und Landwirte nach und nach ehemalige Weiden und Wiesen in Ackerland oder produktives Grünland umzubrechen. Dabei verschwanden besonders aus ökologischer Sicht wertvolle Standorte wie Halbtrockenrasen und mesisches und feuchtes Grünland. Zum anderen droht ertragsarmes und abgelegenes Grünland aufgegeben zu werden, weil es wirtschaftlich nicht rentabel ist. Solche Grünlandflächen können sich in Buschland verwandeln und verlieren mit der Zeit ihre Funktion als Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere, die an offenen Verhältnissen angepasst sind. Diese Entwicklung ist nicht nur ein nationales Problem: Auf der ganzen Welt leiden Grünland-Ökosysteme unter dieser doppelten Bedrohung.

Im Zusammenhang mit Grassworks wird auch von einem sozial-ökologischen Transformationsprozess gesprochen. Was ist hiermit gemeint?
In ganz Europa haben sich durch traditionelle, nachhaltige Landnutzungssysteme artenreiche Grünlandflächen entwickelt. Der Begriff Kulturlandschaften spielt hier eine große Rolle. Sie sind das Ergebnis einer engen Verzahnung zwischen sozialen Systemen und Ökosystemen, die zueinander in Abhängigkeit stehen. Beide Systeme können nur zusammen in die Richtung einer Wiederherstellung artenreichen Grünlandes entwickelbar, d.h. können nur gemeinsam transformiert werden. Hierbei darf natürlich auch nicht der Blick auf ökonomischen Bedingungen vergessen werden. In diesem Zusammenhang geht das Grassworks-Projekt über einen klassischen Naturschutzansatz hinaus.

Was ist an Kulturlandschaften so besonders und warum sind sie wesentlich für uns?
Kulturlandschaften geben uns ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität, sie spiegeln unsere Beziehung zu Landschaft, der Natur und zu den im Laufe der Zeit entstandenen Bräuchen wider. Viele bedrohten Arten und Lebensräume befinden sich in Kulturlandschaften. Die Erhaltung der kulturellen Identität und der biologischen Vielfalt hängt in hohem Maße von den Methoden und Verfahren ab, die wir bei der Bewirtschaftung unserer natürlichen Ressourcen wie dem Grünland anwenden. Aber auch vom Wissen und von Werten, die mit Kulturräumen verbunden sind, die zu unserem immateriellen Kulturerbe gehören.

Was ist Ihre Vision im Rahmen von Grassworks?
Mit Grassworks möchten wir einen wichtigen Beitrag leisten, um den Verlust von Arten und ihrer Lebensräume umzukehren und die Menschen wieder mit der Natur zu verbinden. Dabei ist es essenziell, dass Entscheidungen und Prozesse für die Renaturierung und für wirtschaftliche Subventionen erleichtert werden. Deshalb wollen wir heute und langfristig die wissenschaftlich-politische Debatte im Bereich der Biodiversitätskrise nachhaltig mitgestalten.