Ein Leuchtturm auf dem Lande – 350 Kilometer vom Meer entfernt

Ländliche Regionen sind stark vom Klimawandel betroffen. Vier Jahre lang nahm das BMBF-Projekt GoingVis die Region Elbe-Elster in den Blick und identifizierte Anpassungsbedarfe. Eine Bilanz des Projektpartners Leuchtturm LOUISE.

Langsam fließt die „Schwarze Elster" durch das Lausitzer Urstromtal – vorbei an Kleinstädten und Dörfern, durch weitläufige Feld- und Wiesenlandschaften. Auf ihrem Weg durch die brandenburgische Region Elbe-Elster bietet der Fluss Lebensraum für Fische wie den Hecht, Karpfen oder Flussbarsch. Neben Anglern lockt die „Schwarze Elster" auch Kanu- und Schlauchboot-Fans an. Was sich in den vergangenen Jahrzehnten als Kurstadtregion gut entwickelte, ist seit einigen Jahren als Folge des Klimawandels ein immer selteneres Bild. „Der Fluss versinnbildlicht sehr gut, was unserer Region am meisten zu schaffen macht: Es ist der Wechsel zwischen zuviel oder zu wenig Wasser", erklärt Andreas Claus, Regionalkoordinator im Forschungsprojekt GoingVis, Teilprojekt Leuchtturm LOUISE. 

„Am Fluss kämpfen wir sowohl mit Hochwasser- als auch mit langandauernden Niedrigwasserereignissen – letztere haben in den letzten fünf Jahren stark zugenommen. Ein permanent sinkender Grundwasserspiegel wird zum Problem für die Land- und Forstwirtschaft, den Tourismus und die Wasserwirtschaft. Mittlerweile fehlt uns der Niederschlag eines ganzen Jahres. Das sind etwa 500 Liter pro Quadratmeter Bodenoberfläche. Klimaveränderungen mit weniger werdenden Niederschlägen im Frühjahr und Sommer und länger anhaltenden Dürre- und Hitzephasen treffen die Lausitz besonders hart. Verbreitete Kiefernmonokulturen können das weniger werdende Wasser nicht speichern und der lockere Sandboden lässt es schnell versickern oder abfließen. Hitzetage lassen die Verdunstung steigen. Verstärkt wird dieser Negativtrend zusätzlich durch den vor 160 Jahren in Folge des Bergbaus kanalisierten und begradigten Fluss ‚Schwarze Elster', der wie eine ‚Wasserautobahn' das Wasser aus der Region ableitet. Längst ist der Bergbau im Einzugsgebiet der Schwarzen Elster eingestellt, doch der Fluss als Entwässerungsrinne des Bergbaus hat seine alte Struktur behalten. Wir als Projekt setzen uns dafür ein, den Fluss zu renaturieren und den Altarmen wieder Raum zu geben. Das Gebot der Stunde lautet: Von der ‚Wasserautobahn' zu einem Fluss-Auen-System mit vielen ‚Tempo-30-Zonen', um das Wasser möglichst lange in der Landschaft zu halten und eine artenreiche Vielfalt gedeihen zu lassen."

Seinem Drang, die Region besser an die klimatischen Veränderungen anzupassen, geht der frühere Bürgermeister Andreas Claus seit 2019 als Praxispartner des Projekts „GoingVis – Mit kühlem Kopf in heiße Zeiten" nach. Das Projekt wird im Rahmen der Fördermaßnahme „Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das übergeordnete Ziel: mittels wissenschaftlicher Erkenntnisse und Lösungsansätze dazu beizutragen, Städte und deren Bevölkerung widerstandsfähiger gegenüber dem Klimawandel und seinen Folgen zu machen.

„Direkt von Anfang an war uns klar: Wir brauchen die Leute vor Ort, um hier etwas bewegen zu können", erinnert sich Andreas Claus. Als sich das Projektteam – anfangs noch zu zweit mit Daniel Willeke und Andreas Claus – auf die Suche nach einem geeigneten Kommunikationszentrum machte, wurden sie schnell fündig. „In Uebigau-Wahrenbrück befindet sich die seit 1991 außer Betrieb gesetzte Brikettfabrik ‚LOUISE'. Die Fabrik stand früher für die Brikettherstellung und damit auch für die Wärmeerzeugung durch fossile Brennstoffe, wodurch viel CO2 freigesetzt wurde. Wir wollten Brücken in die Zukunft bauen, ohne die bergmännische Tradition auszublenden. Jetzt, wo die Vermeidung von CO2-Ausstößen im Mittelpunkt steht, ist die alte Fabrik ein authentischer Ort für eine zivilgesellschaftliche Austauschplattform, an dem wir Tradition und Zukunft miteinander verbinden können. Der weithin sichtbare 68 Meter hohe Fabrikschornstein ist heute zu einer Landmarke und Leuchtturm geworden. Bis 1991 hat er Rauchwolken weithin in der Umgebung verteilt. Heute empfängt er als Ort der Kreativität und Inspiration Signale aus der Region, nimmt sie auf, verarbeitet sie mit Bürgerinnen und Bürgern, integriert das Know-how von Wissenschafts- und Praxispartnern und sucht nach Lösungen für lokale Problemstellungen. Sind diese Lösungen dann gefunden, sendet er sie als Signale aus, um die Menschen aus der Region mit Herz und Verstand ins Handeln zu bringen. Aus dieser Idee heraus ist ‚Leuchtturm LOUISE' geboren worden."

Andreas Claus lässt den Blick über das ehemalige Fabrikgelände schweifen, ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit: „Heute bin ich wirklich froh, dass wir viele Menschen für Klimaanpassungsthemen sensibilisieren konnten. Anfangs war das nicht so leicht. Angesichts der Strukturschwäche der Region gibt es zahlreiche drängende Problemstellungen, die auf der kommunalpolitischen Agenda stehen. Klimaschutz und Klimaanpassung fallen da oft hinten runter, weil in ländlich geprägten Kleinstädten finanzielle und personelle Ressourcen nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen. Da braucht es schon viel Überzeugungskraft, um Klimaschutz und Klimaanpassung in die Köpfe der handelnden Akteure zu bringen. Auch Klimaskeptikern begegnet man immer wieder. Berücksichtigen muss man auch, dass das verfügbare Zeitbudget für ehrenamtliches Engagement sehr knapp ist. Die Bereitschaft der Menschen, sich dauerhaft in Anpassungsprojekte einbinden zu lassen, ist stark abhängig von der beruflichen und privaten Situation jedes Einzelnen. Deswegen lag unser Fokus auch darauf, mit ‚Leuchtturm LOUISE' die lokale Bevölkerung für unsere Themen zu sensibilisieren."

Kooperationsbörsen, Pflanzaktionen und Fachgespräche – das „Leuchtturm LOUISE"-Team bringt Klimaanpassung ins Gespräch

Um die Menschen vor Ort zu mobilisieren, identifizierte das Projektteam zunächst verschiedene Akteursgruppen und richtete darauf spezielle Aktivitäten aus. Den Start bildete die erste „Kooperationsbörse" in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirchengemeinde Bad Liebenwerda, zu der etwa 40 Bürgerinnen und Bürger kamen. „Das mag für Großstädter erst mal überschaubar klingen, aber fürs Land – und dann noch im ersten Corona-Sommer – war das schon beachtlich", berichtet Andreas Claus. „Die Idee der Kooperationsbörsen liegt darin, möglichst kurz und knackig lokale Problemlagen mit Bürgerinnen und Bürgern zu identifizieren, zu priorisieren und gemeinschaftlich nach Lösungsansätzen zu suchen. Endlose Diskussionsrunden ohne konkrete Ergebnisse lehnen die Bürgerinnen und Bürger ab. Sie haben auch kein Verständnis für langwierige bürokratische Verwaltungsabläufe und fordern schnelles und zupackendes Handeln ein. Das größte Hindernis für erfolgreiche Klimaanpassung ist aus unserer Sicht eine überbordende Bürokratie, die schnelles Handeln verzögert und teilweise verhindert. Das schwächt die Motivation, weil der Eindruck entsteht, dass wir den Dingen allzu oft hinterherlaufen. Wir verstehen Klimaanpassung als Vorsorge. In unserer Projektarbeit zeigte sich, dass immer dann, wenn es um die Umsetzung ganz konkreter Vorhaben wie zum Beispiel Pflanzprojekte ging, die Bereitschaft mitzuhelfen bei den Teilnehmenden sehr groß war. Bürgerinnen und Bürger wollen Ergebnisse sehen, die zu einer Verbesserung ihres Lebensumfeldes beitragen."

Die erste Kooperationsbörse widmete sich der Ausgangslage: „Es ging uns darum, die Bedarfe und Meinungen aus der Bürgerschaft herauszukitzeln. Was brennt am meisten unter den Nägeln? Worum müssen wir uns zuerst kümmern? Dabei haben sich drei Themen herauskristallisiert, die die Menschen in der Region besonders umtreiben: Wie können unsere Flüsse wie die ‚Schwarze Elster' ausreichend Wasser in der Landschaft halten? Wie kann das noch verfügbare (Regen-)Wasser etwa durch effiziente Bewässerungssysteme oder Tröpfchenbewässerung sparsamer genutzt werden? Wie können wir unsere Kiefernmonokulturen zu klimastabilen Mischwäldern umbauen? Per Abstimmung wurde priorisiert. Ganz klar, das Thema Wasser rückte an die erste Stelle, denn ohne Wasser läuft gar nichts."

Sowohl bei der Kooperationsbörse als auch im späteren Projektverlauf baute Andreas Claus und das Projektteam auf Expertenwissen: „Vorteilhaft war für uns, dass wir auf eine gute regionale Expertise in den identifizierten Themen- und Handlungsfeldern zurückgreifen und uns über den Unterstützerkreis mit themenbezogenen Fachleuten immer wieder regionales Know-how reinholen konnten. Große Unterstützung bekamen wir auch von unseren Wissenschaftspartnern des Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin sowie den Moderationsprofis und Visualisierungsexperten von ‚Kleinstadt klimafit'. Das war und ist bis heute gelebte Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land am Fluss. Auch der Austausch und die regelmäßige Diskussion mit dem weiteren GoingVis-Projektpartner ‚PLATZ-B: Plattform Zukunftsbilder Boizenburg' hat uns wechselseitig inspiriert. Am Ende zählt jedoch immer der persönliche Einsatz von Schlüsselakteuren, um Bürgerinnen und Bürger fürs Mitmachen zu gewinnen. Je mehr Engagierte, desto besser!"

Das Projektteam stand regelmäßig im Kontakt mit Menschen aus der Verwaltung, der Kommunalpolitik, der Wirtschaft und den Schulen. „Speziell für Privatpersonen ist das Format Klimaakademie LOUISE als Veranstaltungsreihe mit einem Wirtschaftspartner aus der Mineralwasserwirtschaft neu gestartet worden. Hier adressieren wir Bürgerinnen und Bürger mit Ideen für Hausgärten, zur klimaangepassten und sparsamen Bewässerung oder vermitteln über die Videoreihe ‚Gartenzaungespräche' Empfehlungen, welche Gartenpflanzen widerstandsfähiger gegenüber den klimatischen Veränderungen sind. Mit Schülerinnen und Schülern der Falkenberger Oberschule, Mitgliedern des Heimatvereins Wahrenbrück, der unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Elbe-Elster und dem Gewässerverband sind in der Nähe der ‚Kleinen Elster' klimafeste Silberweiden, Schwarzerlen und Stieleichen gepflanzt worden. Und mit Abiturientinnen des Wirtschaftskurses des Elsterschloss-Gymnasiums Elsterwerda, Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern der Grundschule Wahrenbrück konnten wir unser Leitprojekt des klimakühlen Schulhofes mit vielen Schatteninseln umsetzen. Neben der Wissensbildung konnten wir an diesem Beispiel nachhaltig und sichtbar Zeichen setzen."

Auch die Politik und die Wirtschaft nahm das Projekt in den Blick. Während der Hochwasserschutz bereits fest im Land verankert ist, sind praktische Maßnahmen für den Umgang mit Niedrigwasser noch erforderlich. „Die geringen Niederschläge, fallende Grundwasserstände und ausgetrocknete Flussabschnitte verursachen immer mehr Schäden und damit Kosten für die Region – beispielsweise in der Land- und Forstwirtschaft oder durch die Zunahme des Waldbrandgeschehens. Wir haben uns zu Fachgesprächen mit dem Umweltausschuss des Landtages, dem zuständigen Ministerium und dem Landesamt für Umwelt rund um Hitze, Trockenheit und Wassermangel an der ‚Schwarzen Elster' ausgetauscht – und bleiben auch weiterhin an diesem sehr wichtigen Thema als ‚Treiber von unten' dran. Zwei Vereine haben sich im Aktionsbündnis Schwarze Elster zusammengeschlossen und mit Unterstützung des Landrates des Landkreises Elbe-Elster das Kommunikationsformat des ‚Runden Tisch Schwarze Elster' entwickelt. Leuchtturm LOUISE ist Initiator des Formats und innerhalb des Aktionsbündnisses in die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Treffen eingebunden. Kürzlich ist aus diesem Format heraus mit überwältigender Mehrheit ein entsprechender Grundsatzbeschluss im Kreistag gefasst worden. Das ist in einer gewissen Weise auch unser Vorteil gegenüber Großstädten: In ländlichen Regionen und Kleinstädten, da kennt man sich. Ich muss da nicht lange überlegen, wen ich für bestimmte Fragen ansprechen muss."

Ein ausgezeichnetes Projekt mit Zukunftsplänen – Publikumspreis „Blauer Kompass"

Fast zwei Jahre nach Projektbeginn der große Erfolg: Beim Publikumspreis „Blauer Kompass" 2022 des Umweltbundesamtes erhielt „Leuchtturm LOUISE" knapp 13.000 Stimmen aus der Bevölkerung. Mit 32 Prozent konnte sich das Vorhaben gegenüber den weiteren 19 nominierten Klimaanpassungsprojekten durchsetzen – ein Vorsprung, der bislang einmalig bei der Verleihung des Publikumspreises war. „Diese Auszeichnung zu gewinnen war unser ganz persönliches Highlight. Denn es hat gezeigt: Wir haben die Menschen erreicht!" Die Freude an diese Erinnerung steht Andreas Claus und dem gesamten Projektteam buchstäblich ins Gesicht geschrieben. „Wir haben bis heute etwa 400 Einzelgespräche geführt mit allen möglichen Menschen – mit Privatpersonen, mit Unternehmern, mit Kommunalvertretern, mit Landräten, mit Landtagsabgeordneten, mit Bundestagsabgeordneten. Alle Flussanrainer-Kommunen im Landkreis Elbe-Elster haben ihre Unterstützung zugesichert. Erste Kontakte zu handelnden Akteuren in die Nachbarlandkreise und Bundesländer sind aufgenommen, um das Thema Flussrenaturierung nicht nur sektoral, sondern systemisch und komplex anzugehen."

Auch wenn das Projekt aktuell Ende 2023 ausläuft, ist für das Projektteam um Andreas Claus in Sachen Klimaanpassung noch lange nicht Schluss. „Unsere prioritäre Aufgabe besteht darin, unter den Bedingungen eines fortschreitenden Klimawandels unsere Lebensgrundlage Nr. 1 – das Wasser und den Wasserhaushalt – für Menschen und die Pflanzen- und Tierwelt zu sichern! Zuallererst müssen wir uns um den tagtäglichen Wasserstand im Oberflächen- und Grundwasser kümmern und dann den Hochwasserschutz draufsetzen. Damit hoffen wir innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre den Fluss umzubauen. Das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig!"

Andreas Claus ist sich sicher: „Das alles wäre nicht entstanden, hätte es das Projekt GoingVis nicht gegeben. Und wenn in der Zukunft die ‚Schwarze Elster' wieder durch ihre Altarme fließt, ist ein großer Schritt in Richtung Klimaanpassung gelungen – für uns und künftige Generationen!"