"Mikroplastik gehört nicht in die Meere!"

Die winzigen Plastikpartikel kommen inzwischen in jedem Ökosystem der Erde vor. Sonja Oberbeckmann untersucht, welche zusätzlichen Gefahren von Krankheitserregern ausgehen könnten, die Mikroplastik in der Ostsee besiedeln. Und klärt im Gespräch den Irrglauben auf, dass ein Großteils unseres Plastikmülls recycelt wird.

Sonja Oberbeckmann erinnert sich noch gut an den Tag, an dem ihr Projekt „BONUS MICROPOLL" bewilligt wurde: „Zuerst konnte ich es gar nicht glauben. Erst als meine Kollegen mich alle in den Arm genommen haben, ist die Nachricht auch bei mir angekommen." Zur Feier des Tages hat sie sich dann eine neue, buntgemusterte, Jacke gekauft – natürlich komplett ohne Fleece- und Polyester-Anteil. Denn winzige Fasern aus synthetischer Kleidung gelangen bei jeder Wäsche ins Abwasser und von dort vermutlich über Flüsse ins Meer.

Welchen Schaden Mikroplastik im Meer anrichtet, ist Forschungsthema des Projekts BONUS MICROPOLL – kurz für Microplastics und Pollutants. Das Projekt ist der bislang größte Erfolg ihrer wissenschaftlichen Karriere: Die gerade einmal 36-jährige Ostseeforscherin hat dafür 2,6 Millionen Euro eingeworben und arbeitet mit europaweit über 25 Forschenden aus sechs Ländern zusammen.

„Nach einem Winter auf Helgoland wirst du von den Insulanern akzeptiert."

Dass sie Wissenschaftlerin werden wollte, habe sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert, erzählt die Biologin: „Ich hab nicht von Anfang an gesagt, ‚Ich schreibe eine Doktorarbeit!'" Erst als sie für ihre Diplomarbeit nach Helgoland kam, war ihr klar, dass sie Meeresbiologin werden wollte. „Die Arbeit mit dem Meer ist faszinierend – diese unentdeckte Weite", schwärmt sie. Mehr als drei Jahre verbrachte sie auf Deutschlands einziger Hochseeinsel und schrieb dort ihre Doktorarbeit. Der Weite des Meeres stand die Enge der Insel gegenüber. „Das Leben auf Helgoland fehlt mir heute noch: Dort konzentrierst du dich ganz auf die Arbeit und wächst mit deinen Kollegen zusammen. Sobald du einen Winter auf der Insel verbracht hast, wirst du von den Insulanern akzeptiert und gehörst dazu. Davor bist du nur Sommergast."

Valide statt skandalöse Ergebnisse

Nach Zwischenstationen in England und den USA kam Oberbeckmann ans Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, kurz IOW, wo sie seit fünf Jahren die Ostsee erforscht. Das Institut liegt in Sichtweite des Strands. Hier arbeitet auch Matthias Labrenz, der erzählt, wie es dazu kam, dass es die gebürtige Westfälin nach Rostock verschlug: Er habe Oberbeckmann auf einer Konferenz kennengelernt und im Anschluss alles daran gesetzt, sie ans IOW und in sein Team zu holen. „Sie ist eine sehr objektive Forscherin", erklärt Labrenz seine hohe Meinung von ihr. „Ich wusste, dass sie eine Bereicherung für unser Team ist. Sie lässt die Daten für sich sprechen und stellt ihre persönliche Meinung hintenan." Es gehe schließlich nicht um besonders skandalöse, sondern um valide Ergebnisse. Das sei gerade bei einem Thema wie Mikroplastik, das momentan einen regelrechten Hype erfahre, entscheidend.

Nur etwa zwölf Prozent unseres Plastikmülls werden recyclelt

Sonja Oberbeckmann freut sich über die große Aufmerksamkeit, die die Verschmutzung durch Mikroplastik erfährt: „Es ist gut, dass die Leute wissen, dass Mikroplastik den Meeren höchstwahrscheinlich schadet." Oft sei es schwierig, überhaupt zu erkennen, ob ein Produkt die winzigen Plastikpartikel enthält: „Kaum ein Verbraucher weiß, dass sich hinter dem Zusatzstoff Acrylate Crosspolymer in Körperpflegeprodukten Mikroplastik verbirgt", so Oberbeckmann. „Ich würde mir wünschen, dass die Benennung von Inhaltsstoffen deutlicher ist." Außerdem würden die Deutschen zu viel Plastik verbrauchen. „Viel zu viele Menschen denken, dass Plastik in Deutschland komplett recycelt wird." Doch das sei ein Irrglaube. Laut dem deutschen Rat für Nachhaltige Entwicklung werden nur etwa zwölf Prozent des Plastikmülls verwertet. Der Rest wird exportiert, verbrannt, landet auf Deponien oder eben im Meer.

Meeresforscher spielen nicht unbedingt mit Delfinen

Zum Mikroplastik ist Oberbeckmann über ein ganz anderes Forschungsthema gekommen. Und zwar über Bakterien: „Wenn ich erzähle, dass ich Meeresbiologin bin, stellen sich die Leute oft vor, dass ich mit Delfinen spiele", lacht sie. In Wirklichkeit beschäftigt sie sich mit sehr viel kleineren Lebewesen – mit Mikroorganismen, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind, von denen in einem Liter Meerwasser aber Millionen verschiedener Zellen vorkommen. „Mikroorganismen bilden die Grundlage für alle lebensnotwendigen Prozesse auf unserem Planeten", so Oberbeckmann. „Trotzdem geht es im Naturschutz meistens um die größeren Tiere und Pflanzen." Die Biologin interessiert sich unter anderem dafür, wie sich Mikroplastik auf Vibrio-Bakterien auswirkt. Verschiedene Vertreter dieser Bakterien-Gattung sind krankheitserregend und können sich vermutlich durch die Erwärmung der Meere weiter verbreiten.

Krankheitserreger mit enormer Anpassungsfähigkeit

Wenn die junge Forscherin über diese Vibrionen redet, strahlt sie, wie nur Biologinnen und Biologen angesichts von fiesen Krankheitserregern strahlen können: „Vibrionen sind eine unheimlich vielseitige Gruppe von Bakterien, die sich sehr schnell an ihre Umwelt anpassen können." Über sogenannten horizontalen Gentransfer tauschen Vibrionen sogar Gene und somit bestimmte Fähigkeiten untereinander aus. „Das ist so, als würden zwei Menschen nebeneinander liegen und plötzlich ist der eine genauso gut im Hochsprung wie der andere."

Mikroplastik als neuer Lebensraum für Bakterien im Meer

Neben Vibrionen siedeln sich auch viele andere Bakterien als Biofilm auf Mikroplastik an und werden von den Plastikpartikeln durch die Ozeane getragen. „Mikroplastik haben wir Menschen quasi als zusätzlichen, neuen Besiedelungsraum in die Meeresumwelt eingebracht. Dieser zersetzt sich nicht so schnell und ist deshalb ein dauerhafteres Transportmittel für Bakterien als manche natürliche Substrate, wie zum Beispiel Algen. Wir haben gezeigt, dass sich in Regionen mit geringerer Nährstoffkonzentration ganz spezielle Bakteriengemeinschaften an den Plastikpartikeln anlagern, wodurch sich die natürliche Bakterienzusammensetzung in der Region verändern könnte." Genaueres über die Zusammensetzung des bakteriellen Biofilms auf Mikroplastik wollen die Forscherinnen und Forscher im BONUS MICROPOLL-Projekt herausfinden. Doch schon jetzt ist Oberbeckmann überzeugt: „Mikroplastik ist ein unnatürliches Substrat, das nicht in die Meere gehört."

Das Projekt BONUS MICROPOLL

Dr. Sonja Oberbeckmann leitet das europäische Verbundprojekt BONUS MICROPOLL, welches sich mit der Auswirkung von Mikroplastik auf das Ökosystem Ostsee befasst. Der Fokus liegt dabei auf den Quellen und Senken von Mikroplastik und den Schadstoffen und Mikroorganismen, die sich auf der Oberfläche der Plastikpartikel ansammeln. Das Konsortium besteht aus sieben europäischen Partnern und wird insgesamt mit 2,6 Millionen Euro gefördert. Die Hälfte der Mittel wird durch die Europäische Union bereitgestellt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Forschungsprojekt mit insgesamt rund 690.000 Euro unter dem Dach von FONA - Forschung für Nachhaltige Entwicklung im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramm für den Ostseeraum BONUS. Das Projekt hat im Juli 2017 begonnen und läuft bis Juni 2020.

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