„Vorbeugen ist Gold, Erste Hilfe ist Silber“ – Mit diesem Motto haben die Johanniter unter anderem einen Online-Kurs „Gut durch Hitzewellen kommen“ entwickelt
Philipp Rocker aus dem BMBF-Projekt „ExTrass-V – Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen“ erklärt, wie die Selbsthilfefähigkeit von Menschen gegenüber extremer Hitze gefördert werden kann.
Infolge des Klimawandels werden extreme Hitzeereignisse in Deutschland immer häufiger und intensiver: Die Zahl der Hitzetage steigt und zugleich werden immer neue Höchsttemperaturen erreicht. Insbesondere Kinder und ältere Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen sind bei Hitze einem erhöhten gesundheitlichen Risiko ausgesetzt.
Herr Rocker im Projekt „ExTrass-V" wurden in den drei Referenzstädten Potsdam, Remscheid und Würzburg die vorhandenen Gefahrenabwehrpläne zu Extremwetterereignissen im Rahmen des Projektes analysiert. Was haben diese Untersuchungen ergeben?
Im Rahmen dieser Analyse, inwieweit Behörden zur Gefahrenabwehr auf Extremwetterereignisse vorbereitet sind, wurden von uns Planspiele durchgeführt. Dazu haben wir eine modifizierte Variante der Führungssimulation – eine Ausbildungsmethode für den Katastrophenschutz - verwendet, die eigens vom Projekt dafür weiterentwickelt wurde, um extreme Wetterszenarien abbilden zu können. Für die noch anschaulichere Darstellung eines Starkregenereignisses haben wir die Feuerwehreinsatzsimulation (FWEsi) einbinden können, die mithilfe von Virtual Reality-Brillen die Teilnehmenden der Feuerwehr Remscheid so in die Lage eines Starkregenereignisses versetzen konnte. In Potsdam ging es um eine andauernde Hitzewelle, ebenfalls in einer modifizierten Führungssimulation. Beide Übungen waren für alle Beteiligten ein großer Erfolg. Es wurde festgestellt, dass Extremwetterlagen viel Training erfordern und aktuell die Übungsmöglichkeiten sehr begrenzt sind.
ExTrass-V hat Checklisten für Kommunen zu Hitze und Starkregen entwickelt. Diese sollen eine Hilfestellung bieten, die eigenen Notfallpläne von Kommunen zu überprüfen und gegebenenfalls mit Aspekten zur Klimawandelanpassung zu erweitern. Was bedeutet das konkret für die Kommunen?
Erschreckenderweise liegen keine flächendeckenden Vorplanungen für Starkregenereignisse vor. Auch auf Hitzewellen sind Kommunen eher schlecht vorbereitet. Die Frage für uns war, welches Instrument wir entwickeln können, um Kommunen bei der Erstellung von solchen Vorplanungen zu unterstützen. Das Ergebnis ist eine Checkliste, auf welcher die verschiedenen Akteure innerhalb der Kommune für sich abhaken können, ob Sie im Besitz der benötigten Informationen sind. Bisher haben uns alle kommunalen Vertreter zurückgemeldet, dass die Checkliste eine große Hilfestellung auf dem Weg zum Notfallplan ist.
Wie kann die Bevölkerung für Risiken wie zum Beispiel Extremhitze sensibilisiert werden?
Es ist nicht leicht, Menschen für etwas zu sensibilisieren, was sie selbst eventuell als ungefährlich einstufen. Natürlich ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass Wetter schwer beeinflussbar ist – das eigene Verhalten hingegen aber sehr wohl. Wir haben verschiedene Ansatzstellen erarbeitet: Schwer erreichbare Personengruppen werden auch wir nicht direkt erreichen. Hier gehen wir davon aus, dass es sinnvoll ist, Personen, die mit genau diesen gefährdeten Menschen in Kontakt treten wie zum Beispiel ambulantes Pflegepersonal, über Fortbildungsmaterial zu sensibilisieren. Für die breite Bevölkerung haben wir ebenfalls Fortbildungsmaterial konzipiert – kostenfrei und jederzeit online verfügbar.
Das Motto des im Projekt entwickelten Johanniter-Online-Kurses „Gut durch Hitzewellen kommen" lautet „Vorbeugen ist Gold, Erste Hilfe ist Silber". Was sind dessen Inhalte und wie erfährt man davon?
Diese Online-Fortbildung dient dazu, sich zum einen präventiv auf Hitzewellen einzustellen, kleinere Vorkehrungen zu treffen und den Tagesablauf an die Temperaturen anzupassen. Zum anderen haben wir einen Teil zur Ersten-Hilfe eingebaut – wir nennen ihn „Maßnahmen im Eintrittsfall". Hier wollen wir die kritischen Notfallbilder, die durch Hitze entstehen können, kurz näherbringen und, wann zum Beispiel der Notruf über die bundesweite Notfallnummer 112 angezeigt ist. Der Kurs ist kostenfrei im Internet abrufbar. Noch in diesem Jahr werden wir den Kurs speziell für Pflegekräfte sowie für Mitarbeitende in Kitas anpassen.
Die Johanniter adressieren in der aktuellen Projektphase vor allem alleinlebende, ambulant betreute Menschen. Wie erreichen Sie diese Menschen?
Wir hatten schon zu Projektbeginn den Anspruch, dass wir ein Instrument entwickeln sollten, mit dessen Hilfe auch alleinlebende ältere Menschen sowie Kinder oder Menschen mit Einschränkungen zurechtkommen würden. Die genannten Personengruppen sind nämlich alle überdurchschnittlich stark durch Hitze gefährdet. Daher haben wir einen Hitze-Warn-Aufkleber entwickelt, der bei 28 °C Raumtemperatur einen Warnhinweis in Rot zeigt (siehe Infobox). Wir glauben, dass dieses Instrument besonders auch für diejenigen interessant sein wird, die aktuell noch kein Hilfeleistungssystem, wie Hausnotruf oder ambulante Pflege in Anspruch nehmen und somit also weniger Kontakt zum Gesundheitssystem haben.
Wie und wo ist dieser Hitze-Warn-Aufkleber erhältlich?
Aktuell befindet sich der Aufkleber mit einer kleinen Testgruppe, bestehend aus Pflegeeinrichtungen, Kindergärten und Privatpersonen, in der Evaluationsphase. Wir haben hierfür 1000 Aufkleber drucken lassen und an die freiwilligen Teststellen mit der Bitte verschickt, uns eine Rückmeldung nach der Sommerperiode im Oktober zurückzusenden. Evaluiert werden soll vor allem der Nutzen, aber auch die Funktionalität, bevor der Aufkleber seitens der Johanniter in einer hohen Auflage produziert und an Risikogruppen verteilt werden kann. Ein genaues Konzept für eine Verteilung befindet sich noch in der Bearbeitung.
Kindertagesstätten und stationäre Pflegeeinrichtungen sollen ebenfalls in den Blick genommen werden. Gibt es hier konkrete Handlungsempfehlungen?
Menschen in allen Arten von Pflegeeinrichtungen sowie Kinder in den Bereichen der Tagespflege und Kitas sind besonderen Risiken ausgesetzt. Wir haben sie als sehr vulnerabel herausgestellt und für beide Gruppen mehrseitige Handlungsempfehlungen konzipiert. Das Feedback aus den Einrichtungen war überwältigend. Inzwischen haben wir diese Handlungsempfehlungen noch um Ernährungsratschläge bei Hitze ergänzt.
Was sind denn Ihre konkreten Empfehlungen für vorerkrankte oder ältere Menschen und Kinder?
Besonders junge und besonders alte Menschen sind unsere größten Risikogruppen und müssen früh auf sich achtgeben. Ich rate dazu, den Tagesablauf an die Hitze anzupassen. Früh rausgehen zum Spielen oder Einkaufen und die Mittagshitze vermeiden. Unbedingt Sonnenschutz auf Haut und Kopf nutzen. Außerdem ist es empfehlenswert, auf große deftige Mahlzeiten zu verzichten und dafür kleinere Mahlzeiten mit jeweils einem Glas Wasser einzunehmen. Letzteres ist wohl der wichtigste Tipp: Trinken ist für unseren Organismus wirklich überlebenswichtig. Fehlt Flüssigkeit, versagt der Kreislauf und wir werden buchstäblich zum Notfall. Auf alkoholische Getränke sollte dabei komplett verzichtet werden.
Herr Rocker, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mehr Informationen zum Projekt sowie den weiteren Projektpartnern hier.
ExTrass Hitze-Warner
Der Hitze-Warn-Aufkleber warnt bei zu hohen Innenraumtemperaturen deutlich sichtbar vor der Hitze, sodass zum Beispiel ältere Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit oder ambulante Pflegekräfte auf einen Blick erkennen, dass die Raumtemperatur gefährlich erhöht ist. Der Hitze-Warner besteht aus einem neun Zentimeter großen Aufkleber, der bei etwa 28 °C einen Warnhinweis in Rot zeigt.
Der Aufkleber befindet sich aktuell in einer ersten Testversion. Zum aktuellen Zeitpunkt sind noch keine Aussagen über Haltbarkeit und Zuverlässigkeit machbar. Der Hitze-Warner ist auf der Rückseite mit einer Klebefläche ausgestattet. Er kann also zum Beispiel auf eine Zimmertür oder eine Tischplatte aufgeklebt werden.
Link zur Hitze-Online-Fortbildung
Zur Person
Philipp Rocker ist Notfallsanitäter und Medizinpädagoge (Dozent im Gesundheitswesen) im Team Fort- und Weiterbildung der Johanniter-Akademie NRW am Campus Münster. Als Trainer für Führungs- und dynamische Patientensimulation leitet er regelmäßig größere Übungen für Feuerwehren und Hilfsorganisationen. Auch ist er Autor verschiedener Fachliteratur. Aktuell arbeitet Philipp Rocker im BMBF-Forschungsprojekt ExTrass-V und betreut ein studentisches Bachelor-Projekt am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam.