Planung mit Weitblick: Neuer „Digitaler Klimaatlas Region Stuttgart“

Wie wirken sich die Folgen des Klimawandels, wie Starkregen und Hitze, auf die Bevölkerung und Infrastruktur aus? Dazu liefert der Klimaatlas für die Stuttgarter Stadt- und Regionalplanung neue Daten und Szenarien – entwickelt vom BMFTR-Projekt ISAP.

Der Klimawandel hinterlässt in Deutschlands Städten und Regionen spürbare Folgen: Ob immer intensivere und länger andauernde Hitzewellen oder Überschwemmungen durch Starkregen – die Belastungen auf Bevölkerung, Wirtschaft und Infrastrukturen durch immer häufigere extreme Wetterereignisse wachsen. Für die Stadt- und Regionalplanung ist es daher immer drängender, die Folgen des Klimawandels bereits vorab bei Planungen zu berücksichtigen und sich durch geeignete Maßnahmen besser an das sich wandelnde Klima anzupassen. Unterstützung erhalten Planerinnen und Planer in der Region Stuttgart ab sofort durch den neuen „Digitalen Klimaatlas Region Stuttgart", der den bereits seit 2008 etablierten, analogen Klimaatlas ablöst.

Neue, aktualisierte Daten, moderne Karten und weiterführende Themen für die Anpassung an Hitze und Starkregen sind nun übersichtlich auf der digitalen Plattform integriert. Entwickelt wurde der „Digitale Klimaatlas Region Stuttgart" vom Forschungsprojekt ISAP, das im Rahmen der Maßnahme „RegIKlim – Regionale Informationen zum Klimahandeln" vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert wird.

Mit wenigen Klicks Prognosen für regionale Klimaentwicklungen erhalten

Der neue Klimaatlas richtet sich insbesondere an die Regional- und Bauleitplanung in den Verwaltungen, aber auch an private Planungsbüros. Dabei können unterschiedliche Abfragen durchgeführt und Szenarien für die verschiedenen Regionen und Gemeinden dargestellt werden. Zum Beispiel kann man sich anzeigen lassen, auf wie viele Hitzetage sich die Region in Zukunft einstellen muss – im direkten Vergleich zu den Hitzetagen im Referenzzeitraum 1971-2000.

Ähnliche Daten lassen sich ebenfalls zum Beispiel für Niederschläge inklusive der prognostizierten Fließgeschwindigkeiten anzeigen. Einzigartig ist dabei die Verknüpfung mit weiteren Informationen über die Klimadaten hinaus – denn für das Risiko vor Ort spielt auch zum Beispiel die Verwundbarkeit der lokal betroffenen Bevölkerung – der Vulnerabilität – eine Rolle. Der digitale Klimaatlas kann dafür etwa Indikatoren für soziale Vulnerabilität, Grünversorgung und die Anzahl von Tropennächten auf einer Karte darstellen.

Warum gerade die neuen regionalen Klimadaten wichtig sind, weiß Thomas Kiwitt, Leitender Technischer Direktor des Verbands Region Stuttgart: „Die Region Stuttgart ist urban. Das heißt, wir haben hier eine sehr dichte Situation, die wenig freie Fläche aufweist. Außerdem eine bewegte Topografie: Es geht bergauf und -ab, es gibt Flussläufe, schmale Bäche und so weiter. Vor dem Hintergrund klimatischer Veränderungen führt das dazu, dass sich bei Hitze speziell der legendäre Stuttgarter Kessel extrem aufheizt. Auch angesichts der stärker auftretenden Starkregenereignisse erkennen wir ein außerordentliches Gefahrenpotenzial bei drohenden Überschwemmungen. Für die Regionalplanung ist es daher besonders wichtig, genaue Informationen über Klimaänderungen und Extremwetter vorliegen zu haben. So können wir vor allem die Gemeinden in der Region viel besser beraten, welche Flächen besser freigehalten werden sollten – und welche sich für eine Bebauung eignen."

Der neue Klimaatlas – ein Gemeinschaftswerk von Wissenschaft und Praxis

Der Verband Region Stuttgart ist Partner im Projekt „ISAP – Integrative stadt-regionale Anpassungsstrategien in einer polyzentrischen Wachstumsregion" und arbeitete mit an der Entwicklung des neuen Klimaatlas. Koordiniert wird das Projekt von Prof. Dr. Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart, Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung. Er hebt hervor: „Der Klimaatlas ist ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie Wissen der Forschung direkt zur Praxis kommt! Wir von der Universität Stuttgart und weitere Forschungsinstitute haben die wissenschaftlichen Daten und neuen Erkenntnisse zu den klimatischen und sozio-demographischen Entwicklungen zusammengetragen und analysiert. Die Praxis-Seite, also der Verband Region Stuttgart und die Landeshauptstadt Stuttgart, haben Bedarfe und Anforderungen an das digitale Tool formuliert, Daten auf ihre Aussagekraft für die Praxis geprüft und konkrete Anwendungsfälle mit uns diskutiert. So lief die Entwicklung wirklich Hand in Hand."

Von der Planung zur Anwendung – zum Schutz von Bevölkerung, Infrastruktur und Wirtschaft

Die Bandbreite, wie der neue, digitale Klimaatlas angewendet werden kann, ist groß. Thomas Kiwitt erklärt: „Natürlich haben wir vor allem neue Bauplanungsprojekte im Blick. Wir sehen aber auch, dass man sich den Bestand anschauen muss. Denn viele Ortskerne wurden so um 1200 gebaut – damals natürlich unter ganz anderen Voraussetzungen. Jetzt haben wir dank des Klimaatlas gesehen, dass zum Beispiel Fußgängerunterführungen oder auch eine Feuerwehrleitzentrale in einigen Orten mitten in Bereichen liegen, die bei Starkregen überflutet werden. Um vor allem diese kritische Infrastruktur – wie Feuerwehr, Krankenhäuser und Stromversorgung – zu schützen, können wir uns jetzt einen sehr schnellen Überblick verschaffen, wo wir besser umplanen und Vorsorge leisten sollten. Denn hier kann es schnell auch um Menschenleben gehen."

Ein weiterer Aspekt ist der Schutz von wirtschaftlichen und industriellen Gebäuden. Dies ist insbesondere für die Region Stuttgart entscheidend, da sich hier eine hohe Wirtschaftsdichte befindet und rund 30 Prozent des Bruttosozialprodukts Baden-Württembergs erwirtschaftet wird. „Die gesamte Industriestruktur, gerade im Automobil- und Maschinenbau, ist hochgradig vernetzt", erklärt Thomas Kiwitt. „Wenn da eine oder mehrere Hallen überschwemmt werden, führt das nicht nur für das betroffene Unternehmen zu wirtschaftlichen Schäden, sondern verursacht auch Beeinträchtigungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette." Mit dem neuen „Digitalen Klimaatlas Region Stuttgart" werde deutlich, wo es sinnvoll sei, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Für das ISAP-Projekt stellt das BMFTR in zwei Phasen Fördermittel in Höhe von rund vier Millionen Euro während der Projektlaufzeit von 2020 bis 2026 bereit.