Forschung für klimaresiliente Städte: „Grüne Finger“ in Osnabrück

Bestehende grüne Freiflächen – die sogenannten Grünen Finger Osnabrücks – gibt es seit den 1920er Jahren: Sie verbinden die Natur des Umlands mit Freiflächen der Innenstadt. Das BMBF-Projekt „GrüneFinger“ erforscht, wie sie weiter gesichert werden können.

Prof. Hubertus von Dressler arbeitet an der Hochschule Osnabrück, Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur zu umweltpolitischen Herausforderungen von Städten. Im Projekt „GrüneFinger", das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme „Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region" unterstützt wird, erforscht er gemeinsam mit weiteren Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern die klimaresiliente Stadtplanung Osnabrücks und den Erhalt deren Grüner Finger.

Herr Prof. von Dressler, im Projekt „GrüneFinger" untersuchen Sie, wie die seit den 1920er Jahren bestehenden ‚Grünen Finger' als wichtiger Beitrag für eine klimaresiliente Stadt angesichts weiter steigender Baulandnachfrage gestärkt werden kann. Was bedeutet Ihre Forschung konkret für Osnabrück?

Die Idee der Grünen Finger besteht zwar seit langer Zeit in Osnabrück, war aber bislang außer bei Fachleuten kaum in den Köpfen der Menschen verankert. Das hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Mit unserer transdisziplinären Forschung konnten wir deutlich machen, dass diese grüne Freiraumstruktur ein Glücksfall für die notwendigen Anpassungen an den Klimawandel ist. Die Bedeutung der Grünen Finger für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung wurden unter anderem von lokalen Klima- und Umweltgruppen aufgegriffen, haben im Kommunalwahlkampf eine große Rolle gespielt und tun dies nun im aktuellen Prozess eines neuen Stadtentwicklungskonzepts.

Diese sternförmig verlaufenden grünen Schneisen, die sogenannten Grünen Finger, dienen dem Einstrom von Kaltluft, sie ermöglichen Naherholung und Nahrungsmittelproduktion, fungieren als Hochwasser-Überschwemmungsgebiete und Puffer für Starkregen, dabei fördern sie auch als Lebensraum für Pflanzen und Tiere die Biodiversität. Wie kann Ihre Forschung dazu beitragen, damit sie bei einer Ausweitung der Stadt nicht beschädigt werden?

Mit der Erarbeitung der von Ihnen genannten Funktionen konnten wir die vielfältigen Werte dieser Freiräume deutlich machen. Um aber den Wandel zu mehr Klimaresilienz in der Stadt Osnabrück erfolgreich zu gestalten und die Grünen Finger verbindlich zu sichern, braucht es zudem eine klare Vorstellung davon, wo wir eigentlich hinwollen. Hierfür haben sich die Metapher und das Raumbild der Grünen Finger als wichtig erwiesen. Unser Projektansatz sieht von Anfang an eine co-creative Planungskultur vor, die Wege aufzeigt, wie die notwendigen Veränderungen gesellschaftlich getragen werden können: Auf welchen Wegen wollen wir gemeinsam unterwegs sein?

Wie kann Ihre Forschung auf andere deutsche Städte übertragen werden, die selbst gar keine sternförmig verlaufenden grünen Freiflächenräume (Grünzug-Radiale) besitzen?

Es ist ungleich schwieriger, solche Grünzug-Radiale, wenn sie nicht mehr vorhanden sind, wieder zu entwickeln. Mailand arbeitet seit den 80er Jahren an den ‚Raggi verde', Frankfurt ergänzt sein erfolgreiches Grüngürtelkonzept um einen ‚Strahlen- und Speichenplan'. Umso wichtiger ist der Erhalt vorhandener Freiräume. Oft bieten besondere topographische Situationen oder Fluss- und Bachläufe Ansätze für solche grünen Achsen auch in anderen Städten. Unsere konkreten Transferempfehlungen beziehen sich vor allem auf die Gestaltung eines transdisziplinären Planungsprozesses, die kreative Verbindung von raumstruktureller und planungskultureller Ebene.

Wie muss sich eine städtische Planungskultur in Zukunft verändern, damit unsere Städte lebenswert und klimaresilient werden?

Die aktuellen Herausforderungen machen es notwendig, Stadtentwicklung wieder aus landschaftlichen Zusammenhängen und vom Grün her zu denken. Das klingt sehr einfach, läuft aber eingeübten Gewohnheiten der Baulandentwicklung fundamental entgegen. Stadtentwicklung muss heute als ein offener, lernender Planungsprozess gestaltet werden, der innovative gestaltende Ideen und Wissen im Dialog mit allen Akteuren bündelt. In vielen Verwaltungen herrscht noch ein sehr sektorales Denken vor. Wir müssen aber zu einer ämterübergreifenden, integrierenden Zusammenarbeit kommen, die die Stadt als Ganzes denkt und multifunktionale Lösungen sucht.

Das Projekt „GrüneFinger" hat von Anfang an Bürgerinnen und Bürger sowie die Stadtverwaltung Osnabrücks einbezogen. Dabei sollte ein transparenter, prozesshafter Dialog kultiviert werden. Ist Ihnen das gelungen?

Neben den genannten Gruppen waren die aktive Mitwirkung einer Arbeitsgruppe Politik und die intensive Kooperation mit landnutzenden Akteuren weitere wichtige Faktoren für den gelungenen Prozess. Inzwischen sind die Grünen Finger zum Stadtgespräch geworden und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sowie die Politik beziehen sich direkt auf die Ergebnisse des Projekts. Ob es am Ende gelingen wird, die bei Teilen der Verwaltung sowie der Politik noch vorhandene Skepsis zu überwinden, auch den aktuellen Stadtentwicklungsprozess offener, integrierender und flächensparender zu gestalten, wird in der Stadt gerade diskutiert. Gute Chancen bestehen dafür.

Herr von Dressler, wir danken Ihnen für das Gespräch.

„Woche der Klimaanpassung“ – mit dabei: BMBF-Projekte zeigen ihre Forschungsfortschritte

Hitze, Dürre, Starkregen – wie passen wir uns an den Klimawandel an? In der „Woche der Klimaanpassung" vom 12. bis 16. September 2022 berichtet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) täglich auf der FONA-Webseite zum Fortschritt ausgewählter Klimaanpassungsprojekte, die das Ministerium fördert. Bereits seit 16 Jahren engagiert sich das BMBF in diesem Forschungsbereich.

Hintergrund

Im Projekt „GrüneFinger – Produktiv. Nachhaltig. Lebendig. Grüne Finger für eine klimaresiliente Stadt" wird der Erhalt von bereits vorhandenen Freiflächen, die sogenannten Grünen Finger, in Osnabrück erforscht.

Dabei wurden durch eine landschaftsplanerische Raumanalyse und in der Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Akteursgruppen sowie Bürgerinnen und Bürgern vielfältige Erkenntnisse zu den Grünen Fingern und deren landschaftlichen Funktionen, Qualitäten, Herausforderungen und zu deren Wahrnehmung generiert. In gemeinsamen Raumerkundungen (Spaziergänge), Wahrnehmungswerkstätten mit Kunstschaffenden und Workshops zur zukünftigen Entwicklung Osnabrücks und der Grünen Finger wurden Stellschrauben für eine nachhaltige Stadtentwicklung aufgezeigt. Zudem wurden Leitsätze zur Entwicklung der Grünen Finger formuliert sowie ein neues Verständnis und Bewusstsein für den Wert der Grünen Finger geschaffen. Ein Maßnahmenkonzept für die aktive Entwicklung der Grünen Finger zeigt auf, wie Osnabrück zur Stadt der Grünen Finger werden kann.

Das BMBF hat das Projekt aus der Fördermaßnahme „Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region" vom 01.03.2017 bis 31.07.2022 mit 1,1 Millionen Euro gefördert.

Zur Person

Prof. Hubertus von Dressler lehrt seit 2002 Landschaftsplanung und Landschaftspflege an der Hochschule Osnabrück. Er erforscht Planungsstrategien und Bewertungsmethoden in Naturschutz, Landschaftsplanung, Umweltprüfungen und Eingriffsregelung sowie Freiraumsicherung und -entwicklung in Stadtlandschaften. Gemeinsam mit seinem Kollegen, Prof. Dr. Henrik Schultz, der vor allem für die Gestaltung co-kreativer Prozesse verantwortlich zeichnet, arbeitet er an der Verbindung formeller und informeller Planungsprozesse im Sinne einer gestaltenden Landschaftsplanung.

Dazu entwickelt er Szenarien für eine nachhaltige Raumentwicklung vor dem Hintergrund des Klima- und Landnutzungswandels sowie Konzepte für eine Landschaftsentwicklung mit der Landwirtschaft als Instrument für die Umsetzung räumlich konkretisierter Umweltziele.