Klimabeobachtung auf hohem Niveau – Amazon Tall Tower Observatory (ATTO)

Der Atmosphären-Messturm ATTO ist mit 325 Metern der höchste Messturm Südamerikas und das Kernstück eines einzigartigen Feldobservatoriums im brasilianischen Amazonasgebiet.

Mitten im abgeschiedenen brasilianischen Amazonas-Regenwald bildet ATTO eine einzigartige wissenschaftliche Plattform für die Beobachtung der klimatischen, biogeochemischen und atmosphärischen Bedingungen im zentralen Amazonas unter dem Einfluss des Klimawandels und den dadurch entstehenden Wetterextremen. ATTO kommt damit eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung von Forschungsdaten als Grundlage für politische Entscheidungen in den Bereichen Klimawandel, Landnutzungswandel und Biodiversität zu.

Dieser mit zahlreichen Messinstrumenten ausgerüstete Stahlturm wurde von 2010 bis 2017 vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gemeinsam mit dem brasilianischen Forschungsministerium MCTI aufgebaut. Das BMFTR förderte diese Aufbauphase mit über fünf Millionen Euro. 2015 wurde der ATTO-Turm offiziell eingeweiht.

Mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt erforschen im Rahmen der ATTO-Forschungsinfrastruktur, wie sich intakte Amazonaswälder auf das regionale und globale Klima, die Treibhausgasbilanz und die Luftqualität auswirken und wie sich diese im Zuge des Klimawandels verändern werden. Damit können die Bedeutung des Amazonas-Regenwalds für das globale Klima sowie der Einfluss von Klimaveränderungen auf den Wald besser verstanden werden. So trägt ATTO insbesondere zu neuen Erkenntnissen für die Genauigkeit digitaler, globaler Kohlenstoffkreislauf- und Klimamodelle bei.

Nach dem Aufbau des Turms erzielte das ersten ATTO-Forschungsprojekt (2017-2021), das das BMFTR mit vier Millionen Euro förderte, wichtige Ergebnisse, die dazu beitragen, mit langfristigen klimatischen, biogeochemischen und atmosphärischen Messungen eine Lücke in den globalen Beobachtungsnetzwerken zu füllen. So haben beispielsweise Untersuchungen der unberührten Atmosphäre um ATTO in der Regenzeit erste Aufschlüsse darüber ergeben, wie der Einfluss der Menschen die Entstehung und Zusammensetzung von Aerosolen und damit möglicherweise auch Wolkeneigenschaften und Niederschläge in Amazonien grundlegend verändert hat. Dies wiederum hat Auswirkungen auf das globale Klima, die jetzt besser verstanden werden.

Aufgrund dieser erfolgreichen Zusammenarbeit im deutsch-brasilianischen Großprojekt ATTO folgte von 2021 bis 2025 das zweite Forschungsprojekt (ATTOplus), das vom BMFTR mit fünf Millionen Euro gefördert wurde. Das Ziel des Projekts ATTOplus war die Beantwortung der Frage, wie Klimawandel und Klimaextreme die Wechselwirkungen zwischen intaktem Tropenwald im zentralen Amazonasgebiet und der Atmosphäre beeinflussen und welche Konsequenzen sich daraus für die Region und weltweit ergeben.

2025 startete das Forschungsprojekt ATTOsynthesis, das vom BMFTR mit etwa fünf Millionen Euro für drei Jahre gefördert wird. Die Forschenden planen beispielsweise, Klimamodelle speziell auf die Amazonas-Region anzupassen und die Daten, die aus neuen Messungen am ATTO-Turm gewonnen werden, zur Anpassung der digitalen Modelle einzusetzen. Mit den neu angepassten Modellen sollen die Vorhersagen für die Auswirkungen des Klimawandels auf den Regenwald erheblich verbessert werden.

Insgesamt belaufen sich die BMFTR-Fördermittel von 2009 bis 2028 auf rund 19 Millionen Euro für die ATTO-Atmosphären-Forschung.

Eine entscheidende Stärke der ATTO-Forschungsinfrastruktur ist es, dass die Forschungsinfrastruktur mehrere Disziplinen an einem Ort zusammenführt – diese reichen von der Tropenwaldökologie bis zur Wolkenphysik. Dies ermöglicht es, vielfältige Rückkopplungen in der Atmosphäre besser zu verstehen und verbessert die Genauigkeit der Vorhersagen darüber, wie klimatische und ökologische Prozesse auf das sich verändernde Erdsystem reagieren. ATTO leistet damit einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung klimapolitischer Entscheidungen – sowohl in Brasilien als auch in Deutschland sowie weltweit.

In der ersten Forschungsphase (auch Pilotphase genannt) von 2017 bis 2021 wurden wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Ergebnisse erzielt und dazu insgesamt 55 wissenschaftliche Publikationen in angesehenen, internationalen wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht.

Neue Erkenntnisse aus der ATTO-Forschung sind beispielsweise:

  • In den Wäldern im zentralen Amazonasgebiet werden 60 Prozent des Niederschlags in die Atmosphäre zurückgeführt, wobei der größte Teil durch die Transpiration der Bäume in die Atmosphäre gebracht wird.
  • Eine Studie, die Satellitendaten und bodengestützte Methanmessungen (einschließlich Messdaten von ATTO) auswertet, zeigt einen Anstieg der Methanemissionen aus dem Amazonas seit 2014, der höchstwahrscheinlich zu einem globalen Methananstieg beiträgt.
  • Der Amazonas macht nur etwa vier Prozent der Landoberfläche aus, ist jedoch für etwa 25 bis 40 Prozent der weltweiten Emissionen biogener flüchtiger organischer Verbindungen (BVOC), die zum Beispiel von Bäumen ausgestoßen werden, in der Atmosphäre verantwortlich.
  • Die Untersuchung der unberührten Atmosphäre um ATTO in der Regenzeit hat erste Aufschlüsse darüber ergeben, wie der menschengemachte Klimawandel Aerosole und möglicherweise Wolkeneigenschaften und Niederschläge in Amazonien grundlegend verändert hat.
  • ATTO-Forschende haben herausgefunden, dass der Ferntransport von Saharastaub und Rauch von afrikanischen Savannenbränden die Nährstoffe und das Sonnenlicht beeinflussen, die den Wald erreichen.

In der Forschungsphase ATTOplus von 2021 bis Anfang 2025 konnte das ATTO-Team in der Zusammenarbeit mit brasilianischen Forschenden unter anderem folgende Erkenntnisse gewinnen:

(1) Der Amazonas Regenwald: Quelle oder Senke für Treibhausgase?

Eine der wichtigsten Fragen für die Klimaforschung im Amazonas-Regenwald lautet: Ist der Amazonas-Regenwald weiterhin eine weltweite Senke für Kohlenstoffdioxid (CO2) oder kann er diese Funktion aufgrund von Klimawandel, zunehmenden Emissionen, Brandrodung und Trockenheit nicht mehr erfüllen?

Forschende arbeiten daran, diese Fragen mithilfe digitaler Klimamodelle zu klären. Jedoch können bislang viele der Klimamodelle die saisonalen Zyklen des Amazonas-Regenwald mit der hochkomplexen Aufnahme und Abgabe von Treibhausgasen noch nicht ausreichend präzise reproduzieren. ATTO-Forschende haben daher neue Datenreihen am ATTO-Messturm erhoben und daraus ein regionales Inversionsmodell entwickelt. Dabei wurden unter anderem atmosphärische CO2-Signale zur Verbesserung der Landoberflächenmodelle genutzt. So konnte jetzt gezeigt werden, dass der Amazonas-Regenwald – trotz großer regionaler Unterschiede – aktuell insgesamt immer noch eine Senke für atmosphärisches CO2 darstellt.

(2) Kohlenstoff verbleibt durchschnittlich nur zehn Jahre in der Biomasse des Amazonas-Regenwaldes

Pflanzen im Allgemeinen und die Bäume des Amazonas-Regenwaldes im Besonderen nehmen durch Photosynthese Kohlenstoff in Form von CO2 aus der Atmosphäre auf. ATTO-Forschende haben untersucht, wie lange dieser Kohlenstoff in der Biosphäre, bzw. in den Böden verbleibt, bevor er durch Atmungs- und Zersetzungsprozesse wieder in die Atmosphäre freigesetzt wird.

Die Forschenden konnten folgende Prozesse nachweisen: Ein großer Teil des CO2 zirkuliert innerhalb von Tagen bis Wochen durch das Ökosystem, wird also de facto gar nicht langfristig gespeichert. Ein weiterer Teil wird für die Produktion von kurzlebigem Pflanzenmaterial, wie Blättern, verwendet. Dieser wird nach einigen Monaten bis Jahren durch die Zersetzung abgestorbener Pflanzenteile wieder freigesetzt. Nur ein kleinerer Teil des Kohlenstoffs wird für die Produktion von langlebigem Pflanzenmaterial, wie Stämmen und Wurzeln, verwendet oder in den Boden abgeführt und dort als mineralischer Kohlenstoff langfristig gespeichert.

Im Durchschnitt all dieser Bereiche ergibt sich eine Verweildauer für Kohlenstoff in den Amazonaswäldern von nur etwa zehn Jahren (siehe auch ATTO-Bildungsmaterialien). Dies ist eine kürzere Dauer als bisher angenommen und daher für die Betrachtung des Amazonas-Regenwaldes als Kohlenstoffsenke von großer Bedeutung.

(3) Stürme sind zentral für Gasflüsse, die Artenvielfalt und die Kohlenstoffspeicherung

Mehrere meteorologische Studien konnten zeigen, dass Wetterereignisse, wie Stürme, einen großen Einfluss auf die Gasflüsse im und über dem Amazonas-Regenwald haben. Sie nehmen Einfluss auf die Durchmischung der Luftschichten und können somit dafür sorgen, dass Gase oder Aerosole aus sehr hohen atmosphärischen Schichten in untere transportiert werden, wo sie unter anderem für die Wolkenbildung relevant sind. Gleichzeitig sorgen sie auch dafür, dass Gase und Partikel, die vom Wald selbst transportiert werden, in höhere Atmosphärenschichten gelangen, wo sie die Atmosphärenchemie und damit auch das Wetter und Klima beeinflussen können.

Anhand einer Studie können ATTO-Forschende nun belegen, dass sich die Zahl von großen Sturmschäden im gesamten Amazonasbecken – sogenannte Windwurfereignisse – im untersuchten Zeitraum von 1985 bis 2020 etwa vervierfacht hat. Dies ist unter anderem auf die Zunahme von starken Stürmen aufgrund des Klimawandels zurückzuführen.

Nach Sturmschäden unterscheiden sich die nachwachsenden Pflanzenarten oft deutlich von der vorhergehenden Zusammensetzung: Sie sind weniger divers und speichern häufig auch weniger Kohlenstoff. Eine vollständige Erholung nach einer Verwüstung durch Stürme dauert oft mehrere Jahrzehnte.

(4) Die am ATTO-Messturm entdeckten Aerosole kommen teilweise aus großen Entfernungen

Die Aerosole, die in der Atmosphäre am ATTO-Turm gemessen wurden, haben teilweise sehr weite Strecken zurückgelegt: Sie stammen beispielsweise vom über 10.000 Kilometer entfernten Kontinent Afrika. Neben den bereits bekannten Einträgen von Saharastaub konnten ATTO-Forschende auch Rußpartikel nachweisen, die bei afrikanischen Buschbränden entstanden sind. Zeitweise stammte mehr als die Hälfte der Partikel rund um ATTO aus Afrika. Dies zeigt, wie global die Atmosphäre ist, denn natürliche Ereignisse auf anderen Kontinenten können ebenso wie menschliche Aktivitäten, wie etwa Brandrodungen, bis zum Amazonasgebiet Einfluss auf die natürliche Produktivität des Regenwaldes (durch Nährstoffeintrag), die Atmosphärenzirkulation und den Niederschlag (durch Wolkenbildung) nehmen.

Analysen von Aerosolen im Rahmen von ATTO konnten unter anderem auch PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen), sogenannte Ewigkeitschemikalien, nachweisen. Die Partikel sind höchstwahrscheinlich durch den atmosphärischen Transport von Großstädten wie Manaus über weite Strecken in das Amazonasgebiet gelangt, wodurch der Nachweis erbracht wird, dass auch der Amazonas kein unberührtes Naturgebiet der Erde mehr ist.

(5) Moose und Flechten sind so relevant wie Bäume
Schon lange ist bekannt, dass Bäume flüchtige Gase, sogenannte biogene, flüchtige organische Verbindungen (BVOCs), produzieren. Diese spielen eine große Rolle in der Chemie der Atmosphäre, denn sie können sich in Wolkenkondensationskerne umwandeln. Der Amazonas-Regenwald ist im weltweiten Vergleich ein sehr großer Produzent der wichtigsten Gruppe von BVOCs, den Isoprenen.

ATTO-Forschende haben nun herausgefunden, dass Moose und Flechten ebenfalls BVOCs produzieren. In tropischen Regenwäldern sind Moose und Flechten omnipräsent und wachsen auf jeder erdenklichen Oberfläche. Durch ihre große Anzahl ist die Menge der von ihnen freigesetzten BVOCs vergleichbar mit der der Bäume. Diese BVOCs aus Moosen und Flechten haben ebenfalls Einfluss auf die atmosphärische Zusammensetzung und wirken sich auf die Luftqualität, das Klima und die Ökosystemprozesse aus. Bisher hatten digitale Atmosphären- und Klimamodelle Moose und Flechten noch nicht berücksichtigt.

Detaillierte Informationen zur ATTO-Forschung sind auf der Webseite der Forschungsinfrastruktur zu finden: https://www.attoproject.org/de/

 

Im Mai 2025 startete das dritte Forschungsprojekt von ATTO: ATTOsynthesis. Die deutschen Projektpartner werden bis 2028 mit rund fünf Millionen Euro vom BMFTR gefördert.

Beteiligte Institutionen aus Deutschland sind das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena (MPI-BGC, Koordinator), das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz (MPI-C), das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie die Universität Mainz. Auf brasilianischer Seite sind eine Vielzahl an Forschungseinrichtungen und Universitäten als Kooperationspartner eingebunden, die vom Eigentümer des Turms, dem Amazonasforschungsinstitut INPA (Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia), koordiniert werden. Darunter sind die Universität von São Paulo und das Nationale Institut für Weltraumforschung in Brasilien (INPE).

Der ATTO-Turm wurde bereits in der Aufbau- und Pilotphase mit zahlreichen Messinstrumenten ausgestattet. Es wurden grundlegende Messreihen gestartet und neue Erkenntnisse ausgewertet.

Das Förderprojekt ATTOsynthesis soll nun dazu beitragen, die deutsch-brasilianische Forschung und Zusammenarbeit zu vertiefen, um die Forschungsinfrastruktur ATTO für eine breitere wissenschaftliche Nutzung vorzubereiten. Damit wird auch die Vernetzung und Synergiebildung mit weiteren, international verankerten Forschungsinfrastrukturen, wie zum Beispiel ACTRIS und ICOS  ermöglicht.

Mit Hilfe der Messungen am Turm kann das vom Wald freigesetzte und gespeicherte Kohlendioxid quantifiziert werden. Damit können zuverlässige Rückschlüsse auf den Regenwald als Kohlenstoffquelle oder -senke gezogen werden. Diese Messdaten sind von enormer Bedeutung, um präzisere Aussagen über die Klimaentwicklung machen zu können.

So liefern Messungen von Aerosolen am Turm Erkenntnisse zu den Prozessen, die zur Wolkenbildung führen und damit im Wasserkreislauf eine große Rolle spielen. Auf diese Weise kann beispielsweise das wissenschaftliche Verständnis zur Bedeutung der „Fliegenden Flüsse" am Amazonas vertieft werden. Das sind große Wassermassen, die aus dem feuchten Wald verdunsten und in Form von Wolken das Wasser überregional weitertransportieren können.

Insgesamt ist der Amazonas-Regenwald durch den Klimawandel und die fortschreitende Abholzung jedoch bereits stark betroffen. Die Untersuchungen an ATTO dienen daher auch dazu, Verständnis zu den „Tipping Points" – den Kipppunkten des globalen Klimasystems – zu entwickeln und Vorhersagen dazu zu treffen, wie widerstandsfähig der Wald am Amazonas ist und welchen Einfluss die menschlichen Aktivitäten und der Klimawandel auf dieses wichtige Ökosystem haben.

Das Amazonasgebiet stellt für das globale Klimasystem eine der bedeutendsten Regionen dar, denn es ist der größte Wasser- und CO2-Speicher der Erde. Das Amazonasgebiet beeinflusst damit die Gesamtstabilität des Erdsystems und seine globalen Kohlenstoffkreisläufe. Der Amazonas leistet aufgrund seiner chemischen und physikalischen Prozesse in der Atmosphäre einen wichtigen Beitrag als Regulator des weltweiten Klimas. Durch die gigantische Verdunstung über seinen Wäldern entstehen Wolken und Strömungen, die das gesamte Klima kühlen und beeinflussen. Veränderungen an diesem System haben also globale Auswirkungen.

Sehr bewusst wurde für die Forschungsinfrastruktur ATTO ein Ort gewählt, an dem der Einfluss des Menschen kaum zu spüren sein sollte. Weit ab von der nächsten Großstadt Manaus gelegen, bietet die zentrale Lage von ATTO im Amazonasgebiet einzigartige Möglichkeiten für die Klima-, Atmosphären- und Ökosystemforschung. Die Luft über dem zentralen Amazonasbecken ist während der Regenzeit die reinste der Welt. Hier kann die Interaktion zwischen Wald und Atmosphäre unter Bedingungen untersucht werden, die denen der vorindustriellen Zeit nahekommen. Durch die Höhe des ATTO-Messturms können die wissenschaftlichen Messungen Prozesse in einem Umkreis von mehreren hundert Quadratkilometern erfassen und so einen großen Teil des Amazonasbeckens abdecken. Damit können die Auswirkungen des Klimawandels und der Einfluss des Menschen auf eine der bisher unberührtesten Gegenden der Welt besonders gut erforscht werden.

Zuletzt geändert am