Wie kann in Überschwemmungsgebieten hochwasserangepasst gebaut werden? Das BMBF-Projekt KAHR testet risikobasierten Ansatz mit einem Planspiel in Erftstadt - eine Reportage

Wie kann Erftstadt nach der Flut 2021 hochwasserangepasst bauen? Um den risikobasierten Planungsansatz zu testen, haben die TU Dortmund und das Erftstädter Amt für Stadtentwicklung und Bauordnung im BMBF-Projekt KAHR ein Planspiel veranstaltet.

Forschende und Praxisakteure beugen sich im Erftstädter Rathaus gemeinsam über eine gelb-grüne Gefahrenzonen-Karte für Hochwasser: „Welche Daten sind hierfür zugrunde gelegt worden?“ fragt eine Vertreterin des Erftverbands, der für das Wassermanagement in der Region zuständig ist. Eine Vertreterin der Naturschutzverbände treibt noch eine andere Frage um: „Warum wollen Sie diese Auenfläche nicht vollständig erhalten, sondern trotz Überschwemmungsrisiko bebauen?“, möchte sie wissen.

Die grünen Flächen auf der gemeinsam betrachteten Gefahrenzonen-Karte stehen für ein niedriges Gefahrenlevel bei Hochwasser. Gelb steht dagegen schon für ein moderates Gefahrenlevel, das zum Beispiel durch einen Überlauf des nahegelegenen Mühlengrabens entstehen kann. Berechnet wurde diese neue Gefahrenzonen-Karte von der Raumplanung der Technischen Universität Dortmund im Rahmen des KAHR-Projekts. Im KAHR-Projekt arbeiten – neben der TU Dortmund – zwölf weitere Forschungsinstitutionen und Praxispartner. Sie begleiten gemeinsam den Wieder- und Neuaufbau der Flutregionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Das KAHR-Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Abkürzung KAHR steht für: Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz.

Planspiele in der Raumplanung ermöglichen Perspektivwechsel, Erfahrungsaustausch und transdisziplinäre Zusammenarbeit

In der Raumplanung werden Planspiele häufig angewandt, um ein breites Spektrum an Erfahrungen und Einschätzungen der unterschiedlichen Akteure aus Praxis und Wissenschaft zusammenzutragen. In diesen Planspielen werden die Folgen und Auswirkungen von Innovationen in der Praxis anhand einer exemplarischen Situation einmal oder auch mehrfach „durchgespielt“. Die Beteiligten aus verschiedenen Fachgebieten können so ihre jeweiligen Sichtweisen und Kenntnisse gezielt einbringen und von Aktivitäten, wie Informationsaustausch und neu geknüpften Netzwerken, profitieren.

Die Praxisakteure haben beim Planspiel in Erftstadt nicht wenige Fragen zu der vorliegenden Gefahrenzonen-Karte und der neu angewandten Methode der risikobasierten Planung. Konkret geht es um eine ca. 25 Hektar große Beispielfläche in Erftstadt Liblar-West, die bei der Flut 2021 teilweise überschwemmt wurde. Nach einer Neuberechnung durch die Bezirksregierung Köln ist diese zurzeit nicht mehr als Siedlungsgebiet vorgesehen, sondern liegt nunmehr im vergrößerten Überschwemmungsgebiet. In diesem sind Bauvorhaben nur noch durch eine spezielle Ausnahmeregelung möglich.

Die raumplanerische Leitfrage im Planspiel lautet: Welchen Nutzen bringt der neue risikobasierte Planungsansatz?

Schnell wird anhand dieser Beispielfläche Erftstadt Liblar-West in der Arbeitsgruppe angeregt und auch kontrovers diskutiert. Alle Argumente drehen sich um die Kernfrage: Wie lässt sich das Hochwasserrisiko in der Region am besten verringern - mit natürlichem Schutz vor Überschwemmungen durch naturbelassene Auen oder durch hochwasserangepasstes Bauen?

Prof. Greiving aus der Raumplanung der TU Dortmund fokussiert sich in der Diskussion jetzt auf eine der Leitfragen: „Uns geht es hier grundsätzlich um Folgendes: Halten Sie diese Methode des risikobasierten Planungsansatzes für nachvollziehbar und sinnvoll angewandt?", fragt er. „Der risikobasierte Planungsansatz, den wir hier erprobt haben", führt er aus, „wurde bereits im neuen Bundesraumordnungsplan Hochwasserschutz 2021 eingeführt, aber noch nicht häufig in die Praxis umgesetzt." Über eine Antwort müssen alle erstmal ein wenig nachdenken.

Was muss beim hochwasserangepassten Bauen beachtet werden?

Am Nachmittag wird es dann konkreter, jetzt geht es um die Optionen für hochwasserangepasstes Bauen auf der Beispielfläche Liblar-West. So erklärt Felix Othmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Raumplanung von Prof. Greiving: „Nach den Erfahrungen mit der Flutkatastrophe 2021 wollen wir Kellerräume gern vollständig ausschließen." Und auf einer Fläche, auf der mindestens alle 100 Jahre Hochwasser erwartet wird, wird man auch keine Pflegeheime, Kindergärten oder Krankenhäuser bauen. „Unter Umständen sind aber nach reichlicher Abwägung Einfamilienhäuser ohne Keller durchaus eine Option", erklärt Prof. Greiving. Einige der Teilnehmenden fragen nach: „Gibt es nicht auch die Möglichkeit, das Erdgeschoss auf Stelzen zu bauen?" und: „Garagen wären doch auch möglich, wenn sie durchströmbar wären, oder?" Schnell stellt sich heraus: Patentrezepte gibt es auch für hochwasserangepasstes Bauen nur selten, es kommt immer auf die konkrete Umsetzung an. Eine weitere Frage betrifft den Überschwemmungsraum, der für Hochwasser eingeplant werden sollte: „Baut man Versickerungsflächen oder besser noch Rückhaltebecken ein?" Der Erftverband hat hierzu einen klaren Standpunkt: Rückhaltebecken seien das wirksamere Instrument, sowohl für Starkregen als auch für Hochwasser.

Vielfältige Eindrücke in der Abschlussrunde

Nach vielfältigen Diskussionen und Austausch während der Tagesveranstaltung erhält Prof. Greiving schließlich auch Antwort auf seine Leitfrage: „Ja", sagen die meisten der Teilnehmenden in der Abschlussrunde. Grundsätzlich fänden sie die Methode des risikobasierten Planens mit einer Gefahrenzonenkarte gut und hilfreich, aber eher als zusätzliches Instrument, nicht als Ersatz für die Originalkarten. Prof. Greiving versucht zu erläutern: Nur mit dem risikobasierten Ansatz könne man die Gefahrenzonen für hochwasserangepasstes Bauen konkret berechnen und nutzen, dies sei der Vorteil der neuen Gefahrenzonenkarten gegenüber den Originalkarten.

Die Umweltverbände hingegen plädieren dafür, die Auen und Freiflächen auf Überschwemmungsgebieten grundsätzlich und vollständig zu erhalten, um die Auswirkungen künftiger Hochwasserereignisse abzumildern. Sie lehnen das hochwasserangepasste Bauen auf bestimmten Flächen entsprechend ab. Das hatte die Diskussion um die Beispielfläche bereits am Morgen ergeben.

Ein positives Fazit nach dem Planspiel zieht Markus Lamberty, Leiter des Amts für Stadtentwicklung und Bauordnung in Erftstadt: Für ihn sei die Methode des risikobasierten Planens „hochinteressant". Was es dabei alles zu beachten gäbe, hätte das Planspiel in den unterschiedlichen Arbeitsgruppen heute auch deutlich gezeigt.

Prof. Greiving rollt die Gefahrenzonen-Karten ein und verstaut sie. Für heute ist das Planspiel beendet, doch auch in Zukunft wird er sich für einen grundsätzlichen Ansatz für die Flutregionen engagieren, die das Projekt KAHR beim Neu- und Wiederaufbau begleitet: Nämlich die verstärkte Umsetzung des risikobasierten Planungsansatzes für eine differenziertere Nutzung von Überschwemmungsgebieten – möglichst auch bundesweit.

Stefanie Wolf, Leiterin des KAHR-Projektbüros NRW, berichtet abschließend von den Synergieeffekten, die so ein überregionales Planspiel aus ihrer Sicht hervorgebracht hat: „Einen risikobasierten Planungsansatz in Aktion durchzuspielen, baut Hürden in der Planspielkommune ab, aber auch in anderen Kommunen, die zu Gast waren. So können sich Kommunen besser an eine hochwasserresilientere Raumplanung trauen. Es war sehr hilfreich, konkrete Vorschläge für eine hochwasserangepasste Planung zu sehen, die ein Leben mit dem Hochwasser forciert und sich von den starren Überschwemmungsgebietsgrenzen löst."