Volles Risiko

Es gibt zwei Schulfächer, in denen Professor Johannes Gescher besonders gut war: Biologie und Geschichte. In seiner wissenschaftlichen Karriere hat er die Mikrobiologie weiterverfolgt. Nun forscht der ehemalige Nachwuchsgruppenleiter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) daran, wie Strom aus organischen Stoffen, wie Abwasser oder Abfall gewonnen werden kann. Dabei wird der Stoffwechsel von Mikroorganismen genutzt. Sie übertragen die während des Stoffwechsels entstehenden Elektronen auf eine Elektrode und erzeugen Strom.

Neugier und wissenschaftliche Freiheit als Antrieb

Warum er Forscher werden wollte, kann Professor Gescher nicht mehr sagen. Nur dass er sich nichts anderes vorstellen konnte, als an einer Hochschule zu forschen und zu lehren. Das Berufsfeld eines Biologen in einer Firma hat er sich nie genau angesehen. „Die Freiheit zu entscheiden, was man als Wissenschaftler erforschen will, aber ohne den Druck, einmal tatsächlich ein Patent oder ein Produkt zu liefern, was Gewinn erwirtschaftet, ist etwas sehr bereicherndes", sagt der Vater zweier Töchter. Am Anfang einer wissenschaftlichen Karriere stünde die Menge an Publikationen und die Summe eingeworbener Drittmitteln im Vordergrund. Diese Qualitätskriterien hätten ihre Berechtigung. Dennoch entstehe so ein gewisser Druck den nächsten Karriereschritt zu tun, so Professor. „Jetzt genieße ich es von den Kennzahlen ein ganzes Stück befreit zu sein. Die Neugier treibt mich bei meiner Arbeit an", erzählt der 40-Jährige weiter. „Auch kann ich einen langen Atem haben, also Forschungsfragen verfolgen, die in einer späteren Bioökonomie ihre Berechtigung haben werden. Ich kann der Frage nachgehen, was mikrobielle Biotechnologie leisten kann, um Bioökonomie zu verwirklichen", erklärt er.

"Ideenwettbewerb Bioenergie" als Startschuss für innovative Forschung

Nach dem Biologie-Studium und der Promotion am Lehrstuhl für Mikrobiologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg folgte der Postdoc an der Stanford University in Kalifornien. Wieder zurück in Deutschland warb er das Elitestipendium für Postdoktoranden der Landesstiftung Baden-Württemberg ein, stellte den ersten Doktoraden ein und baute seine erste Vorlesung in Freiburg auf. Danach gewann der Wissenschaftler den „Ideenwettbewerb Bioenergie" des BMBF in der Förderinitiative „BioEnergie 2021 - Forschung für die Nutzung von Biomasse" gemeinsam mit Dr. Sven Kerzenmacher vom Institut für Mikrosystemtechnik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Ich hatte auf Risiko gesetzt und stellte neben dem ersten Doktoranden noch einen zweiten ein. Die Fördermittel reichten noch für zwei Monate Gehalt der Doktoranden. Dann war ich froh, dass die Förderung über das BMBF geklappt hat und die Forschung für die nächsten fünf Jahre gesichert war", berichtet der Mikrobiologe. Als Nachwuchsgruppenleiter baute er gemeinsam mit Dr. Sven Kerzenmacher eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Mikrobiologen und Ingenieuren auf. Sie entwickelten eine effiziente mikrobielle Brennstoffzelle zur Energiegewinnung aus regenerativen, biogenen Kohlenstoffquellen.

„Mit der BRAIN AG, einem Industriepartner aus der Biotechnologie, den ich während der Workshops des BMBF kennenlernte, stehe ich noch heute in Kontakt. Beispielsweise führen wir gemeinsame Projekte durch", beschreibt Gescher seine Erfahrungen. Er lobt an der Konzeption des Wettbewerbs, dass nicht zwingend Industriepartner für das Projekt erforderlich seien, da dieses Kriterium nach einem längeren Auslandsaufenthalt und den wenigen Industriekontakten im Feld der Biotechnologie häufig schwierig umsetzbar sei.

Tipps für Absolventen

Anderen Absolventen, die ebenfalls eine wissenschaftliche Karriere in den Naturwissenschaften anstreben, rät der in Fulda geborene Forscher nicht an dem deutschen Wissenschaftssystem zu zweifeln. In den meisten Fällen lohne sich die Unsicherheit in den ersten Jahren, denn in vielen Fällen klappe die wissenschaftliche Karriere am Ende doch. Produktivität käme in vielen Fällen auch gerade wegen der begrenzten Zeit. Ein Beispiel dafür seien die exzellenten Universitäten in den USA, wo Postdoktoranden zwei, drei oder vier Jahre Zeit hätten, etwas hinzukriegen bevor sie weiterziehen müssten, berichtet Professor Gescher.

Biobasierte Stoffe als Ersatz zu fossilen Energien

Während der BMBF-Förderung erhielt der damals 34-jähige Wissenschaftler 2011 seinen Ruf zum Professor für Angewandte Biologie an das KIT. Jetzt baut Gescher in Zusammenarbeit mit Kollegen einen Sonderforschungsbereich auf. Es geht um biofilmbasierte biotechnologische Prozesse, die kompetitiv sind mit der traditionellen Petrochemie. Hier wird Erdöl oder Erdgas über chemische Herstellungsprozesse zu Treibstoffen, Kunststoffen oder Farbstoffen umgesetzt. Anstatt der fossilen Energieträger könnten über sogenannte Plattformchemikalien nachhaltige biobasierte Kunststoffe und Treibstoffe produziert werden. Sie basieren auf nachhaltigen Rohstoffen. „In 15 Jahren wollen wir mit unserer Forschung in der Lage sein, der Industrie nachhaltige Systeme anzubieten, die Plattformchemikalien in einer Effizienz produzieren, die heute noch nicht möglich erscheint", erläutert Professor Gescher.

Während der BMBF-Förderung erhielt der damals 34-jährige Johannes Gescher 2011 seinen Ruf zum Professor für Angewandte Biologie an das KIT.
00:00 -06:32
Podcast: Prof. Johannes Gescher im Interview

Hintergrund-Infos

„Ideenwettbewerb BioEnergie – neue Wege beschreiten" des BMBF in der Förderinitiative „BioEnergie 2021 - Forschung für die Nutzung von Biomasse"

Gefördert wurden Arbeitsgruppen unter Leitung von jüngeren, in der Forschung bereits erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ein langfristiges Forschungsvorhaben mit einem völlig neuen Forschungsansatz für die Nutzung von Biomasse verfolgen. Die Auswahl der besten Ideen erfolgte im Wettbewerb. Nach einer Vorauswahl erstellten die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler vollständige Forschungskonzepte.
Unterstützung erhielten sie durch Workshops, die agrar- und energiewirtschaftliche, ökologische sowie auch überfachliche Qualifikationen, wie Projektmanagement oder Mitarbeiterführung, vermittelten. Die besten Forschungskonzepte konnten von den Nachwuchswissenschaftlern mit einem multidisziplinären Team über maximal fünf Jahre umgesetzt werden.

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