Glas der Zukunft

Smartphone-Displays, Kochfelder, Laborgeräte – im Alltag begegnen wir oft Glasprodukten, ohne dass es uns bewusst ist. Das Anwendungsspektrum von Glasprodukten ist äußerst vielfältig, ihre Produktion jedoch energieintensiv. Bei der Herstellung kommt es zu einer hohen Emission von Kohlendioxid (CO₂). Im Projekt MiGWa werden deshalb neue Verfahren erprobt, die dieses Problem lösen könnten.

Es ist heiß. Es ist sehr heiß. Die Messgeräte zeigen zwischen 1400 und 1600 Grad Celsius an. In der Versuchsanlage auf dem Werksgelände der Schott AG in Mainz findet nicht nur die Produktion vieler Spezialgläser statt, sondern auch spannende und zukunftsweisende Forschung.
„Bitte jetzt die Schutzbrillen aufziehen", sagt Tamara Golubeva, Mitarbeiterin bei Schott und eine des etwa 30-köpfigen MiGWa-Projektteams, das neue Wege zu einer nachhaltigen Glasproduktion erforscht und dabei vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert wird. „Ich entnehme jetzt eine Glasprobe. Man schaut dabei direkt in den flüssigen Glasstrahl. Ohne eine Schutzbrille ist die Infrarotstrahlung zu gefährlich für unsere Augen." Dann führt sie einen Probenehmer unter das herablaufende flüssige Glas und entnimmt eine circa 10 cm lange Probe. Einmal pro Stunde wird das wiederholt. Im Anschluss werden die Glasproben analysiert.

Fehler wie Schlieren und Blasen in den Glasproben sind beim Versuchsbetrieb ausdrücklich gewollt. Warum erklärt die Projektleiterin Silke Knoche: „Aktuell testen wir bei der Glasschmelze den Einsatz neuer Technologien. Im Versuch stellen wir dazu ein bestimmtes Niveau der Glasqualität ein. Denn wenn wir neue Verfahren erproben, wollen wir ganz genau wissen, ob sich etwas an den Glaseigenschaften verschlechtert oder verbessert. So haben wir einen echten Relativvergleich, wie sich der Einsatz dieser neuen Technologien auf die Glasqualität auswirkt. So können wir die Hebel finden, um die Glasqualität und die Prozessführung in der Produktion verbessern zu können "

Ein Blick hinter die Kulissen der Glasindustrie

Die Glasindustrie ist eine der energieintensivsten Branchen und verursacht einen hohen Ausstoß an Kohlenstoffdioxid. Die Emissionen entstehen zum größten Teil bei der Glasschmelze, bei der zum Erhitzen der Glasschmelze fossile Energieträger zum Einsatz kommen. In erster Linie handelt es sich dabei um Erdgas. Die Temperaturen von rund 1500 Grad Celsius können nicht gesenkt werden, da erst bei diesen Bedingungen die Glas-Rohstoffe in angemessener Zeit einschmelzen. Aber auch während des Schmelzprozesses selbst werden Emissionen aus einzelnen Rohstoffen des Gemenges freigesetzt. Unter Gemenge versteht man das spezifische Gemisch der Rohstoffe – denn je nach Anwendung benötigt das Glas unterschiedliche Bestandteile.

Dieser Industriezweig steht vor der Herausforderung, die Produktionsverfahren umzustellen, um den Anforderungen der Klimaziele gerecht zu werden.

Das von Schott koordinierte Verbundprojekt MiGWa (Mikrowelle-Glas-Wasserstoff) widmet sich der Erforschung und Evaluierung zweier innovativer Technologien zur direkten Reduktion von CO₂-Emissionen: der Beheizung der Schmelzwannen mittels Mikrowellenstrahlung und der Beheizung unter Einsatz von Wasserstoff. Dabei werden die Auswirkungen auf die Schmelzprozesse und auf die Glaseigenschaften untersucht. Das klare Ziel ist es, den Einsatz von fossilen Brennstoffen im Glasherstellungsprozess zu reduzieren bzw. zu vermeiden und gleichzeitig die Glasqualität zu erhalten.

Der Einsatz alternativer Brennstoffe bedeutet weniger Emissionen

Gemeinsam mit Tamara Golubeva geht Silke Knoche zu ihrem Kollegen Stefan Knoche (nicht verwandt), der bereits auf der anderen Seite der Testanlage auf sie wartet. Eine kleine Treppe führt zum Herzstück der Anlage: Rohrleitungen, Trichter, Elektronik – wer den Anlagenplan nicht kennt, blickt auf viele unbekannte Bauteile. Die gesamte Testhalle ist erfüllt von Hitze und einem durchdringenden Brummen.

Hier wird das Gemenge in die Schmelzwanne gegeben. Von außen kann man nicht sehen, was genau darin passiert. Tamara Golubeva zeigt auf einen Bildschirm. „Damit wir die Prozesse im Inneren beobachten können, haben wir eine Kamera installiert. Außerdem liefern uns Sensoren ständig Werte wie Temperaturangaben an vielen Positionen"

„Aktuell führen wir Tests mit Mikrowellenstrahlung durch – und zwar im Dauerbetrieb", erklärt Stefan Knoche. „Es geht also darum, mithilfe elektromagnetischer Wellen schneller die Temperatur im Gemenge zu erreichen, bei der die Rohstoffe schmelzen und sich zu Glas verbinden. Weil wir so auf Erdgas als Energiequelle zum Schmelzen verzichten, können wir den CO₂-Ausstoß deutlich reduzieren."

Im Kontrollraum, der sich direkt neben der Anlage befindet, laufen alle Informationen zusammen. Auf den vielen Bildschirmen leuchten Zahlen auf, die sich regelmäßig aktualisieren. „Von hier aus haben wir sowohl die Versuchsanlage als auch die dort gemessenen Temperaturen im Blick", berichtet Silke Knoche. „Weil wir hier eine ganz neue Technologie erproben, muss die Anlage 24/7 überwacht werden."

Stefan Knoche nickt zustimmend. „Auch als wir zuvor die Beheizung durch Wasserstoff als alternativen Brennstoff mit unseren Projektpartnern untersucht haben, war die Anlage im Dauerbetrieb. Die Versuche sind damals sehr positiv gelaufen und wir konnten im Pilotmaßstab erproben, wie wir grünen Wasserstoff für die Glasschmelze nutzen könnten. Die Herausforderung hier ist die Zulieferung des Wasserstoffs im großen Maßstab. Das wird die Zukunft zeigen, ob wir hierauf irgendwann umstellen können – oder wir es eben schaffen, die Beheizung durch Mikrowellenstrahlung so weiter zu entwickeln, dass auch die Fertigung mit ihren großen Produktionsanlagen damit arbeiten kann."

Erste Erfolge und weitere Schritte

„Für die Dekarbonisierung unserer Produktion ist der Technologiewandel entscheidend. Es gab schon einige Erfolge, die zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, aber bis zur Umsetzung der neuen Technologien in die Fertigung ist noch einige Arbeit zu leisten. Insbesondere bei Prozessen zur Elektrifizierung sehen wir großes Potenzial. Wir wollen unbedingt weitermachen!", sagt Silke Knoche. Ihr Kollege Stefan Knoche ergänzt: „Man sieht, dass es gut funktioniert. Wir haben große Hoffnung, dass wir mit den neuen Technologien, auch in Kombination, große Schritte vorangehen können. Im Idealfall könnten wir bei gleicher Qualität mehr Durchsatz fahren, pro Kilo Glas weniger Energie einsetzen und auf fossile Brennstoffe verzichten."

Hintergrund zur Fördermaßnahme „KlimPro-Industrie“

Bis zum Jahr 2045 will Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Der deutschen Industrie kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, denn mit rund 24 Prozent der Treibhausgas-Emissionen ist sie der zweitgrößte Emittent in Deutschland.

Um die Industrie auf ihrem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen, fördert das BMFTR daher seit 2021 im Rahmen der Maßnahme „KlimPro-Industrie" insgesamt 19 Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die innovative Prozesse in der Grundstoffindustrie erforschen.

Das Projekt MiGWa wird seit Januar 2021 vom BMFTR gefördert und endet im Juni 2025. Im Verbund forschen in diesem Projekt unter der Leitung der Schott AG außerdem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Bergakademie Freiberg und des Gas- und Wärme-Institut Essen e.V..