„Zur Erreichung der Klimaziele brauchen wir vielfältige CO₂-Entnahme-Methoden!“
Wie können wir der Atmosphäre CO₂ entziehen und es dauerhaft speichern? Im Interview erläutert Prof. Julia Pongratz die aktuellen Projektergebnisse des BMFTR-Forschungsprogramms CDRterra. Eins ist für sie klar: Es braucht unterschiedliche Methoden – und den Willen aller Akteure in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Weltweit sehen wir die Folgen der Erderwärmung. Umfangreiche Klimaschutzmaßnahmen zur Reduktion unserer klimaschädlichen Emissionen sind notwendig. Doch mit diesen Maßnahmen alleine wird das Ziel Deutschlands der Treibhausgasneutralität bis 2045 nicht erreichbar sein. Um unvermeidbare Restemissionen von Treibhausgasen auszugleichen, die zum Beispiel in der Landwirtschaft oder Industrie entstehen, setzt Deutschland vermehrt auf die aktive CO2-Entnahme aus der Atmosphäre. Alle dazugehörigen Technologien und Methoden werden unter dem wissenschaftlichen Oberbegriff ‚Carbon Dioxide Removal‘ (CDR) zusammengefasst. Zur Untersuchung des Potenzials bestehender Methoden sowie auch zur Erforschung neuer Methoden, rief das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) 2021 die Fördermaßnahme CDRterra ins Leben. CDRterra legt den Fokus auf die Erforschung von CO2-Entnahmemethoden an Land und bildet damit das Pendant zum ebenfalls vom BMFTR geförderte Forschungsprogramm CDRmare, welches die Methoden im Meer erforscht.
Prof. Julia Pongratz, Sprecherin des CDRterra-Teams und Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), berichtet über vier Jahre intensive Forschung sowie über zahlreiche Gespräche und Diskussionen – unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch mit der Politik, Bildungsakteuren sowie mit Bürgerinnen und Bürgern.
Frau Pongratz, wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken: Wie nehmen Sie die Entwicklung des Themas CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre in dieser Zeit wahr?
Fest steht – damals wie auch heute noch: Wir brauchen dringend noch mehr Anstrengungen beim Reduzieren unserer Treibhausgas-Emissionen. Die CDR-Lösungsansätze müssen wir als zusätzliche Aufgabe des Klimaschutzes betrachten. Sprich: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. In unserer Rolle als Forschende hat sich jedoch viel verändert. Noch vor einigen Jahren war der Begriff „CDR“ wenigen bekannt. Das hat sich mittlerweile geändert – natürlich kennt jetzt nicht jede und jeder in Deutschland diesen Begriff. Doch viele Personen aus dem politischen Bereich, die für viele rechtliche, aber auch politisch-relevante Rahmenbedingungen zuständig sind, haben heute grundlegende Kenntnisse und es gibt eine intensive Auseinandersetzung dazu. Neben dem politischen Umfeld haben wir im Rahmen von CDRterra auch einen Fokus auf den Dialog mit der Landwirtschaft und Unternehmen gelegt. Denn neben den politischen Rahmenbedingungen brauchen wir die Wirtschaft, um die erforschten Methoden auch umsetzen zu können. Das dritte Standbein für unseren Dialog war der Austausch mit der Zivilgesellschaft. Auch von dieser Seite braucht es die Akzeptanz für die neuen Ansätze.
Konventionelle und neuartige Methoden der CO₂-Entnahme – eine Übersicht
Das CDRterra-Programm konzentrierte sich auf die Erforschung sowohl konventioneller als auch neuartiger Methoden. Zu den konventionellen Methoden zählen beispielsweise:
- (Wieder-)Aufforstung
- Forstwirtschaft und Holzprodukte
- Agroforstwirtschaft
- Steigerung des Bodenkohlenstoffspeichers
Eine Auswahl neuartiger Methoden werden nachfolgend anhand ihres CO₂-Entnahmepotenzials für Deutschland aufgeführt, beginnend mit denjenigen mit dem - nach Einschätzung der CDRterra-Forschenden - höchsten Potenzial:
- Energiegewinnung aus Biomasse mit CO₂‑Speicherung (BECCS)
- CO₂‑Bindung durch Pyrolyse in Pflanzenkohle (PyCCS)
- Direkte CO₂‑Luftabscheidung und -Speicherung (DACCS)
- beschleunigte Verwitterung von Gestein
Wie sehen Sie die Entwicklungen der letzten Jahre mit Blick auf die Forschungsseite?
Heute sind wir einen deutlichen Schritt weiter! Wichtig zu verstehen ist: Wir können nicht auf die eine Methode zur CO2-Entnahme hoffen – jede Technologie, jeder Ansatz hat verschiedene Vor- und Nachteile. Unser Ziel bei CDRterra war unter anderem, genau einen solchen Methoden-Mix für Deutschland zu analysieren und ein mögliches Szenario zu erarbeiten, das zeigt, wie die CO2-Entnahme und -Speicherung Deutschland dabei unterstützen kann, seine Klimaziele zu erreichen.
In den letzten Jahren wurden innerhalb von CDRterra zum einen neue CDR-Methoden entwickelt (siehe unten, Beispiel: "Photosynthese im Labor") und bestehende Methoden weiterentwickelt beziehungsweise miteinander kombiniert (siehe unten, Beispiel: "Neuer Düngerersatz aus Pflanzenkohle"). Zum anderen wurden Berechnungen zu den CO2-Entnahmepotenzialen der unterschiedlichen CDR-Methoden erstellt. Mithilfe dieser breit angelegten Forschung konnten wir jetzt für die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre eine systematisch aufgebaute Wissensbasis schaffen. Diese Grundlage soll dazu dienen, entsprechende politische, regulatorische Entscheidungen zu fällen, um die Umsetzung von CDR zu ermöglichen beziehungsweise um Anreize für die Wirtschaft zu schaffen.
Haben Sie dafür ein Beispiel, wie dies konkret aussehen könnte?
Ob neue Technologien oder Methoden umgesetzt werden können, hängt oft von ökonomischen Faktoren ab. Betrachten wir zum Beispiel den Bereich der Landwirtschaft: Naturbasierte CDR-Methoden wie etwa die Wiederaufforstung oder die Agroforstwirtschaft sind bereits bekannt und werden auch in einigen Regionen betrieben. Um aber eine entscheidende Rolle bei der CO2-Entnahme zu spielen, müssen die Forst- und landwirtschaftlichen Betriebe viel mehr Flächen entsprechend umgestalten. Und das kostet erstmal Geld! Zum Beispiel werden bei der Agroforstwirtschaft Baumreihen in Ackerfläche gepflanzt – das stellt einen Landwirt mit seinen bisherigen Anbau- und Erntemaschinen oft vor Herausforderungen. Wenn es aber durch mehr Subventionen Unterstützung bei den Investitionskosten geben würde, hätten landwirtschaftliche Betriebe einen deutlichen Anreiz.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Planungssicherheit: Erst wenn – wie in diesem Beispiel – der Landwirt oder die Landwirtin sicher sein kann, dass die Agroforstwirtschaft langfristig unterstützt und nicht in der nächsten Legislaturperiode wieder alles zurückgedreht wird, ist solch ein Umbau im großen Maßstab realistisch. Und den brauchen wir, wenn wir die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre betreiben wollen.
Von solchen Beispielen könnte ich jetzt sehr lange berichten. Deshalb haben wir als CDRterra-Verbund eine kompakte Broschüre veröffentlicht: Darin sind die Forschungsergebnisse, aber auch Empfehlungen festgehalten. Ein wichtiger Aspekt war es, hierin auch ökologische Effekte der Methoden zu beleuchten, da die meisten CO2-Entnahmemethoden viele Funktionen der Ökosysteme beeinflussen. So kann sich beispielsweise die Wiederaufforstung auch positiv auf die lokale Artenvielfalt, die Bodeneigenschaften und den Wasserhaushalt auswirken.
Wir als Forschende können – wie mit unseren verschiedenen Veröffentlichungen – Vorschläge entwickeln, für die erfolgreiche Umsetzung sind andere Akteure gefragt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass alle an einem Strang ziehen. Wir brauchen den Willen der Politik, der Wirtschaft und der Bevölkerung!
Photosynthese im Labor: Umwandlung von CO₂ in feste Kohleflocken
Das Projekt NETPEC untersuchte eine bislang noch wenig erforschte Methode: die künstliche Photosynthese. Vorbild ist der natürliche Prozess von Pflanzen, bei dem Lichtenergie in chemische Energie umgewandelt und CO2 in der Pflanze gebunden wird. Die Idee des Projektes war es, die Photosynthese künstlich im Labor herzustellen und mithilfe von Solarenergie und elektrochemischen Prozessen CO2 aus der Luft in flüssige oder feste Kohlenstoffprodukten umzuwandeln. Mit Erfolg: Dank der Entwicklung einer speziellen elektrochemischen Zelle, konnte NETPEC im Labor bereits aus CO2 feste Kohleflocken herstellen. Diese können im Anschluss dauerhaft gespeichert werden.
Damit der Prozess im großen Maßstab funktioniert, braucht es noch weitere Entwicklungsschritte. Doch die bisherigen Resultate zeigen, dass der Weg vielversprechend ist.
Neuer Düngerersatz aus Pflanzenkohle
Das Projekt PyMiCCS hat zwei CDR-Methoden kombiniert und dabei ein neues Substrat entwickelt, das von der Landwirtschaft zum Düngen genutzt werden kann und gleichzeitig CO2 langfristig bindet.
Bei diesem Verfahren wird Pflanzenkohle und feines Gesteinsmehl vermischt. Zur Gewinnung von Pflanzenkohle wird in einem technischen Prozess – der sogenannten Pyrolyse – Biomasse wie unbehandeltes Holz oder Grünschnitt zunächst erhitzt („verkohlt“) und dann in einem festen Stoff umgewandelt. Diese Pflanzenkohle bindet einen Teil des CO2, das zuvor in der Biomasse gebunden war. Das Projekt führte Experimente durch, bei dem sie das Mischmaterial bestehend aus Pflanzenkohle und feinem Gesteinsmehl auf landwirtschaftlichen Flächen ausbrachte. Das Resultat: Die Nährstoffe konnten besser im Boden gehalten werden, wodurch die Pflanzen schneller wuchsen. So entsteht ein doppelter Vorteil – für die Landwirtschaft und das Klima.
Es steht und fällt demnach viel mit den Rahmenbedingungen und es gibt noch viele Hürden, damit die CO2-Entnahme erfolgreich gelingen kann. Wenn die Weichen jetzt gelegt und wichtige Entscheidungen für die CDR-Methoden getroffen werden: Wie könnte ein mögliches Szenario aussehen, bei dem CDR zur Erreichung des Klimaziels 2045 beiträgt?
Wie ich zu Anfang erklärt habe, brauchen wir einen Mix an verschiedenen CDR-Methoden und -Technologien. Um eine Idee davon zu bekommen, wie sich diese Methoden aufteilen und bei welcher Methode wir wie viel CO2-Einsparpotenzial bis 2045 sehen, haben wir ein solches Szenario für Deutschland entwickelt. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass dies für jedes Land unterschiedlich ist. Denn überall gelten andere Bedingungen – angefangen von der Art der Flächennutzung bis hin zum Energiemix. Ganz viele Faktoren haben Einfluss darauf, wie effektiv eine Methode ist.
Ein weiterer Punkt ist auch: Aktuell wissen wir nicht genau, wie viele Restemissionen am Ende wirklich auszugleichen sind. Dazu gibt es viele Berechnungen, doch es hängt auch stark davon ab, wie die Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden und greifen. Unser Szenario liefert aber heute eine Grundidee, wie in Zukunft der Weg zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre aussehen könnte.
Wenn Sie einen kurzen Blick in die Zukunft wagen: Wie geht es von hieraus weiter?
Wir kennen das Ziel und mögliche Wege dahin! Was wir jetzt brauchen, ist ein schneller Hochlauf von CDR. Doch auch auf der Forschungsseite bestehen noch weitere Lücken. Diese werden in der vom Bundesforschungsministerium geförderten zweiten Phase des Programms CDRterra erforscht. Wenn ich sehe, was sich in den letzten Jahren in dieser Richtung bewegt hat, bin ich durchaus positiv.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Prof. Dr. Julia Pongratz leitet den Lehrstuhl für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der Ludwig Maximilians Universität München (LMU). Ihr Studium der Geographie absolvierte sie an der LMU und der University of Maryland. 2009 promovierte sie in Geowissenschaften an der Universität Hamburg mit einer Arbeit am Max Planck Institut für Meteorologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Modellierung von Landnutzungssystemen, Vegetation und dem Erdsystem sowie in der Analyse von Potenzialen und Risiken von CO₂-Entnahmetechnologien. Pongratz übernahm 2021 die Rolle als Sprecherin des CDRterra-Forschungsprogramms des BMFTR und leitete innerhalb des Programms die Projekte CDRSynTra und STEPSEC. Sie ist Mitglied im Expertenrat für Klimafragen und im Wissenschaftlichen Beirat für Natürlichen Klimaschutz der Bundesregierung, wo sie ihre Expertise in die Bewertung und Weiterentwicklung der deutschen Klimapolitik einbringt.
Zum Forschungsprogramm CDRterra des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt
CDRterra untersucht CO₂-Entnahmemethoden an Land. In der ersten Förderphase (2021-2025) untersuchten die Forschenden, wie viel CO₂ der Atmosphäre überhaupt entnommen werden kann, und wie eine dauerhafte Bindung des CO₂ gelingt. Darüber hinaus entwickelte und bewertete das CDRterra-Programm geeignete politische Instrumente, um Anreize für die Umsetzung von CDR-Methoden zu schaffen. Zudem erarbeitet CDRterra eine wissenschaftliche Gesamtsynthese aller CO₂-Entnahmemethoden. Das BMFTR förderte zehn Forschungsprojekte von CDRterra mit insgesamt rund 21 Millionen Euro. Die zweite Förderphase startet 2025.