Wissenschaft-Praxis-Dialog der BMBF-Förderinitiative KAHR: Lernen aus der Flutkatastrophe bei Behörden, Einsatzkräften und in der Bevölkerung

Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser. Was muss getan werden, damit Hochwasser keine Menschenleben kostet? Beim Wissenschaft-Praxis-Dialog der BMBF-Förderinitiative KAHR wurden Strategien für Risikovorsorge und Krisenmanagement ausgelotet.

Welche Maßnahmen können bei Hochwasser Menschen und Infrastrukturen schützen? Durch die Flut im Juli 2021 sind in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz 185 Menschen gestorben. Damit sich solche Auswirkungen nicht wiederholen, müssen viele Fragen geklärt werden, vor allem: Wie kann die Bevölkerung in komplexen Lagen effektiv gewarnt und geschützt werden?

Die BMBF-Förderinitiative KAHR („Klimaanpassung, Hochwasser und Resilienz") hat am 14. September 2023 den 2. Wissenschaft-Praxis-Dialog in NRW beim Erftverband in Bergheim organisiert. Ziel des Dialogs war der Austausch zwischen den Forschenden, politischen Entscheidungsträgern, den betroffenen Landkreisen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sowie den Bürgerinnen und Bürgern aus Nordrhein-Westfalen. Eröffnet wurde die BMBF-Veranstaltung durch Grußworte von Dr.-Ing. Bernd Bucher, Vorstand des Erftverbands, und von Dr. Ralf Gebel, Leiter der BMBF-Unterabteilung „Anwendungsorientierte Forschung für Innovationen".

KAHR hat anlässlich des bundesweiten Warntags 2023 das ebenfalls vom BMBF geförderte Projektteam HoWas2021 („Governance und Kommunikation im Krisenfall des Hochwasserereignisses im Juli 2021") eingeladen, um die Ergebnisse und Synergien beider Projekte vorzustellen und zu diskutieren. Die Forschungsteams haben sich auf unterschiedliche Aspekte konzentriert: KAHR forscht, um die Risikovorsorge und Resilienz der betroffenen Regionen beim Wieder- und Neuaufbau nachhaltig zu stärken. Die Ergebnisse von HoWas2021 sollen helfen, das direkte Krisenmanagement und die Krisenkommunikation zu verbessern.

BMBF-Forschungsprojekt HoWas2021: Zusammenarbeit bei Meldeketten stärken
Eine der Umfragen von HoWas2021 habe gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung 2021 nicht nur von der Flut, sondern auch von dem Ausmaß der Überschwemmungen überrascht worden sei, erklärte Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, von der RWTH Aachen und KAHR-Projektleiter für NRW sowie für HoWas2021. Seine Kollegin, Dr. Elena-Maria Klopries, stellte die Zahlen dazu vor: Rund 30 Prozent der betroffenen Menschen hätten in einer Umfrage angegeben, sie seien nicht gewarnt worden. Rund 70 Prozent hätten die Dynamik der Flut unterschätzt und sich falsch verhalten. Viele Menschen hätten nicht gewusst, dass bei Hochwasser in den Keller zu gehen oder durch überflutete Unterführungen zu fahren, lebensgefährlich werden kann.

Zudem gab es Schwachstellen beim Warnungs- und Verwaltungshandeln, die das Projekt HoWas2021 identifiziert hat: Es waren zu wenige funktionstüchtige Pegel zur Hochwassermessung vorhanden. Gleichzeitig fehlte es an einer Verknüpfung von hydrologischen und meteorologischen Informationen, die genauere Warnvorhersagen für die rapide anschwellenden Flüsse ermöglicht hätte. So wurde der Katastrophenfall vielerorts zu spät oder gar nicht ausgerufen. Insbesondere die kreisübergreifenden Kommunikationsketten hätten Lücken aufgewiesen. Hier mangelte es an klaren Zuständigkeiten. Auch fand keine Warnkommunikation darüber statt, welche Bevölkerungsgruppen besonders vulnerabel sind, und wie diesen am schnellsten geholfen werden könne. Insgesamt fehlte es an klaren Warnaufträgen für und von Behörden.

Das Zwischenfazit in der Veranstaltung lautete: Effektive Frühwarnung und Risikokommunikation können Leben retten, wenn sie die Menschen auch bei Stromausfall noch technisch erreichen, die gefährdeten Regionen genau benennen, für die Zielgruppen verständlich formuliert sind und klare Handlungsanweisungen beinhalten. Eine Warnung des Deutschen Wetterdienstes, wie „80 Liter Regen pro Quadratmeter", sei für viele Menschen zu abstrakt, um ihr Haus zurückzulassen und sich in Sicherheit zu bringen.

KAHR-Projekt: Einsatzkräfte weiterbilden und Schutzkonzepte für sensible Infrastrukturen erstellen
Das KAHR-Projektteam hat in diesem Kontext verschiedene Ansätze der Risikovorsorge vorgestellt: Prof. Dr. Robert Jüpner (FWW, RPTU Kaiserslautern-Landau) umriss die Herausforderungen im operativen Hochwasserschutz. Vor allem müsse das Aus- und Weiterbildungsangebot für Einsatzkräfte und Verwaltungen erweitert werden. Auch die Einsatzkräfte müssten Hochwasserprognosen besser interpretieren und kommunizieren lernen.

Eine besondere Herausforderung ist dabei der Schutz sensibler Infrastrukturen, wie etwa von Kitas, Schulen und Senioreneinrichtungen. KAHR-Projektleiter für Rheinland-Pfalz, Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann (IREUS, Universität Stuttgart), erläuterte, was zu tun ist, um die Verwundbarkeit sensibler Infrastrukturen durch Frühwarnung und Schutzmaßnahmen zu verringern: Eine Schule für lernbehinderte Kinder, wie etwa die Levana-Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler, sei systematisch auf den Hochwasserfall vorzubereiten, also entweder nicht am Wasser einzurichten oder mit mindestens zwei Stockwerken und Zugang zum Dach auszustatten, so früh wie möglich zu vorzuwarnen sowie bei der Evakuierung zu unterstützen.

Gesamtlagebild schaffen und Katastrophenmeldesystem vereinheitlichen
In der Podiumsdiskussion zeigte sich: Für mehr Resilienz bei Hochwasser müssen eine Reihe von Bauvorschriften geändert werden, wozu das KAHR-Team bereits seine Expertise beisteuert. Gleichzeitig sollte nicht überreguliert werden. Konsens herrschte auch darin, dass die Warnketten effektiver werden müssen und zwar unter anderem durch die Vereinheitlichung und Standardisierung der Meldebegriffe, wie etwa „Katastrophenfall“ oder „Warnstufen“. Zudem sollten die Handlungsanweisungen im Falle einer Warnung klarer definiert werden. Auch dafür sind die Akteure bereits aktiv geworden: Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz arbeitet an einem einheitlichen Warnsystem für NRW. Und die Einsatzkräfte, Verbände und Forschenden wollen noch in diesem Herbst ein „Regionales Katastrophenschutz-Netzwerk“ gründen, in dem gemeinsam und kontinuierlich an der Verbesserung des Hochwasserschutzes gearbeitet wird.